Virtuelle Lernräume konzipieren und gestalten

Vortrag auf der rpi-virtuell-Fachkonferenz 2004

von Andreas Mertin


Als ich begann, meinen Impuls für den heutigen Tag vorzubereiten, dachte ich, dass ich selbst am einfachsten auf den aktuellen Stand virtueller Lernräume komme, wenn ich sie aufsuche. Nur in virtuellen Lernräumen lernt man etwas über virtuelle Lernräume.

Erster Anlauf

Ich informiere mich also noch einmal grundlegend über E-Learning, also insbesondere die Web-basierten bzw. Computer-basierten Trainingsanwendungen (WBT, CBT) respektive die Computer Unterstützte Ausbildung (CUA) und folge dann, weil ich ja "virtuelle Lernräume" kennen lernen will, einem Link auf ein ePortal zum virtuellen Raum, das von der Schweizer Firma teachforce angeboten wird.

Versprochen werden "Live Lektionen: ausgewiesene Fachexperten geben zum angegebenen Zeitpunkt Kostproben Ihrer Kompetenz zu interessanten Themen" bzw. "Aufzeichnungen von bereits durchgeführten Veranstaltungen oder vorbereitete Aufzeichnungen zu allgemeinen Themen oder zur Funktionalität der von uns eingesetzten Technologie von Interwise." Tatsächlich wird jedoch nur eine einzige aufgezeichnete Veranstaltung angeboten. Da diese aber den Titel "Weiterbildung am Scheideweg" trägt, klicke ich auf den entsprechenden "Playback"-Link.

Das war ein Fehler. Zunächst einmal heißt es freundlich: "Willkommen am Eingang zum virtuellen Raum der Teachforce. Am Mittwoch, 6.10.04 präsentierten Uli Hoffmann und Uwe Wilhelm von Performnet interessante Thesen für Bildungsanbieter. Starten Sie die Aufzeichnung über den Knopf Playback im Kopf dieser Seite. Zu Beginn wird die Aufzeichnung heruntergeladen - haben Sie einen Augenblick Geduld."

Dann schaufelte mir der Veranstalter 5 Megabyte Software ohne weitere Erläuterungen auf meinen Computer in einen Ordner auf der Root-Ebene, legte das Programm dann ungefragt in meinem Autostart-Ordner und im Systray ab. Dann startete der virtuelle Lernraum. Dieser generierte sich schlichtweg aus einem mehrfach geteilten Bildschirm, mit einer Menusteuerung, einer Dateiübersicht und einem Hauptfenster, in dem eine Powerpointpräsentation ablief. Ein nicht sichtbarer Herr las mir dann die einzelnen Zeilen der Powerpointpräsentation vor. Es handelte sich um lauter Banalitäten, die ein Merkblatt auf einer halben Seite zusammengefasst hätte. Dann wechselte das Szenario und ein zweiter Sprecher trat auf, zunächst einmal geschah gar nichts, weil er sich sofort in der Steuerung des Moduls verhaspelte, willkürlich Seiten aufrief und wieder stornierte. Als er endlich fertig war, las auch er in aller Ruhe die Punkte einer Powerpointpräsentation vor.

Ich brach das Seminar sofort ab und entfernte mich aus dem virtuellen Seminarraum. Die nächsten 20 Minuten war ich damit beschäftigt, die Spuren dieses weniger virtuellen als vielmehr alptraumhaft realen Geisterszenarios von meinem Computer zu entfernen.

Zweiter Anlauf

Ich stoße auf ein Arbeitsblatt zum Thema "E-Learning und Blended Learning" und dabei auch auf einen Link zu einem Text eines renimmierten Fachverlages mit einem Blatt zu 1 Todsünde und 10 goldene Regeln für das e-learning. Das interessiert mich als Theologen natürlich und ich erfahre, dass die Todsünde (offenkundig die einzige!) darin besteht, bereits vorhandene Lehrmaterialien für das e-learning zu verwenden.

