2000

Der Mensch: Ein Virus?

Menschenbilder im populären Kino der Gegenwart

von Andreas Mertin

Vortrag auf der Sommerakademie "Was ist der Mensch? Theologische Anthropologie"
Wangerooge 2000


1. Die Grundlage: Die Anthropologie des Films gibt es nicht

Bevor man an einzelnen Beispielen das Thema "Mensch(enbild) im Kino" angehen kann, muss man sich über einige Grundlagen verständigen. Dazu gehört zunächst und vor allem die Einsicht, dass sich so etwas wie eine (explizite oder implizite) Anthropologie des Kinos heutzutage nicht mehr schreiben lässt. Anders als vielleicht noch zu Zeiten Siegfried Kracauers[1] kann heute Allgemeinverbindliches und vor allem Genreübergreifendes nicht mehr formuliert werden.

Schon allein die Auswahl der einer derartigen Betrachtung zugrunde zu legenden Filme fiele schwer. Auf welche Filme sollte man sich in seiner Analyse beziehen? Auf die populärsten Filme der Kinogeschichte? Wir wissen nicht genau, welche das sind, weil die Mehrzahl der Länder dieser Erde zwar die Umsätze erfasst, die mit Kinofilmen gemacht werden, nicht aber die Eintrittszahlen. So wissen wir nur, welches die zur Zeit kommerziell erfolgreichsten Kinofilme aller Zeiten sind: An erster Stelle natürlich Titanic und auf den weiteren Plätzen mit Abstand Star Wars I, Jurassic Park und Independence Day. Über Platz fünf sind Amerika und der Rest der Welt nicht einig. Während Amerika den ersten Star Wars Film des Jahres 1970 an Platz Fünf setzt, ist für den Rest der Welt der König der Löwe auf diesem Platz. Mit Ausnahme des Star Wars Films von 1970 erscheint aber keiner dieser Filme auf der Top-250-Liste, die die Kinofans erstellen. Zu den besten Filmen der Kinogeschichte zählen die Fans dagegen den Paten I, Die Verurteilten, American Beauty, Schindlers Liste, Casablanca, Citizen Kane und Star Wars. Ein kommerziell erfolgreicher Film und ein von den Fans als gut bewerteter Film ist offensichtlich nicht dasselbe. Was aber gibt Auskunft über die Einstellungen und Haltungen der Menschen, woran erarbeiten sie Grundmuster ihrer Lebensdeutungen? Wer über "Menschenbilder im Kino" sprechen möchte, muss die Bezugsgrößen seiner Analysen benennen können. Dabei wäre es ein wenig überzogen, Hollywood (als Hauptproduzenten unserer Kinofilme) ein einheitliches Bewußtsein zu unterstellen. Dass Hollywood eine Botschaft habe, ist selbst ein Hollywoodmythos. Fakt ist, dass zwischen einem Film wie "Im Auftrag des Teufels" und einer Arbeit Woody Allans so gut wie keine Gemeinsamkeit besteht, dass die Grundauffassung von "Matrix" mit dem Film "König der Löwen" kaum harmonisierbar ist.

Naheliegender ist da der Gedanke, dass sich je nach Genre Schwerpunkte in Bezug auf die Bildung bestimmter Menschenbilder finden lassen. Die wichtigste Filmdatenbank im Internet, die Internet Movie Database,[2] klassifiziert die Sparten folgendermaßen (wobei jedem Film mehrere Begriffe zugewiesen werden können): Action, Adventure, Animation, Comedy, Crime, Documentary, Drama, Family, Fantasy, Film-Noir, Horror, Independent, Musical, Mystery, Romance, Sci-Fi, Short, Thriller, War, Western. Und tatsächlich wird man zum Beispiel ausgerechnet im Genre des Science-Fiction-Films eine ausgeprägte Skepsis bezüglich der menschlichen Zukunft etwa im Blick auf das Mensch-Maschine-Verhältnis feststellen können. Das beginnt nicht erst mit "Blade Runner", in dem Mensch und Maschinen ununterscheidbar werden, oder in "Terminator I / II", in dem die Maschinen den Kampf gegen die Menschen schon gewonnen haben, und es findet einen dramatischen Höhepunkt im Kultfilm "Matrix". Aber es gibt genauso Gegenpositionen im Genre des Science-Fiction. Eine einheitliche Linie gibt es nicht.


2. Entdeckungszusammenhänge: Die Liebe, die Natur, das Erhabene

Auf der Suche nach möglichen religiösen Grundzügen hat JÖRG HERRMANN in seiner Doktorarbeit[3] die populärsten Kinofilme der letzten zehn Jahre untersucht. Im Ergebnis differenziert er zunächst nach expliziter und impliziter Religion. Zum Vorkommen expliziter Religion im populären Film der Gegenwart stellt er fest:

"Der populäre Film bezieht sich in eklektizistischer Weise auf das symbolische Material der jüdisch-christlichen Tradition. Eine zentrale Rolle spielen diese Referenzen jedoch in der Regel nicht. Insgesamt gesehen sind sie von marginaler Bedeutung. Ausnahmen - siehe "Pulp Fiction" - bestätigen die Regel."

Im Blick auf die implizite Religion arbeitet Herrmann drei Entdeckungszusammenhänge für die theologische Arbeit heraus: die Liebe, die Natur und das Erhabene:

"Die Liebe ist die zentrale Sinninstanz des populären Films der 90er Jahre ... War die kulturelle Codierung der Liebe noch im 19. Jahrhundert eine Sache der Schriftkultur, so wird sie heute zu wesentlichen Anteilen von den audiovisuellen Medien geleistet. Das populäre Kino der 90er Jahre hat in diesem Zusammenhang eine prominente Stellung als Sinnagentur für die Codierung der "großen Liebe". Zur lebensweltlichen Realität verhalten sich diese Codierungen wie die utopischen Bilder einer Religion. Es gibt die große Liebe nur im Kino. Das Kino ist die Kirche der Liebesreligion."

