RELIGIONSKONFLIKTE ALS MEDIENKONFLIKTE

Iconoclash - Ist Blasphemie ein Menschenrecht?

von Andreas Mertin

[Deutscher Evangelischer Kirchentag 2007]

I        Religionskonflikte und Medien

Der Titel des Vormittags „Religionskonflikte als Medienkonflikte“ ist in einem mehrfachen Sinne interpretierbar. Zum einen im Sinne von Religionskonflikten als Streit um die rechten Medien des religiösen Ausdrucks. Die Religionsgeschichte ist in diesem Sinne immer auch Mediengeschichte und Medienkonfliktgeschichte. Ein guter Teil der religiösen Streitigkeiten der letzten 3500 Jahre geht genau darum: mit welchen Medien wird welche Religion legitim ausgedrückt? Welche Bilder/Medien können im Kontext einer Religion mit welchen Implikationen eingesetzt werden? In welchen Medien gibt es die intensivste Verbindung mit dem Heiligen? Welche anderen Medien sind derartige Infragestellungen der eigenen Religion, dass sie sogar zerstört werden müssen? Insoweit Religionen sich notwendig in Medien konstituieren, ist die Genese von Religionen in aller Regel auch von Medienkonflikten begleitet.

Seit fast 3000 Jahren gibt es aber auch Religionskonflikte mit Hilfe medialer Strategien. Dies ist nicht nur in der nachexilischen Diskussion so, als Theologen in Jerusalem die laxen religiösen Verhältnisse mit Hilfe einer Medienkampagne bekämpfen: Nutzt keine fremden Medien = Götter! Es gilt auch für die Zeitenwende, insofern die christliche Gemeinde den Konflikt um Jesus als Medienkonflikt darstellt: Die Verurteilung Jesu sei das Ergebnis einer gezielten Medienkampagne. Und spätestens im Karikaturenstreit der Reformation ist diese Art des Religionskonfliktes zur Medienkonfliktkampagne geworden.

Eine neue Spielart von religiösen Medienkonflikten kommt mit den Massenmedien auf, insofern nun die globale Aufmerksamkeit zum Ziel wird. Wie bei vielen Prozessen in der Moderne wird der Inhalt gegenüber der zu erzielenden massenmedialen Aufmerksamkeit sekundär. Das Ziel ist die maximale Öffentlichkeitswirkung und nicht die Durchsetzung einer religiösen Erkenntnis.

Daher sind die Zerstörung der Götterstatuen in der Kaaba durch Mohammed im Jahr 630 und die Zerstörung der Buddha-Statuen in Bamiyan durch die Taliban im Jahr 2001 nicht vergleichbar, weil sie von unterschiedlichen Motiven getragen sind. Mohammed hatte eine Wirkung auf die regionale Bevölkerung im Sinn, die Taliban dagegen eine globale Wirkung, denn regional war ihre Aktion bedeutungslos, da es keine Buddha-Verehrung vor Ort gab. Ohne Fernsehen und Nachrichten wäre die Sprengung für sie sinnlos gewesen. Es ging nicht mehr um Wahrheit, sondern um Wirkung, um die globale Ökonomie der Aufmerksamkeit. Die modernen Religionskonflikte fokussieren sich auf die Medien als Bedeutungsträger selbst. Es sind weniger Religionskonflikte als vielmehr Medienbeeinflussungsstrategien.

II       Religionskonflikte sind (nicht erst heute) Medienkonflikte

Ich möchte im nächsten Schritt einen Blick auf die Geschichte der Religionskonflikte werfen, um ihnen zu zeigen, wie sich historisch die Religionskonflikte als Medienkonflikte darstellen. Es geht mir darum, zu zeigen, dass das, was wir in den letzten Jahren diskutiert haben, eine 3000-jährige Vorgeschichte hat.

Der Ägyptologe Jan Assmann hat in der Person des Pharaos Echnaton und der von ihm durchgeführten Reformen den Ur-Akt der medialen Intervention in ein religiöses Ausdruckssystem gesehen. Echnaton initiiert eine religiöse Medienrevolution, indem er die Vielfalt der Götterbilder – also die Vielfalt menschlicher Möglichkeiten, sich mit dem Transzendenten in Verbindung zu setzen – radikal auf eine einzige durch ihn selbst repräsentierte Möglichkeit reduziert. „Aton allein“ heißt seine Medienrevolution und „Aton nur durch mich“. Medientechnisch wäre es so, als würde heute man alle vorhandenen Fernsehprogramme auf einen einzigen Regierungssender reduzieren.

