Der Kontrast von Stahl und getrockneter Erde charakterisiert viele Werke der Ernst-Barlach-Preisträgerin Madeleine Dietz: Stahl als scheinbar kaltes, glattes und konstruktives Prinzip im Gegenüber zur Erde als gebrochenem, unebenen, aber lebendigem Prinzip. Ein überraschendes Mit- und Gegeneinander, das den Fingern, die über die Oberflächen der Materialien fahren, ganz unterschiedliche haptische Erfahrungen vermittelt.
Madeleine Dietz, 1953 in Mannheim geboren, gehört zu den großen Bildhauern Deutschlands. Bekannt ist ihr Altar-Objekt 1997 zur documenta X in der Kasseler Martinskirche, sowie die „Schichten in der Zeit“, bei der sie 1999 eine ganze Kirche in Paderborn künstlerisch inszenierte, und nicht zuletzt die Arbeit „konvertibel“ aus dem Jahr 2000 in der Kunsthalle Mannheim. Zuletzt hatte Dietz mit ihrer Arbeit „side by side“ im Sepulkralmuseum Kassel 2007 parallel zur documenta XII Aufsehen erregt. Für die Sophienkirche in der Messestadt München-Riem hat sie Altar, Ambo und Taufbecken gestaltet.
In ihrem neuesten Werkzyklus geht die Künstlerin dem Verhältnis von Stahl und Erde in modellhaften Skulpturen ganz im Sinne des von Martin Heidegger beschriebenen Motivs vom Verbergen und Entbergen nach.
Madeleine Dietz schafft dazu Raum-Objekte, die den Betrachter zur Wahrnehmung einladen und die erschließende Wahrnehmung zugleich unterlaufen. Es geht um die Dialektik von Verbergen und Lichtung: „Erde durchragt nur die Welt, Welt gründet sich nur auf die Erde, sofern die Wahrheit als der Urstreit von Lichtung und Verbergung geschieht“ (Martin Heidegger).
Der Betrachter schaut auf einen Kubus im Format 40x40x40 cm oder auch 70x70x70cm, der das Modellhafte als Charakteristikum an sich trägt, denn die Kuben wären auch als große Stahl-Erde-Räume denkbar. Man sieht zunächst und vor allem Stahl, der an verschiedenen Stellen Blickschneisen freigibt, die dann im Inneren des Objekts getrocknete Erdflächen wahrnehmen lassen.
Schnell wird deutlich, dass sich von diesen Objekten keine Gesamtperspektive herstellen lässt, und das nicht nur, weil Teile des Werkes unerschließbar im Inneren verborgen sind wie ein Geheimnis in einem Schatzkasten oder einem Tresor. Was ist das für ein Raum, den das Erz umschließt? Wir könnten sein Volumen berechnen, ihn in 3D rekonstruieren, ihn physikalisch beschreiben, ihn phänomenologisch umkreisen, aber damit hätten wir noch nicht seine Wahrheit, die sich erst in der ästhetischen Erfahrung erschließt. Diese Raumkuben wollen körperlich erfahren werden, und das gerade deshalb, weil es nicht geht, weil immer ein Rest des physisch nicht Erfahrbaren bleibt. Es sind aber keine meta-physischen Objekte, sondern ästhetische Raumwahrnehmungsangebote. Ihr Schatz liegt nicht in ihnen, sondern erschließt sich in ihrer Erfahrung.
Die Objekte tragen Titel, die aus dem Œuvre der Künstlerin vertraut sind, weil sie häufig negative Beschreibungen verwendet: „Kein Fenster zum Himmel“ - „Hier ist niemand“ - „Kein Eingang“. Damit werden trotz der negativen Formulierung jeweils Assoziationen aufgerufen, die dann unterlaufen werden. Das Kunstobjekt „Hier ist niemand“ bildet so ein dichtes Assoziationsfeld vom luziden „veni foras!“ bis zum offensichtlichen „quem quaeritis non est hic“.