"Die Natur macht der Liebe als höchstem Wert und Sinnquelle im populären Kino Konkurrenz ... Die naturreligiösen Tendenzen der untersuchten Filme können als weiterer Hinweis auf die Notwendigkeit [einer theologischen Auseinandersetzung mit der Natur] gelesen werden. Sie verweisen darüber hinaus insbesondere auf den Aspekt der Nähe von Natur und Religion."

"Mit dem Erhabenen als ästhetischer Kategorie kommt außerdem auch noch einmal der visuelle Aspekt der untersuchten Filme gesondert in den Blick. ... Der durch Ungeheuer, Außerirdische oder Katastrophen ausgelöste Schrecken wird im Fortgang der Handlung durch Aktionismus, geniale Einfälle, heroische Kampfhandlungen und Liebesschwüre domestiziert. Es bleibt mithin keine Irritation zurück. Die filmische Vernunft triumphiert vollständig über den von ihr simulierten Schrecken. Man geht getröstet aus dem Kino: es ist ja noch einmal gut gegangen ... Diese Figur von Bedrohung und Tröstung, von Thrill und Happy-End ähnelt dabei nicht nur der Dramaturgie des Erhabenen nach Kant, sie weist auch strukturelle Parallelen zu Bestimmungen des Religiösen auf. Religiöse Symbolisierungen waren nach Clifford Geerts dadurch gekennzeichnet, dass sie sinnverwirrende Kontingenz zunächst anerkennen, um ihr in einem zweiten Schritt im Namen einer umfassenderen Wirklichkeit zu widersprechen."[4]

Es lassen sich also durchaus im populären Kino der Gegenwart bestimmte Materialien erheben, die in anthropologischer Perspektive gelesen und interpretiert werden können.


3. Der Plan: Spiegelbilder suchen

Wenn es meines Erachtens auch - außer den von Jörg Herrmann erarbeiteten Entdeckungszusammenhängen (Liebe, Erhabenes, Natur) - keine sich abzeichnende oder zu erhebende Anthropologie des Gegenwartskinos gibt, ist das Kino andererseits doch für das Reden über Anthropologie zumindest heuristisch unverzichtbar. Denn es lassen sich nicht nur zu den verschiedenen anthropologischen Darstellungen und Ansätzen höchst einprägsame Bilder in diversen Kinofilmen finden, sondern die Bilder der Kinowelt bilden das Material, an dem anthropologisches Reden sich schulen und entwickeln kann. In diesem Sinne erweist sich das Kino als Medium schlechthin. ELIAS CANETTI hat die produktive Leistung von Bildern so beschrieben: "ein Weg zur Wirklichkeit geht über Bilder. Ich glaube nicht, dass es einen besseren Weg gibt. Man hält sich an das, was sich nicht verändert und schöpft damit das immer Veränderliche aus. Bilder sind Netze, was auf ihnen erscheint ist der haltbare Fang. Manches entschlüpft und manches verfault, doch man versucht es wieder, man trägt die Netze mit sich herum, wirft sie aus und sie stärken sich an ihren Fängen".[5] Auch wenn Canetti dabei sicher nicht die bewegten Bilder des Kinos vorgeschwebt haben, trifft einiges von seiner Beobachtung (inzwischen) auch auf die Kinobilderwelt zu.

Im folgenden orientiere ich mich an einem Reader zum Thema "Philosophische Anthropologie"[6] und versuche, den entsprechenden Abschnitten und Texten eindrückliche Bildersequenzen aus verschiedenen Kinofilmen zuzuordnen und hoffe dabei zugleich, weiterführende "Einsichten" aufzustöbern. Mein ganz pragmatisch ausgerichteter Vorschlag in religionspädagogischer Hinsicht lautet also, nicht eigens einer filmischen Anthropologie nachzuforschen, sondern zunächst einmal nach filmischen Explikationen (philosophischer oder auch theologischer) Anthropologie zu suchen. Auf diese Weise lässt sich manche abstrakte (philosophische oder theologische) Frage sinnenfällig machen - wenn auch sicher in der Regel mit gedanklichen Einbußen, aber mit einigem pädagogischem Nutzen. Der von mir benutzte Reader enthält 77 kurze Texte von Philosophen, Kulturwissenschaftlern, Psychologen etc., welche in sechs Kapitel mit insgesamt 11 Unterabschnitten gegliedert sind. Ich will nun keinesfalls für alle 77 Texte Explikationen aus dem Bereich des Films vorstellen, sondern einzelnen Gedanken und Ausführungen Ausschnitte aus einzelnen Filmen zuordnen. Die sechs Hauptabschnitte des Readers tragen folgende Titel:

Was ist der Mensch?

Matrix, Im Auftrag des Teufels; Das Netz

Mensch und Tier

Odyssee im Weltraum

Leib und Seele

Matrix

Freiheit

Die Verurteilten

Schöpfer und Geschöpf der Kultur

Die Verurteilten, Alien 4, Odyssee im Weltraum

Vom Zweck des menschlichen Lebens

Die Verurteilten, Das Netz, Gattaca

Damit dürfte das Gebiet der Anthropologie wenn auch nicht umfassend, so doch zumindest annäherungsweise umschrieben sein. Diesen Grundthemen der Anthropologie versuche ich mich nun mit (Ausschnitten aus) einigen populären Kinofilmen der letzten 40 Jahre anzunähern. Die ausgewählten Kinofilme sind: Im Auftrag des Teufels, Matrix, Odyssee im Weltraum, Die Verurteilten, der Alien-Zyklus, Das Netz und Gattaca. Nicht ganz zufällig sind die Mehrzahl der zu bearbeitenden Kinofilme Science-Fiction-Filme, denn in diesem Genre wird am häufigsten und vielleicht auch am intensivsten über die Spezies Mensch nachgedacht. Die gesamte Auswahl ist natürlich mehr oder weniger subjektiv, sie hängt von den Vorlieben und cineastischen Neigungen des Autors ab (und selbstverständlich von der Verfügbarkeit von Videokassetten).