Jan Assmann hat in der Figur des biblischen Mose eine Reformulierung dieses Ur-Aktes gesehen. Echnatons Revolution wird bei Mose zur Frage zugespitzt: wollen wir überhaupt eine mediale Repräsentation unserer Religion? Darf sich eine Religion medial verdinglichen? Assmann hat dabei von der „Mosaischen Unterscheidung“ gesprochen. Der Raum, der durch diese Unterscheidung geschaffen wird, „ist der Raum des jüdisch-christlich-islamischen Monotheismus. Es handelt sich um einen geistigen oder kulturellen Raum, der durch diese Unterscheidung konstruiert und von Europäern nunmehr seit fast zwei Jahrtausenden bewohnt wird“. Wichtig ist dabei vor allem eins: „Die Mosaische Unterscheidung wird im Raum der Bilder getroffen, und der Kampf der Gegenreligion wird gegen die Bilder geführt.“ In Abgrenzung zur bilderfreundlichen ägyptischen Kultur wird Bild- und Medienkult zur Sünde schlechthin. Mit Mose werden Medienfragen zu zentralen Fragen der Religion.

Das zeigt sich auch in den biblischen Texten selbst. Viele Stellen der Bibel wer­den von uns gar nicht mehr als Teil einer Medien­strategie wahrgenommen. Die Formulierung des Schöpfungsberichtes kann aber durchaus als Medienkampagne verstanden werden, insofern die babylonischen Gottheiten, die Sonne und Mond repräsentieren, im Schöpfungsbericht der Priesterschrift despektierlich als Lampen bezeichnet werden. Das ist eine dezidierte öffentliche Auseinandersetzung mit der Religion, mit der man es gerade noch im Rahmen der babylonischen Gefangenschaft zu tun hatte.

Die Erzählung vom goldenen Stier ist nicht nur eine Geschichte, die die Bedeutung des Bilderverbots illustriert, sondern auch eine Medieninszenierung, die auf die Ohnmacht anderer Gottheiten zielt. Viele religiöse Repräsentanten der folgenden 3000 Jahre werden sich dieser Inszenierung der demonstrativen Zerstörung von Medien der Fremdgötter bedienen, auch wenn sie nicht wie Mose vorgingen, der gleich 3000 Anhänger des Goldenen Kalbes erschlagen ließ.

Am Anfang des Christentums steht ein medial provozierter Blasphemieprozess – zumindest dann, wenn man der religiösen Überlieferung der Evangelien und damit der medialen Selbstdarstellung des Christentums folgt. Zwar ist inzwischen klar, dass dieser Prozess aus einer Vielzahl von Gründen gar nicht so stattgefunden haben kann, aber er stellt einen wichtigen Punkt in der Medienstrategie der Evangelien Markus und Matthäus dar. Folgt man der Schilderung bei Markus, dann wird deutlich, dass dieser Autor die Geschichte des Prozesses um Jesus so darstellt, dass das Urteil eine medial inszenierte, willkürliche politische Entscheidung ist, die nicht in der Sache (einer Gotteslästerung), sondern im Ziel (der öffentlichen Verurteilung) begründet ist. Blasphemie – so wird es in den Evangelien dargestellt – sei immer ein medial inszenierter Vorwurf.

Mit Mohammed und Bonifatius kommen wir zur demonstrativen religionspädagogischen Form der religiösen Medienvernichtung. Als Mohammed 630 Mekka einnahm, reinigte er zunächst das Heiligtum (Kaaba), ließ alle Götterstatuen sowohl aus dem Heiligtum als auch aus den Privathäusern entfernen und zerstören und forderte die lokale Bevölkerung auf, dem Islam beizutreten. Etwas ähnliches beobachten wir auch im christlichen Bereich. Über Bonifatius lesen wir, dass er beschloss, eine dem Thor geweihte Eiche zu fällen. Die Anwesenden erwarteten gespannt die Reaktion der heidnischen Gottheit; dass diese ausblieb, überzeugte sie von der Macht des Christengottes. Mit der Fällung der Eiche zeigte Bonifatius somit symbolisch die Überlegenheit des Christentums über die alten Götter.    

