Die Arche Noah war die erste Datenbank

von Andreas Mertin

[religion unterrichten 2/2009]

Nam June Paik, Arche

Nam June Paik (1932-2006) ist der Klassiker der Videokunst. Ursprünglich war er Musikkomponist und studierte bei Karlheinz Stockhausen in Köln. Später wurde er Mitglied der Fluxus-Bewe­gung. 1963 installierte er in der Wuppertaler Galerie Parnaß 12 Fernsehgeräte mit technisch manipulierten Bildern. Nam June Paik war von 1979 bis 1996 Professor an der Kunstakademie Düsseldorf. Bei einem „24 Stunden-Happening“ mit Joseph Beuys verkündete Nam June Paik: „Das Fernsehen hat uns ein Leben lang attackiert, jetzt schlagen wir zurück“. So wurden die Medien seinerzeit wahrgenommen: als kulturindustrieller Angriff auf die Lebenswelt.

Das im Folgenden betrachtete Kunstwerk „Arche Noah“ aus dem Museumsbestand des Zentrums für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe gehört zu den erzählerischen Kunstwerken von Nam June Paik. Wir sehen zunächst einmal im Zentrum ein aus Holz hergestelltes konventionelles Boot, das freilich selbst schon ganz mediale Konstruktion ist. Es ist nur ein Zeichen für „die“ Arche Noah, denn zum einen ist das Boot für seinen Zweck viel zu klein (es würde nicht einmal Noahs Familie fassen), zum anderen nimmt das Boot quasi selbstreflexiv-ironisch auf seine eigene Geschichte Bezug, indem es den Titel „Arche Noah“ als Inschrift trägt und zugleich einige Icons trägt.

„Gestrandet“ ist dieses Boot auf einem großen SW-Foto(!) des Berges Ararat, auch dies ein Verweis auf die mediale Konstruktion. Wie dokumentiert man ein Geschehen aus einer zeitlich nicht mehr erfassbaren Vorzeit?

Wie hält man das Ereignis fest für Menschen, die mit dem Gebirge Ararat keine visuellen Assoziationen verknüpfen? In früheren Zeiten haben die Menschen die Geschichten immer wieder erzählt, dann erfolgten die ersten Aufzeichnungen und schließlich der Buchdruck, der die Erzählung an alle verbreitete. Im 19. und 20. Jahrhundert hat zunächst die Fotografie und dann das Fernsehen diese Rolle übernommen. Bis heute gibt es einen kaum erklärlichen Medienhype um die Lokalisierung der Arche Noah auf dem Berg, im Rahmen dessen immer wieder mit Fotos und Filmdokumenten um die Existenz der Reste der Arche gestritten wird.

Bei Nam June Paiks Kunstwerk kommen dem­ent­sprechend noch die Fernseh-Monitore hinzu, die sich sowohl auf dem Boot wie „am Fuße des Ararat“ finden. Sie sind – wenn man der erzählten biblischen Geschichte treu bleibt -, mediale Repräsentanzen all derer, die einstmals die Arche bevölkerten und sie nun paarweise wieder verlassen. Jeweils zwei unterschiedliche Monitorbilder sind einander zugeordnet.

Von der Inszenierung her hat das Kunstwerk von Nam June Paik eine gewisse Ähnlichkeit mit der reduzierten Form der Darstellung der Arche Noah wie wir sie am Bronzeportal des Kaiserdoms von Speyer durch den Künstler T. Schneider-Manzell aus dem Jahr 1971 dargestellt finden.

Man könnte aber auch an ein Detail aus der Darstellung von Hieronymus Bosch aus der Zeit um 1500 denken, bei der die Tiere nach und nach das gestrandete Boot wieder verlassen und die Erde neu bevölkern. Nam June Paik steht also auch in einer bestimmten künstlerischen Tradition in der Behandlung der Geschichte der Arche Noah.

Peter Weibel, Leiter des Zentrums für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe, schreibt zur Arbeit: „Dieses Werk ist im Zusammenhang mit Nam June Paiks Beschäftigung mit dem Internet und seinen Ansichten über die Rolle der Technik in Bezug auf die Menschheit zu sehen. (…) Sie zeigt Nam June Paiks Verständnis, dass die Rettung der Menschheit vor dem Untergang aus der Technik erwächst. Diese Installation ist nicht nur außergewöhnlich unterhaltsam, und das ist typisch Nam June Paik, sondern auch von ungewöhnlicher philosophischer Tiefe: eine Art evolutionäre Theorie der Kultur.“ Denn: „Die Arche Noah war gewissermaßen der erste Speicher, die erste Festplatte, die erste Datenbank.“

Diese Interpretation könnte man zum Ansatzpunkt einer Annäherung im Religionsunterricht machen. Was von dem was ist muss man archivieren, bewahren, kultivieren? Es geht weniger darum, ob Noahs Geschichte möglich ist – das ist sie sicher so nicht -, sondern darum, sich in einem Gedankenexperiment in die Situation Noahs nun allerdings am Anfang des 21. Jahrhunderts zu begeben. Würde es z.B. reichen, nur die Genome aller bekannten Lebewesen mitzunehmen? Oder würde es – noch radikaler betrachtet – reichen, nur Informationen über alles Leben zu speichern und zu überliefern? Oder sollte man sich vielleicht gar nicht um die Überlieferung kümmern, „denn alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht“ (Faust)? Was käme in eine Arche Noah des 21. Jahrhunderts?

http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Speyrer_Dom_Arche_Noah.jpg

http://commons.wikimedia.org/wiki/File:The_Hell_and_the_Flood_P2.jpg

Zuletzt bearbeitet 30.01.2010
© Andreas Mertin