4. Im Auftrag des Teufels - Der Mensch: Gottes auserwähltes Geschöpf?

Inhalt: Der junge Kevin Lomax ist als Anwalt ein Gewinnertyp, er bringt jedem Mandanten den Freispruch. Und das unabhängig davon, ob er von dessen Unschuld überzeugt ist. Sein aktueller Fall ist der des Lehrers Gettys, der der sexuellen Belästigung einer Schülerin bezichtigt wird. In der Verhandlung erkennt Lomax, dass der Angeklagte das ihm zur Last gelegte Verbrechen tatsächlich begangen hat. Er unterbricht zunächst die Verhandlung, entscheidet sich dann aber für die Fortführung des Verfahrens und erreicht einen Freispruch, obwohl er dafür dem Mädchen noch einmal verbal Gewalt antun muss. Daraufhin wird er von dem Vertreter einer New Yorker Anwaltskanzlei angesprochen, welche ihn gerne verpflichten möchte. Lomax nimmt das Angebot an. Lomax' erster Fall ist eine Festnahme wegen einer rituellen Schlachtung einer Ziege, ein Prozess, den er spielend mit Berufung auf die Religionsgesetze gewinnt. Aufgrund der Arbeit vernachlässigt er seine Frau Mary, während er gleichzeitig von seiner jungen Kollegin Christabella fasziniert ist. Lomax bekommt den Auftrag, den Bauunternehmer Cullen gegen eine Anklage wegen dreifachen Mordes zu verteidigen. Während Mary immer mehr durchdreht, entscheidet sich Kevin gegen Mary und für den Job. Bei der Befragung der Alibizeugin des Bauunternehmers wird deutlich, dass auch dieser schuldig ist. Aber Lomax kann sich nicht entscheiden, nicht zu gewinnen und so wird der Angeklagte freigesprochen. Dann spitzt sich die Situation zu: Lomax erkennt, dass er für das Böse arbeitet. Milton, sein Chef, erweist sich als Satan, Christabella als Kevins Halbschwester, mit der er auf der Basis des freien Willens den Antichristen zeugen soll. In einem letzten Widerstandsakt erschießt sich Kevin und vernichtet so die Hoffnungen des Teufels. Urplötzlich befindet sich Lomax wieder in der vierten Filmminute. Diesmal entscheidet er sich für die Aufgabe des Prozesses. Dadurch droht ihm jedoch der Verlust der Anwaltslizenz, dem er nur entgehen kann, wenn ihn ein Reporter als Star groß herausbringt. Dieser Reporter trägt in der Schluss-Szene die Züge des Teufels.[7]

Etwa in der Mitte des Films "Im Auftrag des Teufels" hält dieser eine drei Minuten dauernde pathetische Rede, auf der er die menschliche Existenz an der Jahrtausendschwelle beschreibt. Es ist eine vernichtende Bilanz, die nahtlos an anthropologische Ausführungen wie Tobias Brochers "Homo homini lupus - Die Zerstörung des Menschen"[8] anknüpfen kann. Der Teufel philosophiert an dieser Stelle über seinen Mitarbeiter Eddie Barzoon und dessen Haltung zum Leben. Während die Bilder parallel die letzten Sekunden im Leben dieses Menschen sehen, kurz bevor er beim Versuch, seiner wertvolle Uhr vor Obdachlosen zu retten, umgebracht wird.

Eddie Barzoon, ha, ich habe ihm schon bei so vielen Problemen geholfen, zwei Scheidungen, ein Kokainentzug und eine schwangere Vorzimmerdame. Ein Geschöpf Gottes, he? Gottes auserwähltes Geschöpf! Und ich habe ihn gewarnt, Kevin, ich habe ihn immer und immer wieder gewarnt. Ich musste zusehen, wie er durch die Gegend torkelt wie 'ne Aufziehpuppe, klassischer Fall von purem Egoismus; die nächsten tausend Jahre stehen kurz bevor, Kevin. Eddie Barzoon, sehen Sie sich ihn an, denn er ist das Vorzeigemodell für das nächste Jahrtausend. Diese Leute! Es ist doch kein Geheimnis woher die kommen. Sie puschen den Appetit des Menschen hoch bis zu dem Punkt, wo er durch sein Wissen sogar Atome spalten kann. Sie bauen Egos auf so riesig wie Kathedralen. Mit Glasfasern schaffen sie Verbindungen in die ganze Welt, zu jedem x-beliebigen Egomanen. Sie fördern die dümmsten Träume, diese dollargrünen vergoldeten Luftschlösser, dass jedes menschliche Wesen ein erfolgreicher Börsenspekulant werden kann, sein eigener Gott werden kann. Und was kann man von da aus noch erreichen? Und während wir von einem Termin zum nächsten hetzen, wer hat da noch Zeit auf Mutter Erde zu achten? Während die Luft dicker wird und das Wasser saurer, sogar der Bienenhonig nimmt den metallischen Geschmack von Radioaktivität an, es wird immer schlimmer, schneller und schneller. Die Zeit der Vorbereitung ist abgelaufen, es heißt jetzt: Zukunft kaufen, Zukunft verkaufen, bis keine Zukunft mehr da ist. Alle rennen in dieselbe Richtung, wie die Lemminge, es gibt eine Milliarde Eddie Barzoons, die alle in die Zukunft joggen. Und alle von ihnen sind bereit, die Erde mit der Faust zu ficken, Gottes Ex-Planeten, und sich dann die Finger sauber zu lecken. Damit sie sich wieder brav ihren Computern zuwenden können, um ihre scheiß-verfluchten Überstunden einzutragen. Und dann schlägt die Realität zu: Du musst für alles bezahlen, Eddie; das Spiel läuft bereits zu lange, jetzt ist es zu spät; dein Bauch ist zu voll, dein Schwanz ist wund, deine Augen sind blutunterlaufen, du schreist um Hilfe, aber stell dir mal vor - es ist keiner da, du bist ganz allein, Eddie, du bist Gottes auserwähltes Geschöpf. Vielleicht ist es ja wahr, vielleicht hat Gott die Würfel einmal zu oft geworfen. Vielleicht hat er uns einfach hängen lassen?