Zeitgleich mit Bonifatius beginnt der byzantinischen Bilderstreit, ein Streit um die Legitimität religiöser Medien. Um die Frage, ob eine ursprünglich bilderlose Religion ikonisch werden darf, wurde im 8. Jahrhundert vehement gekämpft. Zwischen Konstantinopel, Rom und Frankfurt fand ein intensiver Dialog über die mediale Repräsentation des Christentums statt. Ist, wer Bilder Jesu Christi zerstört, nicht auch ein Leugner der Inkarnation Jesu Christi? Ist, wer Bilder Jesu Christi anbetet, nicht im eigentlichen Sinne ein Götzenanbeter? Müsste man Bilder nicht ganz pragmatisch als pädagogische Medien nutzen?  726 jedenfalls ließ der byzantinische Kaiser Leo III. ein Christusbild in Konstantinopel entfernen und setzte damit den über 100 Jahre währenden Streit über die Bedeutung von Bildmedien in Gang.

Mit der Reformation wird der Einsatz von Medien in Religionskonflikten im großen Maßstab üblich. Erst die technische Entwicklung des Buchdrucks und der Flugblätter ermöglicht, Religionskonflikte fokussiert in und mit Medien auszutragen. Die religiöse Medien-Propaganda der Reformationszeit nimmt vieles vorweg, was im 19. Jahrhunderts gegen die Religion eingesetzt wurde. „Der Papst als Esel oder Drache, Johannes Eck als Schwein, Thomas Murner als Katze, oder der Theologe Lemp als bissiger Hund und dazu kontrastierend Luther als siebenköpfiges Ungeheuer oder des Teufels Dudelsack … Bildsatiren der Reformationszeit wurden in hoher Zahl und vielfältigen originellen und vor allem derb-volkstümlichen Exemplaren aufgelegt und verbreitet. Gleichwohl erfolgten die Veröffentlichungen der Karikaturen aus Gründen des Selbstschutzes häufig anonym. Berichtet wird von Haftstrafen für Zeichner, Drucker und Kolporteure für ihre 'Schmähschriften'." (wikipedia)

Mit dem 19. Jahrhundert explodiert die Zahl der Medien-Religions-Kon­flikte. Die folgenden vierzehn Beispiele sind nur ein Ausschnitt aus der Geschichte der Verletzung religiöser Gefühle und ihrer Inkriminierungen.

Ein Beispiel aus der Mitte des 19. Jahrhunderts ist der Zeichner Wilhelm Busch – allen bekannt von Max und Moritz -, der 1864 das Werk „Der Heilige Antonius von Padua“ anfertigt, das zunächst einmal 6 Jahre lang verboten wird und erst dann erscheint. Nicht nur in diesem Werk prangerte Wilhelm Busch klerikale Bigotterie und amtstheologische Verlogenheit an, was auf religiöser Seite nicht auf Gegenliebe stieß.

1895 beginnt ein Medienkonflikt, der sich bis in die Gegenwart fortsetzt. Oskar Panizza, ein Schriftsteller der Münchener Boheme, wird für sein zugegebenermaßen auf die Verletzung religiöser Gefühle zugespitztes Drama „Das Liebeskonzil“ wegen Gotteslästerung angeklagt und zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt. Die Verfilmung des Stückes durch den Regisseur Werner Schroeter wird 1982 (also fast 100 Jahre später) in Tirol verboten, was der Europäische Menschengerichtshof 1994 bestätigt.

Der russische Schriftsteller Tolstoj wird 1901 wegen des Romans Auferstehung von der Synode der russisch-orthodoxen Kirche exkommuniziert. Anlass war der öffentlich geäußerte Zweifel Tolstois an der Existenz von Wundern.

Als Max Ernst 1926 das Bild „Die heilige Jungfrau züchtigt das Christuskind vor Zeugen“ in einer Ausstellung zeigt, wird auf Intervention religiöser Kreise die Ausstellung geschlossen. Max Ernst selbst erzählt, der Kölner Erzbischof habe ihn während einer Diskussion wegen des Bildes exkommuniziert.

Der vielleicht berühmteste Gotteslästerungs-Prozess gilt zwischen 1928 und 1931 drei Graphiken von George Grosz. Eine davon zeigt Christus am Kreuz mit Gasmaske und Soldatenstiefeln, der Bildtext lautet “Maul halten und weiter dienen”. Grosz braucht fünf Instanzen, um an einen Freispruch zu kommen.

