"Du hast keine Chance - nutze sie"

Erlösung im populären Film

von Andreas Mertin

[ in: Religionspädagogik Rundbrief.
Informationen für Religionslehrerinnen und Religionslehrer im Bistum Hildesheim Januar/2004]

Von Erlösung handeln - glaubt man einer weit verbreiteten These zum Hollywoodfilm - schlichtweg so gut wie alle Kinofilme. Da jede Handlung einer - vom Mainstream diktierten - erzählerischen Logik unterliegt, muss eine Heldin, ein Held aufbrechen, Schwellen überwinden, Gefahren überstehen, leiden und schließlich erlöst werden: "Die Auflösung des zentralen Problems geschieht kurz vor dem Ende des Films. Mit der Auflösung wird der Zuschauer emotional und kognitiv belohnt: Er wird 'erlöst'. Seine wesentlichen Fragen werden beantwortet, seine Erwartungen und Wertorientierungen bestätigt."[1] Faktisch - so wird man einräumen müssen - funktionieren die Mehrzahl der Hollywood-Fabrikate so. Diese Form der Erlösung ist freilich billig - sie ist in gewisser Weise strukturell vorgegeben. Sie verweist angesichts ihres Erfolgs zudem auf die Erlösungsbedürftigkeit des Publikums: "Alle Gefühle glauben an einen glücklichen Ausgang und alle glauben stillschweigend an ein ewiges Leben" (Alexander Kluge).[2]

Jenseits dieses filmimpliziten Erlösungsautomatismus der Mainstream-Produktionen gilt es aber auch nach realen Erlösungssituationen und -perspektiven im populären Kino zu fragen, danach, wo das Happyend nicht schon die Erlösung auf triviale Weise symbolisiert. Bevor ich im folgenden meinen Vorschlag zum Thema "Erlösung" im populären Kinofilm vorstelle, möchte ich auf ein Buch hinweisen, dass sich explizit - am Beispiel von so genannten Programmfilmen - mit diesem Thema beschäftigt. Inge Kirsners Dissertation "Erlösung im Film"[3] geht am Beispiel von Filmen wie "Blast of Silence", "Die Kommissarin", "Jesus von Montreal" und "Solaris" unserer Fragestellung nach. Die Analogie von Film und Theologie sieht Kirsner dabei vor allem in der Kultur der Krise, die beide pflegen: "Die Krise wird zum möglichen Einbruchsort des Transzendenten, der Augen-Blick der Einbruchszeit". Und sie zitiert zustimmend aus Wolfgang Schüttes Besprechung von Kieslowskies "Drei Farben: Blau": "Der Einbruch der Transzendenz ins Subjekt geschieht an der Schwelle einer persönlichen Krise: das Leben, wie es ist und war, wird hinfällig - hinfällig angesichts des Todes, im unbewussten Protest einer Empörung, die den Lauf der Dinge nicht mehr hinnehmen will; ... (es ist) die Metapher der Wiedergeburt, des Bruchs mit der Vergangenheit und des Incipit vita nova". In diesem Sinne deutet sie die besprochenen Filme als Spiegel im mehrfachen Sinne: der menschlichen Befindlichkeit, aber auch im Sinne von 1. Korinther 13, 12 als Spiegel dessen, was wir direkt noch nicht sehen können.

Mein eigener Vorschlag für die Auseinandersetzung mit dem Thema "Erlösung" ist ein Film, der zwar von den Cineasten zum zweitbesten Film der Filmgeschichte gezählt wird, dennoch aber in der öffentlichen Aufmerksamkeit eher ein Schattendasein fristet, und deshalb in der Liste der erfolgreichsten 250 Filme erst gar nicht auftaucht.[4] Dennoch ist es von der Machart und dem Zielpublikum her kein Programmfilm, sondern ein Film des Mainstreamkinos. Mein Vorschlag für das Thema "Erlösung" lautet: The Shawshank Redemption (Die Verurteilten).