Im Unterricht wird es zunächst darum gehen, die Anklage Miltons gegenüber den Menschen des ausgehenden 2. Jahrtausends nachzuvollziehen. Ist das eine zutreffende Anthropologie? Oder nutzt der Teufel nur Elemente der christlichen Anthropologie um sein Vorgehen gegenüber Eddie Barzoon zu rechtfertigen? Welche Beschreibungen Miltons entsprechen den Welt- und Menschenwahrnehmungen der Schülerinnen und Schüler, in welchen Punkten gehen sie mit ihm konform? Welche Bedeutung hat die Frage nach der Natur, die Milton aufwirft? Und warum ist der Mensch so, wie Milton ihn beschreibt und welche Perspektiven bleiben ihm?


5. Matrix - Der Mensch: Ein Virus?

Inhalt: Das Thema des Films ist die Entdeckung des Computerhackers Tom Anderson, genannt Neo, dass die Welt, in der er lebt, nicht real ist, sondern eine gigantische Simulation. Nach und nach erfährt er - kontaktiert von einer außerhalb der Simulation lebenden menschlichen Widerstandsgruppe -, dass infolge einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen Menschen und Maschinen am Ende des 21. Jahrhunderts die Maschinen die Welt beherrschen und die menschlichen Körper als Energiebatterien züchten. Damit diese menschlichen Batterien funktionieren, gaukeln die Maschinen ihnen eine virtuelle Welt vor: eben die vom Zuschauer im Kino als scheinbar real erfahrene Gegenwart des Jahres 1999. Einigen Menschen ist es gelungen, sich dem Zugriff der Maschinen zu entziehen und sie versuchen, die übermächtige Matrix zu zerstören und die Menschheit zu befreien. Dabei hoffen sie auf einen Erlöser, der ihnen von einem Orakel prophezeit wurde, und der in der Lage sein soll, sich der Matrix entgegenzustellen und sie zu vernichten. Der Anführer einer dieser Widerstandsgruppen - Morpheus - glaubt nun, in der realen Existenz des Computerhackers Tom Anderson diesen Erlöser gefunden zu haben. Er kontaktiert ihn, holt ihn aus der Simulation heraus, schult ihn in asiatischen Kampftechniken und bereitet ihn auf den finalen Kampf vor. Gegner der Widerstandsgruppen sind so genannte Agenten, eine Art Antivirenprogramm, welches nicht funktionierende und störende Elemente (= die Menschen, die sich nicht der Matrix einfügen wollen) vernichten soll. Die Realität außerhalb der Matrix sieht keinesfalls positiv aus: es ist eine zerstörte Welt ohne Sonnenlicht und ohne menschliche Wärme - geradezu das Gegenstück zur simulierten Existenz im Netz. Der sich daraus ergebenden Versuchung zurück zu den virtuellen Fleischtöpfen der Matrix erliegt einer der Widerstandskämpfer - Cypher (= Luzifer) - und verrät seine Kampfgenossen. Morpheus wird von Agenten gefangen genommen und im Rahmen seiner Befreiung kommt es zum großen Showdown. Die Stunde des Erlösers ist gekommen: er stirbt und erlebt seine Wiederauferstehung, um schließlich die Menschheit zu retten.

Der gesamte Film Matrix[9] ist ein einziges Amalgam unterschiedlicher Ansichten vom Menschen und seiner Zukunft[10], sozusagen ein eklektizistisches Anthropologie-Puzzle. An und für sich lohnt es sich, den gesamten Film in Unterricht unter dem Aspekt seiner Auffassung und Lehre vom Menschen zu untersuchen. Aber es gibt auch herauslösbare Szenen, in denen sich die Figuren des Films Matrix expressis verbis zum Thema "Was ist der Mensch?" äußern. Wenn der Mensch nicht mehr Mensch, sondern nur noch virtuelle Projektion eines Menschen ist, hat er dann noch Menschenrechte, oder kann man ihn einfach abballern[11] (auch wenn das Rückwirkungen auf die reale Existenz hat)? In dieser Frage schließt sich Morpheus Carl Schmitts Freund-Feind-Schema an, wenn er ausführt, dass alle Menschen, die noch nicht auf der Seite der Befreier stünden, als potentielle Feinde (also als Agenten = Nichtmenschen) zu behandeln seien.

Interessanter aber ist die Menschenphilosophie der Maschinen.[12] Im Rahmen des großen Showdown wird der Anführer der Rebellen, Morpheus, festgenommen und einem Verhör unterzogen. Dabei erläutert ihm Agent Smith (eine Art Antivirenprogramm) seine philosophische Anthropologie. Zunächst verweist er darauf, dass das erste Experiment der Maschinen mit den Menschen gescheitert sei, weil die Simulation zu perfekt gewesen sei. Die Menschen hätten auf einer Welt mit Unglück und Leiden bestanden.[13] Erst nach einer Änderung zu einer dementsprechenden Simulation seien sie zufriedengestellt gewesen. Was aber ist der Mensch? Nach der Auffassung des Agenten Smith ist die Spezies "Mensch" schwierig zu bestimmen, denn sie verhält sich nicht wie ein richtiges Säugetier, das heißt sie passt sich nicht der Umwelt an. Ihrem Verhalten analog sei eher das der Viren, die sich von Lebensraum zu Lebensraum auszuweiten trachteten. Der Mensch sei also de facto eine Krankheit.