In Griechenland wird 1955 der Schriftsteller Nikos Kazantzakis für den Roman "Die letzte Versuchung Christi" exkommuniziert. Der Papst setzt das Buch bereits ein Jahr vorher auf den Index der verbotenen Bücher. 1988 kommt es bei der Verfilmung des Stückes durch Martin Scorsese zu gewalttätigen Protesten von Christen, auf ein französisches Kino wird ein Brandanschlag verübt.

Der Film „Monty Python - Das Leben des Brian“ wird 1979 in Norwegen wegen “Blasphemie” aus den Kinos ausgesperrt, auch in Irland darf er acht Jahre lang nicht gezeigt werden. In Italien kommt der Film erst 1990 in die Kinos.

1982 kommt es zum Konflikt um Herbert Achternbuschs Film „Das Gespenst“. Der Film wird noch vor der Erstaufführung wegen „Herabwürdigung religiöser Lehren“ beschlagnahmt und schließlich verboten. In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft wird die Verspottung „der Person Jesus Christus“ geltend gemacht. Der Richter beruft sich auf den “religiös normal empfindenden Durchschnittsbürger”. Der Film darf in Österreich bis heute nicht gezeigt werden.

Das Satiremagazin Titanic veröffentlich 1995 unter der Überschrift “Spielt Jesus noch eine Rolle?” eine Fotomontage mit einem Kruzifix auf der Toilette als Klopapierhalter. Es folgt eine Strafanzeige durch die deutsche Bischofskonferenz wegen der Beschimpfung von religiösen Bekenntnissen.

2001 kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen um das Theaterstück Corpus Christi: Nicht nur bei der Aufführung in Heilbronn protestieren Christen gegen das Stück, weil sie in ihm eine blasphemische Auseinandersetzung mit Jesus Christus sehen. Im Herbst 2001 stellt das Kölner Erzbistum Strafanzeige.

Im Januar 2005 wird der Karikaturist Gerhard Haderer in Athen in Abwesenheit zu 6 Monaten Haft wegen Verunglimpfung der Religion verurteilt. Das Urteil wird im April 2005 aufgehoben. Die Erzdiözese Wien organisiert einen Boykott des Verlages von Haderer und zeigt ihn vor Gericht an. Ursache des Konfliktes ist sein 2002 erschienenes Comic-Buch Das Leben des Jesus.

Während ihrer letzten Tournee sorgt die Popikone Madonna 2006 für Aufregung. Im Rahmen ihres Engagements für aidskranke Kinder in Afrika re-insze­niert Madonna die Kreuzigung. Die Sängerin hängt während eines Liedes am Kreuz und trägt eine Dornenkrone. Am Anfang ertönt Kirchen­musik, am Ende erklingen Glocken. Madonna singt die Ballade "Live to tell" und steigt dann vom Kreuz herab. Sie nimmt die Dornenkrone ab und liegt am Schluss auf dem Boden. Die römische Kurie fordert ihre Exkommunikation und bezeichnet Madonna indirekt als Satanistin. Die evangelische Bischöfin von Hannover fordert zum Boykott der Madonna-Konzerte auf: "Sich selbst an die Stelle Jesu zu setzen, auch nur symbolisch, ist eine Selbstüberschätzung ungeheuren Ausmaßes". Sie protestiere dagegen, dass „christliche Symbole für Spaß und Show-Zwecke vermarktet werden“. Nun hat die Stellvertretung Christi nicht nur eine 2000-jährige Tradition, sondern ist seit Franz von Assisi auch eine Medieninszenierung. Der Volkskundler Christoph Daxelmüller hat 2001 unter dem Titel "Süße Nägel der Passion" eine Geschichte der Selbstkreuzigung von Franz von Assisi bis heute vorgelegt, in die sich Madonnas Performance lückenlos einordnet. Madonna führt nur eine Tradition der künstlerischen Christusidentifikation von Albrecht Dürer über James Ensor bis Joseph Beuys fort.