Sofort breche ich diese Erkundung ab, auch wenn die folgenden 10 goldenen Regeln durchaus stellenweise beherzigenswert sind. Wenn die Todsünde im Verwenden vorhandener bewährter Lehrmaterialien besteht, lebe ich lieber in der Sünde. Ich schalte den Computer aus und mache mir meine eigenen Gedanken zu virtuellen Lernräumen, basierend auf dem, was ich selbst im Internet und in der Vermittlung von Online unterstütztem Lernen so treibe. Also: Reset und Neuanfang:

Virtuelle Lernräume konzipieren und gestalten

Als Virtuelle Realität (VR) wird die Darstellung und gleichzeitige Wahrnehmung der Wirklichkeit und ihrer physikalischen Eigenschaften in einer in Echtzeit computergenerierten Virtuellen Umgebung bezeichnet. Diese Idee einer virtuellen Realität halte ich auch für Lernräume für eine weiterhin zu verfolgende regulative Idee. Mit "regulativer Idee" meine ich, dass "Virtuelle Realität" das Fernziel unserer Bemühungen um religionspädagogische Bildungsprozesse im Internet sein muss. Allerdings ist dies für aktuelle schulische Lernprozesse immer noch Utopie. Allenfalls ein schwacher Abglanz dessen ist bis dato zu verspüren. Allein die technischen Möglichkeiten lassen es nicht zu, die Stärken virtueller Realität zum Tragen kommen zu lassen. Man muss sich einmal Bildungsproduktionen des Fernsehens wie etwa der von der BBC produzierten Reihe "Geheimnisvolle Welt" mit ihren virtuellen Schauräumen ansehen, um einen Maßstab zu gewinnen, was virtuelle Lernräume im Internet sein könnten.

Reale Lernräume gründen dagegen vor allem auf einer face to face Kommunikation, die u.a. auch viel mit Körpersprache, Zwischentönen, direkten Kommunikationsbeziehungen, ja überhaupt mit Körperlichkeit zu tun hat - worin nicht zuletzt dauerhaft ihre unbestreitbaren Vorteile liegen. Demgegenüber müssen virtuelle Lernräume auf diese Art der direkten körperorientierten Kommunikation verzichten (in schulischen Kontexten lassen sich Videokonferenzen als Substitut der Realpräsenz nur äußerst selten realisieren).

Virtuelle Lernräume müssen sich also durch andere Vorteile auszeichnen. Dazu gehört etwa die selbstbestimmte und vor allem zeitlich nicht eingeschränkte und gebundene Nutzung. Virtuelle Lernräume erlauben es im besten Falle, selbst gesteuert zu lernen, im Kontinuum der Lernräume jenen Punkt aufzusuchen, der meinem aktuellen Wissenstand entspricht oder jenen Zeit-Punkt, dem mein persönliches Interesse gilt, und von dort weiter zu arbeiten.

Virtuelle Lernräume müssen zugleich die Schwächen des Internets kompensieren und dessen Stärken nutzen. Als elementare Schwächen sehe ich zunehmend an: die fehlende (historische wie systematische) Linearität, die mangelnde Qualitätssicherung, die unzureichende Selbsteinschätzung der User und – nach den einleitend geschilderten Erfahrungen – auch die weitgehend wenig ansprechende Gestaltung. Als mögliche Stärken sehe ich das unermessliche Informationspotential, die Lösung von Zeit und Raum (überall und jederzeit kann auf das Internet zugegriffen werden), sowie die Möglichkeit der Verknüpfung von Daten und Fakten, die es in der Struktur eines Labyrinths dem Nutzer überlassen, welchen Links er folgen will und welchen nicht. Das bedeutet aber für die Konzeption und Gestaltung besondere Herausforderungen.

Das Museum – ein Modell für den virtuellen Lernraum?

