Blogeinträge 2009

von Andreas Mertin

Einträge in das Weblog des Magazins für Kunst | Kultur | Theologie | Ästhetik

[tà katoptrizómena-Weblog 26.03.2009]

Original und Fälschung

Im Feuilleton-Kommentar der FAZ vom 26. März 2009 polemisiert Julia Voss gegen den documenta-Künstler Ai WeiWei, weil er sich allzu grobschlächtig für das Gute und gegen das Böse ausgesprochen hat. Das ist ihr gutes Recht.

Das gute Recht des Lesers ist es, darauf zu beharren, dass die Kunstkritikerin die Dinge kennt, über die sie schreibt. Das tut Julia Voss offenkundig nicht. Sie schreibt über Ai WeiWei: "Außerdem baute er noch aus alten chinesischen Holzstühlen eine Großskulptur, die beim ersten Unwetter pittoresk zusammenkrachte, auch das ein Erfolg." Ganz offensichtlich muss es geregnet haben, als Julia Voss auf der documenta war, weshalb sie sich den Besuch des so beschriebenen Werks erspart hat. Niemand, der es gesehen hat, käme auch nur im Geringsten auf die Idee, das Template wäre aus alten chinesischen Holzstühlen gemacht worden. Zwar gab es ein Gesamtkunstwerk mit 1000 alten chinesischen Stühlen, aber die verteilten sich über die documenta und konnten zum Sitzen und Diskutieren genutzt werden. Das Kunstwerk "Template", das Voss meint, bestand dagegen aus alten Holztüren, die der chinesischen Modernisierung zum Opfer gefallen waren. Und das ist dann doch etwas anders.


[tà katoptrizómena-Weblog 30.04.2009]

Kirche und Museum

Unter der Überschrift "Ohne Gottesdienste werden Kirchen zu Museen" berichtet idea von einer Initiative, die "mit einfachen Mitteln würdige Gottesdienstfeiern" durchführen will. Sie trägt den Titel einfach.Gottesdienst.feiern. „Die Kirchen sind für Gottesdienste da, sonst werden sie zu Museen“, sagte Landessuperintendent Eckhard Gorka (Hildesheim) vor rund 70 Vertretern aus den Kirchengemeinden des Sprengels. Man müsse Kirchen eher öffnen als schließen.

Nun ist es bezeichnend für den Zustand des Protestantismus, dass in seinen Artikulationen Museen zu Orten der Langeweile werden. Nichts weniger ist wahr. In vielen Städten wird zur Zeit um die Erhaltung von Museen gerungen, werden sogar neue Museen eröffnet, weil in ihnen sich das kulturelle Selbstverständnis einer Gesellschaft artikuliert. Für kirchliche Vertreter aber sind nicht genutzte Kirchen "nur" Museen. Wenn sie es denn wären! Aber die Mehrzahl der nicht genutzten Kirchen ist museal nicht verwendbar, weil die kirchlichen Träger sie schon lange nicht mehr gepflegt und kulturell angemessen ausgestattet haben. Museen kultivieren das Erhaltenswerte, dasjenige, was der nächsten Generation vermittelt werden soll. Nicht genutzte Kirchen gehören nicht dazu - oder allenfalls als Element eines Freilichtmuseums.

Ein Museum, das einmal die Woche eine Museumsführung anbieten würde, und ansonsten nichts täte, wäre schnell am Ende. Und auch für die Kirche gilt, dass einfach Gottesdienst feiern, nur um die Gebäude zu erhalten, sinnfrei ist. Gottesdienste kann man überall halten. Was hier vorgeschlagen wird, ist nicht Gottesdienst, sondern die Fetischisierung des Gebäudes, also Götzendienst.