Zuspitzung

Der Konflikt um die dänischen Karikaturen und der sich später anschließende Konflikt um die Serie Popetown gehört in die Kategorie jener Medienkonflikte, die wenig mit Religion und viel mit Massenmedien zu tun haben, auch wenn sich daran viele Probleme heutiger Religionen mit der säkularen Gesellschaft aufzeigen lassen. Die Schwierigkeit ist, dass in diesen Konflikten ganz unterschiedliche Problemstellungen miteinander verknüpft sind, die alle mit den Regeln des Zusammenlebens in einer aufgeklärten Gesellschaft zu tun haben:

  1. geht es um das grundsätzliche Verhältnis von Religion und Gesellschaft in einer modernen Gesellschaft;
  2. geht es grundsätzlich um das Verhältnis von Religion und Kritik bis hin zur Blasphemie;
  3. geht es um das Verhältnis von Religion und Meinungsfreiheit, so wie es sich in der europäischen Neuzeit entwickelt hat;
  4. geht es um die Angemessenheit der Mittel, mit denen auf Tabuverletzungen und Grenzüberschreitungen reagiert wird;
  5. geht es auch um die Äquivalenz der Reaktionen, darum, ob das, was ich anderen verbieten möchte, nicht auch für meine eigenen Medien gelten muss.

So weit der Karikaturenstreit rekonstruierbar ist, hatte ein dänischer Kinderbuchautor keinen Zeichner für sein Buch über den Propheten Mohammed gefunden – angeblich aus Angst vor Ärger mit der muslimischen Gemeinde. Dies war für die Tageszeitung Jyllands-Posten Anlass, verschiedene Zeichner um eine Karikatur zu Mohammed zu bitten. Zwölf Karikaturen wurden veröffentlicht und sie stießen auf den entschiedenen Protest der muslimischen Gemeinde, die die Zeitschrift wegen Blasphemie anzeigte, was 2006 von der Staatsanwaltschaft als unbegründet abgewiesen wurde. Soweit handelt es sich um einen ganz normalen Streit zwischen säkularer Kultur und religiösen Empfindungen, wie er sich in allen Demokratien regelmäßig an bestimmten Darstellungen entzündet. Es war kein Streit zwischen den Religionen, sondern ein religiöser Streit mit der säkularen Umwelt. Nicht umsonst haben Vertreter nahezu aller Religionen die Karikaturen verurteilt, wahrscheinlich auch deshalb, weil sie an ihre eigenen Erfahrungen mit derartigen Bildern oder Karikaturen dachten.

Nach einer Reise dänischer Imame durch islamische Staaten wurde der nationale Konflikt zwischen Meinungsfreiheit und Religion zu einem internationalen. Muslime vieler Länder protestierten gegen die Provokation des Islam und seiner religiösen Vorstellungen. Anfang Februar 2006 eskalierten die Proteste, nachdem Zeitschriften anderer westeuropäischer Länder die Karikaturen nachgedruckt hatten. Nun wurden Botschaften gestürmt und Flaggen in Brand gesetzt. Allerdings stellte sich auch heraus, dass eine ägyptische Zeitung die Karikaturen als erste nachgedruckt hatte, ohne Protest zu erregen. Aus islamwissenschaftlicher Sicht, so erklärten mehrere Vertreter, gibt es keinen Anlass, so auf die Bilder zu reagieren. Sie wiesen zugleich darauf hin, dass ein Teil der Protestierenden im Libanon auch Maroniten, also Christen gewesen seien.

Es scheint nun so gewesen zu sein, dass die muslimischen Reaktionen auf die Karikaturen weltweit die religiösen Gemüter ermutigt hätten, gegen alles zu protestieren, was ihnen nicht in den Kram passt: Gustav Mahler und den Karneval, Bildende Kunst und T-Shirts, Kinofilme und Comics. Die Comic-Serie Popetown wurde - nachdem sie schon in Großbritannien und Australien nicht ausgestrahlt werden konnte -  in Deutschland als blasphemisch und kirchenfeindlich angegriffen und die Forderung nach Zensur oder Selbstzensur erhoben. Es gab Anzeigen, die aber die Ausstrahlung der Sendung nicht verhindern konnten.

Vermutlich trifft zu, was DIE ZEIT schrieb, dass nämlich "keiner der lautstark Protestierenden, ob Politiker, Kirchenfürsten oder Normalverbraucher, das Werk kennen dürfte. Aber bekanntlich protestiert es sich um so ungehemmter, wenn man unbeleckt ist von Faktenkenntnis."