Als Beispiel – nicht zuletzt deshalb, weil ich selbst in diesem Bereich im rpi-virtuell arbeite – wähle ich den virtuellen Lernraum der die Religion betreffenden Geschichte der Kunst von ihren Anfängen bis zur Gegenwart. Ich orientiere mich dabei zunächst an zwei Dingen: an dem realen Kunstmuseum, so wie es uns heute im Zeitalter des Kunsttourismus und der ausgefeilten Museumspädagogik vertraut ist, und an der virtuellen Museumsbegehung und –erschließung, wie sie etwa der Louvre auf einer DVD vorgelegt hat, bei der man im Rahmen einer visuellen Videobegehung sich dem Gebäude, den einzelnen Artefakten und ihrer Inszenierung nähern kann. [Dabei geht es mir vorrangig nicht um Professionalität – mir ist klar, dass die Lernräume einer Plattform für den Religionsunterricht nicht mit denen einer Weltinstitution wie dem Louvre konkurrieren können.]

Was aber vermittelt uns der reale wie virtuelle Lernraum Museum? Ein Museum, so könnte uns etwa die Enzyklopädie Wikipedia belehren, ist eine Institution, die eine Sammlung interessanter Gegenstände für die Öffentlichkeit ausstellt. Ziel eines Museums ist es, Gegenstände aus zumeist vergangenen Zeiten zu einem bestimmten Thema fachgerecht und dauerhaft aufzubewahren und den Besuchern in Dauer- oder Wechselausstellungen zugänglich zu machen. In gewisser Weise müssen Museen auch dem Zeitgeschmack Rechnung tragen und den Besuchern eine klare Struktur, Querverbindungen und auch die Möglichkeit zu eigenem Tun bieten. Sie sollen den Ablauf unserer historischen, technischen, soziokulturellen, unserer physischen, religiösen und philosophischen, aber auch unserer künstlerischen Entwicklung aufzeigen. Eine Sonderform der "normalen" Museen stellen die Museen für Kinder und Jugendliche dar, in denen weniger historische Kostbarkeiten präsentiert werden, sondern Exponate, die Kindern Spaß machen, sie zum Staunen bringen und spielerisch Wissen vermitteln (z.B. das lebensgroße, begehbare Modell einer Höhle aus der Steinzeit).

Ein virtuelles Museum hat demgegenüber etwas andere Aufgabenstellungen. Vermittlungsgegenstand ist nämlich paradoxerweise nicht der interessante Gegenstand, sondern das reale Museum. Ausstellungsgegenstand der DVD über den Louvre ist der Louvre selbst und vorrangig nicht die Sammlung. Die wird als Teil des darzustellenden Gegenstandes Louvre vorgestellt. Denn auch ein reales Museum wie der Louvre ist an die realpräsentische Präsentation seiner Objekte gebunden. Nur virtuell präsentiert, hätte die Mona Lisa vieles von ihrem Reiz verloren. Dennoch vermag die virtuelle Präsentation manches von der faszinierenden Atmosphäre der Begegnung mit Bildender Kunst und natürlich ein geradezu unerschöpfliche Fülle an Informationen über diese vermitteln. Anders als gegenüber den Kunstwerken im Louvre selbst, kann man sich den Abbildungen der Artefakte virtuell bis auf Pixelgröße nähern. Das hat viele Vorteile.

Das Konzept der Artothek

Und diese Vorteile der relativ direkten, geradezu intimen Annäherung an Kunstwerke macht sich auch die Artothek des rpi-virtuell zu nutze. Entwickelt wurde dafür ein einfaches perspektivisch anmutendes Museum, das in Flucht von Räumen die Kunstgeschichte der Menschheit exemplarisch vor Augen führt. Diese Raumkonzeption wurde nicht zuletzt deshalb gewählt, um der Tendenz zur Entlinerarisierung des Internets zu begegnen. Im Internet sind Renaissance und Romantik, Romanik und Barock immer gleich nah. Selbst auf den beliebten Zeitlinien im Internet ist Geschichte immer nur abstrakt präsent. Nur in einer räumlichen (d.h. simuliert körperlichen) Erstreckung ist Geschichte wenigstens ansatzweise als lineare erfahrbar. [Mir ist bewusst, dass Linearität in der Geschichte auch nur ein Konstrukt ist.]