Inhalt

Dauer

Sec

1

Die Anthropologie der Befreier: Morpheus im Gespräch mit Neo

0:53:40-0:56:06

146


31 Minuten vorspulen



2

Die Anthropologie der Maschinen: Verhör Morpheus durch Agenten

1:27:10-1:42:05

895



6. Odyssee im Weltraum - Der Mensch: ein Werkzeuge nutzendes Tier?

Inhalt: In grauer Vorzeit: Ein schwarzer Monolith landet auf der Erde und bringt den Menschenaffen die Intelligenz. Einer der Menschenaffen entdeckt die erste Waffe: einen großen Knochen, mit dessen Hilfe er einen Widersacher besiegt. Jahrtausende später: Dr. Heywood Floyd fliegt zur Mondbasis Clavius, wo im Krater Tycho ein schwarzer Monolith gefunden wurde, der offenbar von einer außerirdischen Macht stammt. 18 Monate später: Das Raumschiff Discovery ist unterwegs zum Jupiter. An Bord befinden sich die Astronauten Bowman und Poole; drei Wissenschaftler liegen im Kälteschlaf. Das sechste Besatzungsmitglied ist der als unfehlbar geltende Supercomputer HAL 9000, der sprechen kann und nahezu menschliche Gefühle entwickelt. Als HAL dennoch einen Fehler macht, versuchen Poole und Bowman ihn abzuschalten, was erst gelingt, als HAL Poole und die Wissenschaftler getötet hat. Dabei erfährt Bowman den geheimen Zweck des Unternehmens: die Spur der außerirdischen Intelligenz zu verfolgen, die vor vier Millionen Jahren einen Monolithen auf dem Mond eingegraben hat, dessen Strahlung auf Jupiter gerichtet ist. Im Jupiterorbit begegnet Bowman einem weiteren Monolithen, der ihn in eine Art Sternentor saugt und zu einem psychedelischen Trip durch Bewusstsein und Kosmos führt...

Ein kurz gefasstes Lehrstück vom Menschen im Blick auf die Frage "Wo kommen wir her"? ist die 16 Minuten(!) umfassende Eingangssequenz von Stanley Kubricks "2001 - Odyssee im Weltraum"[14] aus dem Jahr 1968, dem Jahr der Mondlandung. Insofern die Abstammung des Menschen und seine Sonderstellung gegenüber dem Tier zu den elementaren Bestimmungen der Anthropologie gehört,[15] ist dieses berühmte Stück der Filmgeschichte ein guter Gesprächseinstieg. Kubrick zeigt in dieser Eingangssequenz, wie die ursprünglich "natürlich" lebenden Affen erstmalig ein Werkzeug entdecken, das sie alsbald als tödliche Waffe nutzen, um sich zuerst Fleisch zu besorgen und dann ein Wasserloch zu erobern. In einem grandiosen Übergang ("dem längsten Cut der Filmgeschichte") wird aus dem als Mordwerkzeug genutzten Knochen ein Raumschiff im Weltall, sozusagen das Endprodukt menschlicher Werkzeugentwicklung.

Seq.

Inhalt

Filmzeit

1

Natürliches Zusammenleben der Tiere

00:00-02:56

2

Streit der Affen um Wasser

03:00-05:00

3

Ahnungsvolles Schweigen

05:04-06:41

4

Der Monolith

06:47-09:25

5

Die Entdeckung des Werkzeugs und der symbolischen Übertragung

09:25-11:43

6

Fleischesser

11:43-12:48

7

Streit unter Affen - Brudermord

12:48-14:30

...

Cut / Weltraum

14:30-16:12

Im Religionsunterricht wird es zunächst darum gehen, den zu bearbeitenden Aspekt einzugrenzen. Nicht das divinatorische Eingreifen irgendwelcher Mächte in die Entwicklungsgeschichte der Menschheit ist das primäre Thema, sondern zum einen die Darstellung einer Art Sündenfallgeschichte unter darwinistischen Vorzeichen. Der Brudermord als Beginn aller menschlichen Zivilisation, diesmal nur nicht an eine biblisch-religiöse Erzählung geknüpft, sondern mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen verwoben.[16] Zum anderen wird die anthropologische These vom genuinen Zusammenhang von Menschwerdung und Technikentwicklung entwickelt,[17] die schließlich in der Menschwerdung des Computers gipfelt.[18]


7. Die Verurteilten - Der Mensch: auf Hoffnung gegründet!

Inhalt: "Zweimal lebenslänglich!" lautet das Urteil für den Bankmanager Andy Dufresne. Angeklagt des Doppelmordes an seiner Ehefrau und deren Liebhaber, beteuert er vergeblich seine Unschuld und wird in das verruchte Gefängnis von Shawshank im Bundesstaat Meine eingeliefert. Gleich nach wenigen Tagen im Knast wird Andy von einer Clique sadistischer Männer brutal vergewaltigt und Gefängnisdirektor Norton demonstriert den Neuankömmlingen eindringlich, was er unter Disziplin versteht. Das Leben innerhalb der Mauern ist die Hölle. Nur die Freundschaft mit Red lässt ihn hoffen. [Klappentext des Videos.]

Nach einer Buchvorlage von Stephen King inszenierte Regisseur Frank Darabont einen für sieben "Oscars" nominierten, knallharten Knastthriller, dessen Hauptthema die Hoffnung wieder alle Vernunft ist. Du hast keine Chance, deshalb nutze sie könnte auch über diesem Film stehen.[19] Auf der von den Nutzern gewählten Top-250-Liste der besten Kinofilme der Internet-Movie-Database steht dieser Film auf dem zweiten Platz.[20] Die unterschiedlichen Perspektiven auf Hoffnung und ihren Zusammenhang mit dem Menschsein beschreibt Jan Hawemann in seiner Internet-Film-Kritik so: "Am Anfang dieses Filmes gibt es für uns Zuschauer wohl nichts hoffnungsloseres als das Schicksal von Andrew Dufresne - unschuldig mit einem Strafmaß von zweimal lebenslänglich in das Shawshank-Gefängnis eingeliefert zu werden, in dem gleich am ersten Tag jemand totgeprügelt wird, und das unter dem Regime eines glaubensfanatischen Direktors steht. Die Hoffnung der Verurteilten auf bessere Zeiten, auf ein besseres Leben, auf die Entlassung lässt mit den Jahren der menschenunwürdigen und -verachtenden Behandlung nach, da die Hoffnung untrennbar mit dem Menschsein verbunden ist. Andy will jedoch diesen Kreis durchbrechen. Er will sich, sein Menschsein und seine Hoffnung nicht nehmen lassen, und gibt durch das, was er mit seinen mutigen Ausbrüchen in einer Welt voller Mauern erreicht, auch anderen Häftlingen die Hoffnung zurück. Und der grandiose Schluss, den uns Stephen King als Autor der Filmvorlage beschert, entlässt uns trotz aller Enge, Dunkelheit und Brutalität mit dem guten Gefühl, vielleicht auch noch den nächsten Tag gut zu überstehen."[21]