In einer Verlautbarung des Landeskommitees der Katholiken in Bayern wurde dann mit dem christlichen Straßenmob gedroht. Mit der Satiresendung Popetown würden "keineswegs nur religiöse Gefühle verletzt. Vielmehr spricht daraus Menschenverachtung … Ganz offensichtlich haben die Verantwortlichen des Senders keine Lehren aus den heftigen Debatten um die so genannten Mohammed-Karikaturen gezogen … Müssen erst Straßenkrawalle stattfinden und Fensterscheiben zu Bruch gehen, damit in Deutschland religiöse Toleranz auch gegenüber Christen gilt?"

Hier zeigt sich, das die Strategie der Eskalation kein Privileg einer bestimmten Religion ist, sondern ein grundlegendes Problem unserer Zivilisation.

III     Blasphemie: Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit

Um es ganz deutlich zu sagen: Es ist das Recht jeden Menschen, sich über die religiösen Gefühle anderer lustig zu machen. Das ist zwar weder besonders geschmackvoll noch besonders intelligent, aber ein Verbot derartiger Meinungsäußerungen ist ungleich fataler und auch religionsfeindlicher als der intendierte Schutz der Religion. Selbstverständlich ist der Regelfall heutiger Religionskritik in ihrer Flachheit für einen religiösen Menschen schwer erträglich. Man muss nur die Internetforen durchstöbern, um auf all den geballten Schwachsinn, die gepflegte Vorurteilskultur und die niveaulose Religionskritik im Stil des 19. Jahrhunderts zu stoßen. Keine Plattitüde, die dort ausgelassen wird, keine Dummheit, die nicht geeignet erschiene, sofort gegen welche Religion auch immer vorgebracht zu werden. Aber Dummheit, Reflexionslosigkeit und Frechheit sind Menschenrechte, die man mit Vernunft verteidigen muss. Begründete kritische Einwände gegen Religion aber ebenso.

Wie protestiert man in einer aufgeklärten Gesellschaft gegen die Verletzung religiöser Gefühle? Zunächst einmal dadurch, dass man erklärt, wodurch die Gefühle verletzt worden sind. Wenn jemand einen Christus vor einer Blutlache zeigt und auf die blutige Geschichte christlicher Frauenverachtung verweist, kann ein anderer, der das auf Christus bezieht, in seinen religiösen Gefühlen verletzt sein und sagen, dass sich aus der Lehre Christi derlei nicht ableiten lässt. Und sofern er der bildkritischen Traditionen des Christentums angehört, wird er darauf verweisen, dass Christus nicht dargestellt werden darf. Nicht bestreiten können wird er den Umstand, dass es tatsächlich eine Geschichte der christlich legitimierten Frauenunterdrückung gibt. Wenn er trotzdem meint, durch eine derartige Darstellung würden religiöse Gefühle verletzt, muss er in einer aufgeklärten Gesellschaft den Weg zum Gericht gehen. Dort klärt die Gesellschaft, was erlaubt ist und was nicht.

Analoges gilt für jede Religion in einer aufgeklärten Gesellschaft. Wenn also der Prophet mit einer Bombe im Turban dargestellt wird, kann jemand, der das auf den Propheten Mohammed persönlich bezieht, in seinen religiösen Gefühlen verletzt sein und darauf verweisen, dass sich das aus der Lehre Mohammeds nicht ableiten lässt. Und sofern er die bildkritische Tradition des Islam bedeutsam findet, wird er darauf verweisen, dass Mohammed nicht dargestellt werden darf. Nicht bestreiten können wird er den Umstand, dass es tatsächlich eine Geschichte des sich auf den Propheten Mohammed berufenden internationalen Terrorismus gibt. Wenn er trotzdem meint, durch eine derartige Darstellung würden religiöse Gefühle verletzt, muss er in einer aufgeklärten Gesellschaft den Weg zum Gericht gehen. Dort klärt die Gesellschaft, was erlaubt ist und was nicht.

Wenn das Gericht nun erklärt, die Darstellung falle nicht unter das Gesetz, kann man weiter seine abweichende Sicht darstellen, aber man wird tolerieren müssen, dass es eine andere Sicht der Dinge gibt - und die Gesellschaft hat einen Anspruch darauf, dass man dies akzeptiert!