Das Museum beginnt mit der Vorgeschichte der Menschheit, den Hervorbringungen der Steinzeitkultur in Europa, genauer in Frankreich und Spanien. Obwohl sich schon hier Kunst und Religion begegnen, findet man die Steinzeit selten im Fokus des Religionsunterrichts. Im nächsten Raum werden die frühen Hochkulturen vorgestellt, dann die griechische und die römische Kunst. Natürlich geht es dabei nicht um eine umfassende Einführung in die jeweilige Zeit mit ihren Werken (das ist die Aufgabe des Kunstunterrichts und muss von ihm geleistet werden), sondern um ein Gefühl für die künstlerischen Gestaltfindungen der jeweiligen Zeit.

Die christliche Kunstgeschichte setzt im virtuellen Museum ein mit der Kunst der Katakomben, einigen Mosaiken aus Ravenna und natürlich der frühmittelalterlichen Buchmalerei. Dabei stößt der Besucher nicht nur auf Werke der bildenden Kunst, sondern auch auf Architektur. Parallel zur Bildenden Kunst bekommt man so auch einen Eindruck von anderen Gestaltfindungen des Christentums. Mit der Romanik und der Gotik kommt man zu den ersten großen Gestaltbildungen des Christentums, mit Renaissance, Barock und Rokoko, dem 19. und 20. Jahrhundert dann zum Emanzipationsprozess der Bildenden Künste aus der Vorherrschaft der christlichen Religion. Konsequent werden daher im Museum das 19. und 20. Jahrhundert als postchristliche Kunstgeschichte vorgestellt.

Nichtsdestoweniger ist das Museum in der Auswahl der Exponate auf die christliche Ikonografie fokussiert bzw. darauf, was von ihr in der Moderne übrig blieb. Das ist natürlich ein Tribut an das Fach Religion, für das das Museum ja eingerichtet wurde.

Das Museum hat darüber hinaus zwei weitere eigenständige "Flügel", die sich zum einen mit der ARS SACRA, der religiösen Kunst der Gegenwart und zum anderen mit zeitgenössischer autonomer Kunst beschäftigen und dazu jeweils temporäre und dauerhafte Ausstellungen anbieten.

Ganz allgemein wird jeder Raum museumspädagogisch mit knappen Worten und weiterführender Literatur und Links vorgestellt, die wichtigsten Werke können in höherer Auflösung heruntergeladen werden. In zahlreichen Räumen findet der Besucher darüber hinaus so genannte verborgene Links, sozusagen Geheimgänge - etwa zur Höhle von Lascaux, den Pyramiden in Ägypten, zur künstlerischen Welt von Hieronymus Bosch oder Marcel Duchamp und vieles mehr. Diese verborgenen Links sind durch ein kaum wahrnehmbares Spinnennetz angedeutet. Es macht also Sinn, nicht nur durch das Museum zu schlendern und sich das eine oder andere Bild vergrößert anzuschauen, sondern in den einzelnen Räumen tatsächlich nach weiteren Abzweigungen zu suchen. Angeboten werden diese verborgenen Links natürlich insbesondere im Blick auf die erhoffte jugendliche Klientel.

Eine besondere Stärke der Artothek sind die interaktive Module, mit denen sich einzelne Kunstwerke systematisch, aber zum Teil auch spielerisch erschließen lassen. Das reicht von der Gliederung eines Bildes in seine thematischen Bereiche über die Wahrnehmung seiner Farbgestaltung bis zum einfachen Puzzle. In diesem Bereich – der programmtechnisch zugleich der aufwändigste ist – wird sicher noch einiges passieren.