Der Film enthält verschiedene separierbare Sequenzen, die im Unterricht Verwendung finden könnten.[22] Als ganzer ist der Film eine Parabel auf den menschlichen Wunsch nach Freiheit,[23] die verschiedenen Formen , wie sich dieser Wunsch artikuliert und realisiert und wie die Hauptfigur auf seine Freiheit hinarbeitet - was am Anfang nur angedeutet und erst ziemlich zum Schluss dramatisch umgesetzt wird. Die scheiternde Hoffnung symbolisiert Brooks, der nach 50 Jahren Haft aus dem Gefängnis entlassen wird, mit der Welt außerhalb des Gefängnisses nicht mehr zurecht kommt und sich deshalb - nachdem er all den Terror in der Strafanstalt überlebt hat - das Leben nimmt. Die Verbindung von Kultur, Freiheit und Hoffnung greift die sich anschließende Szene auf, in der Andrew Dufresne für die Bibliothek, die er im Knast aufbauen möchte, Schallplatten geschenkt bekommt und für seine Mithäftlinge gegen die Interventionen der Wärter und Gefängnisleitung Mozarts "Hochzeit des Figaro" spielt. Nach seiner Entlassung aus dem Straf-Block kommt es zu einer Diskussion mit seinen Freunden darüber, was Musik, was Kultur überhaupt für das menschliche Überleben und für das Menschsein bedeutet.

Sequ

Inhalt

Dauer

Sec

1

Die Entlassung von Brooks

0:55:00-1:03:00

480

2

Mozarts "Hochzeit des Figaro"

1:03:00-1:10:00

420

In diesem Sinne bietet der Film viele Ansatzpunkte für die Arbeit zu Aspekten des Themas Anthropologie im Religionsunterricht.


8. Der Alienzyklus - Der Mensch: getrieben von Angst und Verzweiflung

Angst, Furcht, Schrecken, Schock und Entsetzen sind Fermente des Mediums Film.[24] Immer schon orientierte sich das Kino an seiner Wirkung, es ging darum, die Gefühle der Betrachter zu überwältigen. Ein typisches Beispiel für die Dramaturgie der Angst und eine Zeitreise durch die Ängste der westlichen Gesellschaft der letzten 20 Jahre ist der Kinozyklus Alien.

Alien - Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt (Alien 1 - 1979; Regie: Ridley Scott) schildert die Abenteuer einer Raumschiffcrew, die auf eine grauenhafte, aber im Film kaum dargestellte Intelligenz stößt, welche nach und nach die gesamte Mannschaft mit Ausnahme der Heldin Ellen Ripley (Sigourney Weaver) vernichtet. Der Betrachter wird unmittelbar hineingezogen in die Atmosphäre des Grauens. Das Fremde kann von allen Seiten zuschlagen (auch von innen!), das Grauen hat keine Orientierung, weil das, mit dem man es zu tun hat, nicht näher bestimmt ist. Am Ende scheint der Gegner zwar besiegt zu sein, aber um den Preis, dass die Zurückbleibende ihres eigenen Überlebens unsicher ist: ob die Rettungskapsel jemals gefunden werden wird, bleibt im Film offen. Deutlich ist, dass der Film mit dem "negativen Erwartungsaffekt" arbeitet: der Angst.

Aliens - Die Rückkehr (Alien 2 - 1986; Regie: James Cameron) lässt den Sinnen nichts verborgen, es wimmelt nur so vor Aliens. Alien 2 lebt von der Furcht. Weil der Feind bekannt ist, kommt es nur noch darauf an, wie er vernichtet wird; deshalb werden in Alien 2 ganze Heerschlachten geschlagen. Ellen Ripley wird nach Jahrzehnten in ihrer Raumkapsel aufgefischt und erfährt, dass zwischenzeitlich Siedler auf den Planeten der Aliens geschickt wurden. Ripley mobilisiert eine Rettungsmission, überzeugt davon, dass den Siedlern Schreckliches widerfahren ist. Tatsächlich hat nur ein Mädchen die Aliens überlebt. Es kommt zum Showdown, an dessen Ende die Heldin das Mädchen und den Raumschiffkapitän - einen Roboter - rettet. Wieder gelingt die Flucht nur in der Rettungskapsel.

In Alien 3 (1991; Regie: David Fincher) reduziert sich die Welt auf ein irrationales Gefängnis. Die Rettungskapsel landet auf einem ehemaligen Gefangenenplaneten, der nun eine Art mönchische Organisation hat. Der Roboter ist beschädigt, das Mädchen wurde von einem überlebenden Alien getötet. Ripley ist von und mit einem Alien schwanger, sie trägt das Grauen nun in sich. Wissenschaftler und Militärs möchten die Aliens für ihre eigenen Zwecke nutzen und sind deshalb am Überleben Ripleys interessiert. Sie aber opfert sich am Ende des Films, indem sie mitsamt ihrem Ungeborenen in kochenden Stahl springt, um die Menschheit zu retten. Ihr Tod erscheint unausweichlich, er ist ein Produkt der Verzweiflung. Dem Betrachter wird verdeutlicht, dass ein Entkommen nicht möglich ist: das Gute kann paradoxerweise nur siegen, indem es im Kampf gegen das Böse untergeht.

In Alien - Die Wiedergeburt (Resurrection) (Alien 4 - 1997; Regie: Jean-Pierre Jeunet) ist das Leben endgültig zur Hölle geworden. Zur Krönung ihrer Laborexperimente mit den Alien haben Wissenschaftler auf einer Weltraumstation mit Ripley auch ihre "Brut" wiederschaffen. Dabei sind Alien und Mensch eine untrennbare Einheit eingegangen: Ripley denkt und fühlt wie ein Mensch, aber ihr Blut besteht wie das der Aliens aus Säure, ihre Kraft und Vitalität sind die der Aliens und sie wird von den Alien als Verwandte angesehen. Ripley gebiert einen Alien-Mensch-Bastard, der seine Mutter liebt und seine Alien-Verwandten unmenschlich tötet und doch von seiner Mutter verraten = getötet wird. Es gibt keinen Ausweg - das Böse geschieht, wie immer die Situation sich entwickelt.