Man kann Journalisten, Karikaturisten oder Schriftsteller bitten, Bilder oder Schriften zu unterlassen, die die religiösen Gefühle von Menschen verletzen, man kann sie auffordern, im Interesse des Zusammenlebens der Völker und Kulturen zurückhaltender zu sein. Bereits im Falle Salman Rushdies ist diese Bitte allerdings an sich schon problematisch und es ist beklemmend, sich auszumalen, auf was wir historisch hätten verzichten müssen, hätte man auf derartige Proteste Rücksicht genommen. Wer meint, man müsse auf die vermeintlich Schwachen im Geiste Rücksicht nehmen, der muss auch den kulturellen Verlust verantworten, der mit dieser Rhetorik einhergeht. Kultur nur solange sie nicht stört ist ein schlechtes Motto für eine zivilisierte Gesellschaft.

Wenn aber jemand, der sich an die Bitte um Zurückhaltung aus künstlerischen Gründen nicht halten kann, mit Gewalt oder dem Tod bedroht wird, gehört ihm unsere Solidarität. Wir können den dänischen Karikaturisten vorhalten, die falschen Bilder gewählt und antiarabische Klischees bedient zu haben. Das ist wahr und muss deutlich gesagt werden. Aber nachdem sie ihre Meinung im Bild geäußert haben, ist es unsere Pflicht, sie gegen alle existentiellen Bedrohungen in Schutz zu nehmen.

Satire und Blasphemie sind grundlegende Menschenrechte, die auch der religiöse Mensch verteidigen muss, weil er sich im Gegenzug auf das Menschenrecht der Religionsfreiheit verlassen können muss. Mein Recht, eine Gesellschaft als gottlos zu kritisieren, korrespondiert dem Recht der Menschen, sich als gottlos zu begreifen.  

Deutlich ist, dass es für den Konflikt zwischen Meinungsfreiheit und Religion Regelungen geben muss. Und die sollten im Zweifelsfall zugunsten der Meinungsfreiheit ausfallen. Die Unterdrückung von Meinungsfreiheit ist nicht tolerierbar, zu viel steht dabei auf dem Spiel. Die Auseinandersetzung mit der abweichenden – auch satirisch oder ironisch artikulierten - Meinung ist in einer zivilisierten Gesellschaft eine des Austauschs der Argumente.

Insoweit es in den Religions-Medien-Konflikten um einen Konflikt der Religion(en) mit der Gesellschaft und auch mit der Kultur geht, müssen die Religionen anerkennen, dass sie nicht Wahrheiten an sich, sondern nur Wahrheitsansprüche innergesellschaftlich gelten machen können, die auf andere Wahrheitsansprüche stoßen. Der Anspruch auf Wahrheit ist seit der Moderne für alle kulturellen Sparten einschließlich der Religionen gleich.

Die große Gefahr in diesen Konflikten ist es, dass zur Beruhigung aller die Freiheit der Kunst und der Meinung geopfert wird. Was ist schon Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit im Vergleich zum friedlichen Zusammenleben der Völker? könnte man fragen. In diesem Sinne hatten niederländische Politiker nach der Ermordung des Regisseurs Theo van Gogh die Verschärfung der Blasphemiegesetze gefordert. Ganz nach dem Motto: Wenn Theo van Gogh die Muslime nicht herausgefordert hätte, dann wäre er auch nicht ermordet worden. Der Großimam der Universität in Kairo schlug zur Lösung des Karikaturen-Streits ein weltweites Verbot von Beleidigungen religiöser Empfindungen vor.

Man muss allerdings sehen, dass "religiöse Empfindungen" historisch immer so definiert wurden, dass es zu einer Verurteilung ausreichte.

Religionen sollten diesem Begehren nach Verschärfung der Gesetze zum Schutze der Religion nicht folgen. Und Künstler, die sich die Freiheit nehmen, die Religion zu kritisieren, in Form von Satiren, von kritischen Interventionen oder Karikaturen, sollten sich darauf verlassen können, dass die Religionen im Konfliktfall ihre Meinungsfreiheit offensiv verteidigen – auch wenn sie diese Meinung nicht teilen.

Das Schlimmste, was uns kulturell passieren könnte, wäre die Schere im Kopf der Künstler. Künstlerische Arbeit bedeutet, mehr zu tun, als das, was im Augenblick gesellschaftliche Konvention ist. Ob eine Gesellschaft das zulässt, entscheidet darüber, ob sie eine freie ist – oder  eben nicht.

Zuletzt bearbeitet 10.06.2007
© Andreas Mertin