Den notwendigen Überblick über das gesamte Museum leistet ein Info-Raum. Ein so genannter Raum des Museumswächters zeigt an, was jeweils neu im Museum ist. Denn das Museum soll laufend um weitere Kunstwerke und vor allem nach und nach auch durch religionspädagogische Erschließungen und Impulse ergänzt werden.

Ein grundlegender Gedanke der Artothek als virtuellem Lernraum ist seine prinzipielle Erweiterbarkeit für Lehrer und Schüler. Ein Museum bleibt museal im schlechten Sinn des Wortes, wenn es nicht persönlich angeeignet und erweitert werden kann. Eine Werkstatt des Museums bietet daher den Nutzern an, eigene Ausstellungsräume zu entwerfen und stellt dazu die notwendigen Dateien und Instrumentarien zur Verfügung. Wer also mit seiner Klasse oder Schule ein Projekt organisiert hat, kann die Ergebnisse dieses Projektes in einem eigenen Raum ausstellen, gleichgültig ob es sich um Abbildungen von Realien oder von Bildern handelt.

Im Idealfalle könnte so ein wucherndes vernetztes System religiöser Lernräume entstehen. Sie erst werden darüber Auskunft geben, inwieweit im Religionsunterricht dieses Projekt auch genutzt und umgesetzt wird. Bisher sieht es jedoch so aus, als ob das Museum zwar rege zum Spazieren und zur Betrachtung einzelner Werke oder thematischer Werkgruppen genutzt würde, die Konzeption und Gestaltung eigener Räume bleibt aber ein Desiderat. Erst ein einziger Raum - zudem noch von einem rpi-virtuell-Aktivisten ist bisher entstanden. Das hat sicher auch etwas mit der Komplexität der Konzeption und Gestaltung derartiger Räume zu tun.

Die Artothek – ein virtueller Lernraum?

Ist die Artothek also de facto ein virtueller Lernraum? Zur Zeit sicher nicht! Das liegt unter anderem daran, dass sie noch nicht genügend ausgebaut ist. Und das betrifft weniger die Zahl der Artefakte – hier kann sie mit vielen städtischen Museen inzwischen konkurrieren. Es betrifft vor allem die Erschließung der einzelnen Werke, die Hilfestellung für ihre Wahrnehmung und vor allem betrifft es die Möglichkeiten, den Besuch als Studienbesuch zu gestalten.

Im Augenblick ist der virtuelle Lernraum Artothek eher ein optischer Steinbruch für an Bildern interessierte Lehrer. Die Artothek ist auch nett für gelegentliche Spaziergänge, zum Ausruhen nach einen hektischen Schultag, eine interessante Adresse für ein bestimmtes Unterrichtsprojekt, aber noch kein wirklicher Lernraum.

Ein Kernproblem ist aber vor allem die unklare Adressierung. Wer ist Adressat eines derartigen Projekts? Hier erweist sich die Artothek als Zwitter, der sich sowohl an bilderhungrige Lehrer als auch an Interessierte der religiösen Kulturgeschichte wendet. So enthalten die Infoseiten weitaus häufiger Hinweise darauf, wie man etwas im Unterricht einsetzen kann, als Informationen zur eigenen Erschließung der ausgestellten Werke. Diese Unklarheit beeinträchtigt die Konzeption. Stattfinden müsste eine Entkopplung von Religionspädagogik und eigenem Lernen in der Artothek. Wie in einer Art Paralleluniversum müsste es eigentlich zwei Museen geben: eines für Religionslehrer und eines für religiös Interessierte (Überschneidungen selbstverständlich vorausgesetzt). Verborgen für den normalen Nutzer müsste es eigentlich ein religionspädagogisches Erschließungsprogramm geben, das beispielsweise wie die Studienzimmer nur mit Passwort und Emailadresse zugänglich ist. Schüler und andere Interessierte brauchen keine Informationen darüber, zu welchen Themen des Religionsunterrichts sich welches werk eignet und wie man es sich religionspädagogisch erschließen sollte.