Alien 1 kann als Ausdruck der Orientierungslosigkeit Ende der 70er Jahre begriffen werden: Wer ist eigentlich der Feind und wo steckt er? Lässt sich die Welt zum Positiven ändern? Es herrscht eine tiefe Skepsis. Alien II antwortet darauf in der Hau-Ruck-Mentalität der Ronald-Reagan-Ära: Das Reich des Bösen ist erkennbar und es muss mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft werden. Es gibt allerdings auch Elemente, die mit dem Bösen eigene (wirtschaftliche) Interessen verbinden und dessen Macht unterschätzen. Alien III setzt dagegen auf Authentizität und mythologisiert das Geschehen zugleich: kein System ist vertrauenswürdig, allenfalls der Opfergang des einzelnen scheint ein Ausweg zu sein. Alien IV stellt sogar die Authentizität des einzelnen in Frage und zeigt ihn mit ambivalenten Zügen. Der Mensch wird ätzend, das Fremde gewinnt vertraute Züge. Der homo sapiens hat seine Identität verloren: Was ist noch menschlich in einer Zeit, in der Alien humaner agieren als der Mensch selbst?

Im Unterricht könnten folgende Fragen bearbeitet werden: Was ist der Sub-Text des Films z.B. in Blick auf die Darstellung der zeitgenössischen Angst/Furcht? Warum werden in Alien 1 die Aliens kaum gezeigt, warum ändert sich das in Alien 2? Welche Bedeutung bekommt der einzelne in Alien 3? Welche technischen Entwicklungen spiegelt Alien 4 und welche Ängste kommen im Film zum Ausdruck? In jedem Falle sollte die Zeitgeschichte hinzugezogen werden, weil sie zur Beantwortung der gestellten Fragen hilfreich ist. Neben den gesellschaftlichen Aspekten sollten aber auch die konkreten, Schreck und Entsetzen auslösenden Szenen untersucht werden. Wie "funktionieren" Angst, Furcht, Verzweiflung und die Hölle (filmtechnisch)?


9. Das Netz - Der Mensch: ein Konstrukt von Informationen

Inhalt: Die Computerexpertin Angela Bennett hütet einen gefährlichen Schatz: eine Diskette mit hochbrisanten Geheimunterlagen einer regierungsfeindlichen Hacker-Bande. Informationen, die die wichtigsten Datennetze weltweit verseuchen könnten. Ein Killer wird auf Angela angesetzt: Jack Devlin - schnell, gerissen, gemeingefährlich. Einem Mordanschlag entgeht sie knapp, doch Devlin rächt sich brutal: er löscht Angelas Daten aus allen staatlichen Computern, tilgt ihre Identität und aus Angela Bennett wird Ruth Marx, eine gesuchte Prostituierte! Angela kämpft verzweifelt um ihre Existenz. gnadenlos gejagt vom Killer und der Polizei. Sie muss in den Zentralrechner, sie muss schneller sein als Devlin...

Kein überaus populärer, auch kein sehr hoch bewerteter Kinofilm ist "Das Netz", entstanden im Jahr 1995 unter der Regie von Irwin Winkler mit Sandra Bullock in der Hauptrolle.[25] Aber es ist eine Art Kultfilm für und über das Internet geworden. Einerseits pflegt es populäre Vorurteile, wie etwa das vom sozial isolierten, gehemmten und gesellschaftlich vereinsamten Computerhacker,[26] andererseits stellt es die realen Bedrohungen des Einzelnen in der Informationsgesellschaft ziemlich realistisch dar. Beide Aspekte lassen sich unter die Frage rubrizieren: Welche Folgen hat die fortschreitende Digitalisierung für den Menschen? Die im Unterricht anhand einzelner Filmausschnitte zu bearbeitenden Fragen wären also:

Wenn der Computer zunehmend zum persönlichen Lebensmittelpunkt wird, werden dann zwangsläufig traditionelle gesellschaftliche Kontakte vernachlässigt? Geht der Umgang mit dem Computer zu Lasten der Face-to-Face Kommunikation? Und welche Folgen hat es für die Menschen und die Gesellschaft, wenn ihre Kommunikation virtuell wird?

Welche Gefahren stecken darin, dass die Informationen über die Menschen zunehmend nur noch elektronisch erfasst und gespeichert werden? Was bildet noch die Identität eines Menschen, wenn die gesellschaftlichen Identifikationsmechanismen versagen - wenn es keine Papiere oder nur noch falsche Papiere gibt, wenn man nach den Unterlagen ein anderer ist, als man zu sein glaubt bzw. wirklich ist? Lässt sich die Identität eines Menschen so radikal in den Computersystemen verändern, dass seine Existenz fraglich wird? Welche Folgen hätte der Zugriff einer Organisation auf alle öffentlichen Daten und Datenträger?

Sequ

Inhalt

Dauer

Sec

1

Leben im Computerzeitalter
(Die Begegnung mit der Mutter)

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Der Verlust der Identität

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Im Unterricht könnte - vielleicht im Rückgriff auf entsprechende philosophische Texte - über Fortschritt und Sinn menschlicher Aktivitäten gefragt werden: "Der Begriff des Fortschritts impliziert ein Wohin und Wozu, und zwar ein zu wollendes, also gutes Wozu und ein zu erkämpfendes, also noch nicht erreicht-vorhandenes."[27]


10. Gattaca - Der Mensch: ein gentechnologisches Projekt

Inhalt: In der nahen High-Tech-Zukunft entscheidet ein Gentest gleich nach der Geburt über das Schicksal der Kinder. Futuristische Biochemie macht es möglich, dass fast alle Eltern sportliche, hochintelligente Superbabies zur Welt bringen. Vincent aber hat Pech gehabt. Wegen seiner körperlichen Schwächen wird er nie zur Elite gehören. Doch er träumt davon, als Gattaca-Pilot die Galaxis zu erforschen. Vincents Freund Jerome hat beste Gene, ein Unfall hat ihn allerdings an den Rollstuhl gefesselt. Beide tauschen ihre Identität. Ein äußerst riskanter Plan, denn die strengen Sicherheitskontrollen des perfekt organisierten Polizeistaates sind kaum zu umgehen. Bald hat Vincent die Geheimdienste auf den Fersen ... Gattaca. Ein spannender Sci-Fi Thriller mit beängstigendem Zukunftsszenario. [Klappentext][28]