Nach einer Kurzgeschichte von Stephen King inszenierte Regisseur Frank Darabont 1994 diesen seinerzeit für sieben "Oscars" nominierten, knallharten Knastthriller, dessen Hauptthema die Hoffnung wieder alle Vernunft ist. "Du hast keine Chance, deshalb nutze sie" könnte auch über diesem Film stehen. Anders als die deutsche Filmschlagzeile "Entscheide Dich, ob Du leben oder sterben willst ... nur darum geht es", lautet die ursprüngliche wesentlich treffender: "Fear can hold you prisoner. Hope can set you free". Mit Tim Robbins und Morgan Freeman in den Hauptrollen ist der Film prominent besetzt. Er ist 142 Minuten lang, in Deutschland ab 12 Jahren freigegeben und auf VHS und DVD erhältlich. Der Regisseur Frank Darabont inszenierte neben diversen "Die Abenteuer des jungen Indiana Jones"-Filmen verschiedenen Kino-Adaptionen von Stephen-King-Vorlagen, darunter auch "The Green Mile" (1999, mit Tom Hanks).

Zum Inhalt: "Zweimal lebenslänglich!" lautet das Urteil für den Bankmanager Andy Dufresne (Tim Robbins). Angeklagt des Doppelmordes an seiner Ehefrau und deren Liebhaber, beteuert er vergeblich seine Unschuld und wird in das verruchte Gefängnis von Shawshank im Bundesstaat Meine eingeliefert. Gleich nach wenigen Tagen im Knast wird Andy von einer Clique sadistischer Männer brutal vergewaltigt und Gefängnisdirektor Norton (Bob Gunton) demonstriert den Neuankömmlingen eindringlich, was er unter Disziplin versteht. Das Leben innerhalb der Mauern ist die Hölle. Nur die Freundschaft mit Red (Morgan Freeman) lässt ihn hoffen. [Klappentext des Videos.]

Die unterschiedlichen Perspektiven auf Hoffnung und ihr Zusammenhang mit dem Menschsein beschreibt Jan Hawemann in seiner Internet-Film-Kritik so: "Am Anfang dieses Filmes gibt es für uns Zuschauer wohl nichts hoffnungsloseres als das Schicksal von Andrew Dufresne - unschuldig mit einem Strafmaß von zweimal lebenslänglich in das Shawshank-Gefängnis eingeliefert zu werden, in dem gleich am ersten Tag jemand totgeprügelt wird, und das unter dem Regime eines glaubensfanatischen Direktors steht. Die Hoffnung der Verurteilten auf bessere Zeiten, auf ein besseres Leben, auf die Entlassung lässt mit den Jahren der menschenunwürdigen und -verachtenden Behandlung nach, da die Hoffnung untrennbar mit dem Menschsein verbunden ist. Andy will jedoch diesen Kreis durchbrechen. Er will sich, sein Menschsein und seine Hoffnung nicht nehmen lassen, und gibt durch das, was er mit seinen mutigen Ausbrüchen in einer Welt voller Mauern erreicht, auch anderen Häftlingen die Hoffnung zurück."[5]

Der Film exponiert seine Charaktere gut, gleich zu Beginn werden sie konzentriert dem Publikum vorgestellt. Gleichzeit oszilliert der Film zwischen Hoffnung und Grauen, zwischen der maßlosen Inhumanität und den kleinen Gesten der Güte. Der Film überzeugt auch durch seine guten filmästhetischen Mittel, durch lange Kameraschwenks und einer dichten atmosphörischen Darstellung. Bei aller Grausamkeit, die das Leben in der Hölle des Gefängnisses charakterisiert, schwelgt der Film nicht in der Gewalt, sondern deutet oftmals nur an, ohne sensualistisch das Motiv auszubreiten.

Nach einer 3/4 Stunde wird die Frage der Erlösung zum ersten Mal gestellt: der religiös fanatische Gefängnisdirektor lässt Dufresnes Zelle filzen und das wenige, was er nicht genauer inspiziert, ist die Bibel, die Dufresne liest. Er gibt sie ihm zurück mit den Worten: "Darin findest Du Erlösung" und Dufresne antwortet: "Ich weiß". Noch ahnt der Zuschauer nicht, wie recht der Direktor mit seinen Worten hat ...

Im Unterricht

Der Film, der mit seinen 142 Minuten natürlich den normalen Religionsunterricht sprengt, enthält verschiedene separierbare Sequenzen, die im Unterricht Verwendung finden könnten.