[tà katoptrizómena-Weblog 30.04.2009]

Kirchentag in Bremen 2009

Verhalten sind die Reaktionen auf den Kirchentag iun Bremen ausgefallen. Es war ein Fest des Glaubens wie manche schrieben, sicher aber auch eine "Eventisierung" des Glaubens wie Reinhard Bingener in der FAZ meinte. Wenn der Veranstaltung normalerweise eine Zeitdiagnostik zugeschrieben wird, so fiel diese dieses Mal aus. Von allem etwas und für alle etwas war das Motto. Ab und an blitzte der protestantische Geist durch, etwa, als Bundesaußenminister Steinmeier beim Eröffnungsgottesdienst durch Sprechchöre daran erinnert wurde, dass er sich nicht im Wahlkampf, sondern bei einer religiösen Veranstaltung befand. Erfreulich deutlich war der Kirchentag in der Frage des Eklats rund um die Verleihung des Hessischen Kulturpreises: Hier herrschte blankes Entsetzen und eindeutige Verurteilung der kirchlichen Intriganten vor.

Was fehlte? Hier hat die FAZ eine klare Meinung: "Apropos, wo war eigentlich die evangelische Theologie auf dem Kirchentag? Bischöfe und Politiker waren wieder zuhauf gekommen, doch Theologen, die den christlichen Glauben denkend zu durchdringen versuchen, waren wenig zu hören. Stattdessen verhedderte sich mancher Theologe vor dem auf Papphockern versammelten Publikum in seinen eigenen Sprachspielen. Es gab Kirchentage, da überragte der akademische, gelehrte Diskurs die kirchliche Theologie, die in den Bibelarbeiten am Morgen geboten wird, um Längen. Das Verhältnis hat sich mittlerweile umgekehrt." Das ist sicher zutreffend. Aber vielleicht ist es auch ganz gut für den Protestantismus, wenn die theologischen Überväter ein wenig zurücktreten und den Gemeinden selbst mehr Spielraum überlassen. Zum anderen hat sich seit Jahrzehnten ein Teil des gelehrten akademischen Diskurses in die Bibelarbeiten verlagert und zeigt dort, was angewandte Theologie heißt. Vielleicht muss man gerade die FAZ an die Bibel in gerechter Sprache erinnern, die im Kirchentag ihren Ursprung und ihre Stütze hat.


[tà katoptrizómena-Weblog 24.09.2009]

Warum Wiederholungen langweilen

Mindestens zum dritten Mal erzählt Bischöfin Käßmann nun ihre Anekdote vom in der Kirche Zigarre rauchenden Karl Barth. Dieses Mal ist sie wenigstens so ehrlich zuzugeben, dass es auch eine erfundene Geschichte sein könnte. So richtig entscheiden mag sie sich aber nicht. Einerseits fordert sie eine sinnlichere Kirche, andererseits möchte sie die Entscheidung über die dazu einzusetzenden Mittel in der Hand behalten. Zigarren (zumal wenn sie von Reformierten geraucht werden) sind verboten, Räucherstäbchen (von Lutheranern?) nicht so ganz. Da soll einer draus schlau werden. Ansonsten empfiehlt sich natürlich Pilgern wie das kleinbürgerliche Wandern zur Zerstörung der letzten verbliebenen Öko-Reservate heutzutage heißt. Am Besten eine Wanderung von Loccum nach Volkenroda mit verbitterten Hartz-IV-Empfängern und überlasteten Müttern, angesichts derer die Evangelischen ja traditionell Berührungsängste haben, wenn man Bischof Huber folgt. Das gibt dann einen tollen Mentalitätswandel in der Kirche, "um aus sozialer und geistlicher Milieuverengung herauszufinden" - vor allem wenn man missionsversessen den Mitwandernden das mit diesen Worten erklärt.

Ich bin es leid, jeden Tag den Unsinn dieser Medienbischöfe zu lesen. Haben sie nichts Besseres zu tun, als die Medien mit Stereotypen zu bedienen? Vielleicht könnten alle evangelischen Bischöfe, Kirchenpräsidenten und Präsides eine Pilgerwanderung nach Trappistenart machen: mit strengen Schweigeregeln, harter Handarbeit und strengen Abstinenzregeln? Aber diese gemeine Phantasie versage ich mir.