Für den normalen Nutzer brächte man dagegen so etwas wie einen Online-Führer, so wie die inzwischen zum Standard gehörenden Kopfhörer bei realen Museen. Beim Betreten eines Raumes müsste – so wie es auch die DVD des Louvre anbietet – das Angebot bestehen, sich per Ton den Raum vorstellen zu lassen. Das muss der nächste Schritt der Entwicklung der Artothek als virtueller Lernraum sein.

Darüber hinaus müssten – analog zu den virtuellen Führungen im rpi-virtuell – Notizen und eigene Beschreibungen möglich sein, vor allem wäre eine Funktion sinnvoll, die dem Nutzer zeigt, wo er bisher überall schon gewesen ist. Das aber ist natürlich Zukunftsmusik.

(K)Ein virtueller religiöser Lernraum

Nach dem Durchgang durch den kunsthistorischen Lernraum nun die Frage, die einige von uns sicher mehr interessiert: kann es einen analogen religiösen Lernraum geben?

Kunsthistorisch wie raumhistorisch fällt das ja noch leicht. Die Geschichte der jüdisch-christlichen Religion kann in einem gewissen Sinne als eine Geschichte „religiöser Räume“ gelesen werden. Vom „flexiblen Wohnen der Erzväter“, den „Wahrzeichen Ägyptens“ und dem „Panorama Libanons“, über den „Genius Loci der Antike“ und die gotische „Charakterschrift des Mittelalters“ sowie den „neuen Illuminationen“ der Renaissance bis hin zu den „Stadtgesichtern der (Post)Moderne“ lässt sich ein faszinierendes Bild menschlicher Religionsgeschichte als Raumgeschichte entwerfen.

Wie aber sieht es mit der geistesgegenwärtigen Visualisierung religiöser Einsichten und Überzeugungen aus? Wie müsste ein virtueller religiöser Lehr- und Lernraum aussehen, der die Einsichten der jüdisch-christlichen Erzählwelt ebenso eindrücklich wie sinnlich vermittelt?

Das Kernproblem der Gestaltung ansprechender religiöser Lernräume in der Gegenwart ist, dass dem Christentum seit nahezu 100 Jahren die Kompetenz zur geistesgegenwärtigen Visualisierung von Religion verloren gegangen ist. Nach elf Jahren World Wide Web gibt es immer noch keinen religiösen virtuellen Lernraum zum Thema Jesus Christus, der dem Glauben des 20. und 21. Jahrhunderts und den Erkenntnissen der zeitgenössischen Theologie auch nur ansatzweise entsprechen würde.

Was wir im rpi-virtuell bräuchten, wären daher Visualisierungskonzepte für religiöse Tatbestände im virtuellen Raum. Keine Powerpointpräsentationen, die Punkt für Punkt vorgelesen die Rechtfertigungslehre darstellen, sondern wirkungsmächtige neue Visualisierungen der Rechtfertigungserfahrung. Anknüpfen müsste man an die bewährte mittelalterliche Fähigkeit der damals noch katholischen Kirche, komplexe dogmatische und religiöse Tatbestände in eindrücklichen Bildern zu entfalten. Bilder, die den Betrachter zum Erschließen einladen, die zeitgenössisch und geistesgegenwärtig sind. Daran aber mangelt es zur Zeit. Die Bilder, über die das Christentum zur Zeit verfügt, sind allenfalls nachgängig und kaum eindrücklich. Ihre visuellen Stärken liegen in der Vergangenheit – was die Konjunktur der Kirchenpädagogik und den Erfolg der Artothek begründet. Dabei können wir aber nicht stehen bleiben.

Virtuelle religiöse Lernräume in einem ansprechenden Sinne sind eine der kommenden Herausforderungen für das rpi-virtuell.