Als ganzer ist der Film eine Parabel auf den menschlichen Wunsch nach Freiheit, die verschiedenen Formen, wie sich dieser Wunsch artikuliert und realisiert und wie die Hauptfigur auf seine Freiheit hinarbeitet - was am Anfang nur angedeutet und erst ziemlich zum Schluss dramatisch umgesetzt wird. Der Gedanke der (ausgleichenden) Gerechtigkeit kommt im Film zwar zum Ende hin etwas plakativ überzogen zum Ausdruck, hat aber im Film selbst keine tragende Rolle. Die Hoffnung auf Gerechtigkeit ist von den meisten Protagonisten bereits aufgegeben und so flackert sie nur stellenweise bei ihnen auf. Was ihnen bleibt, ist die Hoffnung auf den Abbruch der Geschichte des persönlich erlebten Leidens, also auf die Freiheit vom Leiden.[6]

Zumindest die Exposition des Films mit der Vorstellung der handelnden Figuren sollte man sich im Unterricht ansehen, vielleicht etwa so lange, bis der Gefängnisdirektor seine Begrüßungsrede gehalten hat. Danach kann man immer wieder einzelne Szenen herausgreifen, denn der Film ist mit bedenkenswerten Kleinepisoden gefüllt. Zwei Episoden seien besonders hervorgehoben und für die Behandlung im Unterricht empfohlen: die Entlassung des Häftlings Brooks (0:55:00-1:03:00) und die Episode mit Mozarts Figaros Hochzeit (1:03:00-1:10:00).

Die scheiternde Hoffnung symbolisiert der Häftling Brooks. Er ist einer der Hoffnungsträger des Films, ein sympathischer älterer Mann, der mit sich und der Umwelt im Frieden lebt und ansonsten die Bücherei verwaltet. Als er nach 50 Jahren Haft aus dem Gefängnis entlassen wird, kommt er mit der Welt außerhalb des Gefängnisses aber nicht mehr zurecht und nimmt sich deshalb - nachdem er all den Terror in der Strafanstalt erfolgreich überlebt hat - das Leben.

Die Verbindung von Kultur, Freiheit und Hoffnung greift die sich anschließende Szene auf, in der Dufresne für die Bibliothek, die er im Knast aufbauen möchte, Schallplatten geschenkt bekommt und für seine Mithäftlinge gegen alle Interventionen der Wärter und der Gefängnisleitung Mozarts "Hochzeit des Figaro" spielt. Nach seiner Entlassung aus dem Straf-Block kommt es zu einer Diskussion mit seinen Freunden darüber, was Musik, was Kultur überhaupt für das Menschsein, das menschliche Überleben und das Überleben als Mensch bedeutet.

"Endlich naht sich die Stunde": Am Ende des Films wird Dufresnes tatsächlich aus dem Knast erlöst, aber das ist irgendwie nebensächlich, diese Erlösung ist mehr dem Hollywoodkino oder der literarischen Vorlage geschuldet. Das Thema Erlösung im engeren Sinne ist im gesamten Film als Hoffnung auf Erlösung thematisch, darin hat er seine Stärke. Der Film "Die Verurteilten" thematisiert Erlösung dabei ganz sicher nicht aus explizit christlicher Perspektive, der Vertreter scheinbar christlicher Überzeugungen in Gestalt des Gefängnisdirektors kommt sogar ziemlich schlecht weg. Wenn man von der Perspektive auf Erlösung sprechen will, dann ist es hier eher ein Glutkern des Humanen. "Fear can hold you prisoner. Hope can set you free".

Anmerkungen

  1. Jörg Herrmann, Sinnmaschine Kino, Gütersloh 2001, im Abschnitt "Die Dramaturgie des populären Films", S. 90ff.
  2. Alexander Kluge, Die Macht der Gefühle, Frankfurt 1984, S. 45.
  3. Inge Kirsner, Erlösung im Film. Praktisch-theologische Analysen und Interpretationen, Stuttgart 1996.
  4. Unter den kommerziell erfolgreichsten Filmen, die die Internet-Movie-Database verzeichnet, taucht "The Shawshank-Redemption" nicht auf. Wer sich dagegen die Liste der besten Kinofilme anschaut, findet den Film auf Platz 2 und das immerhin seit nun 10 Jahren. Weitere Informationen finden sich unter http://us.imdb.com/Title?0111161
  5. http://www.hawemann.com/jan/kino/95/verurteilten.html
  6. Zu verweisen wäre an dieser Stelle auf Walter Benjamins Protest gegen die Vorstellung von der Erfüllung der Geschichte und auf die von ihm dagegengesetzte vom Abbruch der Geschichte, nämlich, dass der wahre Fortschritt erst die Erlösung der Menschheit von Geschichte überhaupt sei.

Zuletzt bearbeitet 24.01.2005
© Andreas Mertin