[tà katoptrizómena-Weblog 04.11.2009]

Kommentar zum kirchlichen Verhalten gegenüber Herta Müller

"Es kann wohl geschehen, dass man die Hand, die an den Pflug gelegt ist, sinken lassen möchte, wenn man die Kirche mit ihrem Ziel vergleicht. Man kann wohl oft einen Ekel bekommen vor dem ganzen kirchlichen Wesen. Wer diese Beklemmung nicht kennt, wer sich einfach wohl fühlt in den Kirchendimauern, der hat die eigentliche Dynamik dieser Sache bestimmt noch nicht gesehen. Man kann in der Kirche nur wie ein Vogel im Käfig sein, der immer wieder gegen die Gitter stößt". (Karl Barth, Dogmatik im Grundriß, Zürich 6/1983, S. 172)

Es ist unglaublich, mit welcher Selbstgefälligkeit und Selbstgerechtigkeit EKD und Kirchentag diesen schweren Vorwürfen begegnen. Dass zwei lutherische Bischöfe ernsthaft in einem Telefongespräch erörtern, eine dissidente Schriftstellerin vom Diskurs fernzuhalten, ist unglaublich und ungeheuerlich. Dass sie es vermocht haben, dies de facto auch noch durchzusetzen, ist noch schlimmer.


[tà katoptrizómena-Weblog 05.11.2009]

Backspace

Eine Initiative hat in einem unter der Internetadresse appelloalpapa.blogspot.com veröffentlichten Schreiben Papst Benedikt XVI. aufgerufen, eine "wahrhaft und zutiefst katholische" Kunst zu fördern. Die katholische Kirche müsse sich "auch in dieser Zeit weltlicher, irrationaler und verderblicher Barbarei als einzige wahre, pflichtbewusste und aufmerksame Förderin und Hüterin einer neuen Kunst" erweisen, heißt es in dem Schreiben. Zu den Initiatoren zählen der Frankfurter Schriftsteller Martin Mosebach, der Rom-Korrespondent der WELT Paul Badde und der Vatikan-Journalist Sandro Magister.

Nach einer angeblich zweitausendjährigen harmonischen Beziehung zwischen Kunst und Kirche habe die Rebellion der Moderne zu einer tiefen Verwirrung der Gläubigen geführt. Demgegenüber müsse sich eine katholische Kunst wieder durch "Treue zur Inkarnation und Treue zur Liturgie" auszeichnen. Bildende Kunst, Architektur und Musik hätten sich an den Erfordernissen der Gottesdienstfeier auszurichten.

Das Gleiche wäre ja vielleicht auch für die Naturwissenschaften sinnvoll? Zurück ins Mittelalter? Viel Spaß!


[tà katoptrizómena-Weblog 05.11.2009]

Kulturfremd?

Karl Barth konnte im Band IV.3 der Kirchlichen Dogmatik knapp und präzise formulieren: "Die entscheidende Aufgabe der Predigt im Gottesdienst lässt die Anwesenheit von figürlichen Darstellungen Jesu Christi im Versammlungsraum der Gemeinde als nicht wünschenswert erscheinen". Würde er heute so etwas artikulieren und sei es auch nur für Schulräume müsste er sich gegenwärtig sehen, von den Kirchenräten der EKD als "kulturfremd und geschichtsvergessen" denunziert zu werden. So bezeichnet nämlich Oberkirchenrat Jürgen Frank die Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes, Kruzifixe in italienischen Schulen, insofern sie agnostische Eltern stören, entfernen zu lassen.

Das Wort "kulturfremd" hat dabei schon etwas. Wenn man es googelt, stößt man verdächtig oft auf Parolen der NPD.

Was aber meint der für die Bildung zuständige Oberkirchenrat Frank: Dass, wer gegen Kruzifixe sei, unserer Kultur oder gar der Kultur fremd sei? Vielen Dank, Herr Frank! Ich halte Kruzifixe selbstverständlich für eine nach dem 2. Gebot verbotene Blasphemie und protestiere dagegen, dass diese reformierte Haltung als "kulturfremd" denunziert wird. Sie ist ebenso Ausdruck unserer Kultur wie die gegenteilige, die Christus unbedingt vollfigural ans Kreuz nageln will und lieber das 2. Gebot aus dem Katechismus entfernt, als sich zu der Erkenntnis zu bequemen, dass die Trinität - und damit auch Christus - nicht darstellbar ist. Insofern hat m.E. der Europäische Menschengerichtshof ein höchst christliches und zugleich kulturaffines Urteil gesprochen.


Zuletzt bearbeitet 09.11.2009
© Andreas Mertin