Sieh an die Werke Gottes; denn wer kann das gerade machen, was Er krümmt? Mit diesem Zitat aus Prediger 7,13 eröffnet der Film Gattaca. Und das folgende Zitat antwortet: "Ich glaube nicht nur, dass wir an Mutter Natur herumpfuschen werden, sondern ich glaube auch, dass Mutter Natur es will."[29] Für einen Film der Genre Science Fiction und Thriller ist Gattaca extrem ruhig, es herrschen lange Bildsequenzen und getragene Töne vor. In einem gewissen Sinne ist es eher ein philosophischer Film. Das erklärt vielleicht auch, warum die Stimme des Helden so penetrant aus dem Off ertönt. Spannungsvoll an diesem Film ist eher die Idee: die einer (schon längst angebrochenen) Zukunft, in der "Gotteskinder" - ein Begriff für natürlich gezeugte Menschen -, zu den Loosern, den sogenannten Invaliden gehören, weil sie den Kriterien der Konzerne und der Gesellschaft nicht genügen. Ihr genetisches Material reicht für so gut wie keinen Job, geschweige denn für Traumjobs. Keine Krankenkasse kann es sich leisten, diese Menschen zu versichern, kein Arbeitgeber, sie anzustellen. Vincent aber, der Held des Films, träumt den Traum aller Jungen: er will als Pilot die Galaxis zu erforschen. Und er geht dieses Ziel mit allen Mitteln an. Ob und wie er es schafft, ist letztlich für unser Thema zweitrangig.[30]

Ein Thema des Films ist der Versuch der Menschheit, besser zu sein als Gott. Vilém Flusser, einer der Theoretiker der neuen Technologien, sieht heute schon die Menschheit den Sieg in diesem Wettstreit davontragen: "heute kann sie das buchstäblich tun, sie kann tatsächlich Leben schaffen. Sie kann dabei nicht nur mit Gott in Konkurrenz treten, sie kann es besser als Gott machen, denn Gott hat das Prinzip des Zufalls für Kreativität verwendet, während wir es absichtlich, deliberat machen können. Infolgedessen können wir die Evolution beschleunigen und die vielen Fehler, die passiert sind, vermeiden."

Das zweite Thema ist die Konsequenz, die sich aus dem ersten ergibt: wenn man den perfekten Menschen erschaffen kann, bleiben immer auch weniger perfekte übrig - eine wie immer auch begründete Zwei-Klassen-Gesellschaft. Waren es früher Geschlecht, Religion oder Bildung, sind es heute eben die Gene. Der Film führt dieses Thema konsequent vor Augen, ohne in eine allzu ferne Zukunft zu weisen.

Sequ

Inhalt

Dauer

Sec

1

Gotteskinder oder Valide

0:07:30 - 0:20:30

780



11. Die Literatur: "Was du siehst, das schreibe in ein Buch!"

  • Benedict, Hans-Jürgen: "Der Theologe geht ins Kino" PTh 81, 1993, S. 470-481.
  • Faulstich, Werner: Die Filminterpretation. 2. Auflage. Göttingen 1995.
  • Herrmann, Jörg: "Kino und Kirche. Für die Annäherung zweier Erzählgemeinschaften"; In: Kirchen - Kulturorte der Urbanität. Hg. von H.W. Dannowski u.a. Hamburg 1995, S. 39-52.
  • Kirsner, Inge: Erlösung im Film. Praktisch-theologische Analysen und Interpretation. Stuttgart u.a. 1996.
  • Kracauer, Siegfried: Theorie des Films. Die Errettung der äußeren Wirklichkeit. Frankfurt 1964.
  • Kuhn / Hahn / Hoekstra: Hinter den Augen ein eigenes Bild. Film und Spiritualität. Zürich 1991.
  • Künne, Michael (Hg.): Religionsunterricht und Film. Prophetische Aspekte im Film. Loccum 1994
  • Monaco, James: Film verstehen. Reinbek 2000.

Anmerkungen

  1. Kracauer, Siegfried: Theorie des Films. Die Errettung der äußeren Wirklichkeit. Frankfurt, 1964. Ders.: Kino. Essays, Studien, Glossen zum Film. Frankfurt 2/1979.
  2. http://www.imdb.com
  3. Jörg Herrmann, Religion im populären Film der 90er Jahre. Eine theologische Untersuchung zur Hermeneutik der populären Kultur. Dissertation, Hamburg 2000. Alle folgenden Zitate stammen aus dem Ms. der Arbeit.
  4. Herrmann fügt hinzu: "Dieser Widerspruch erfolgt allerdings im Christentum in der Dualität von präsentischer und futurischer Eschatologie: das Reich Gottes ist angebrochen und noch ausstehend zugleich. Der Trost kann darum nie den Charakter ungebrochener Positivität annehmen, der das Happy-End des populären Kinos im Unterschied auszeichnet. Diese Differenz hat natürlich auch damit zu tun, dass der Trost des populären Kinos eine kulturell konstruierte Fiktion ist, während der Trost der Religion auf die Macht Gottes verweist und damit eine bleibende Differenz von kultureller Form und angezeigtem Inhalt reklamiert. Weist das populäre Kino also strukturelle Parallelen zum kantschen Triumph der Vernunft über die Wahrnehmung des Übermächtigen in der Außenwelt auf, so bekämpft die Religion sein Erschütterungspotential mit den Waffen des Glaubens und der Hoffnung."
  5. E. Canetti: Die Fackel im Ohr, München 2/1980, S. 130.
  6. Türk / Trutwin (Hg.): Anthropologie. Philosophisches Kolleg 4. Düsseldorf 1978.
  7. Im Auftrag des Teufels, Regie Guy Green. 138 Minuten Warner Bros., 1997. Weitere Informationen zum Film unter http://www.imdb.com
  8. Tobias Brocher "Homo homini lupus - Die Zerstörung des Menschen"; In: Türk / Trutwin (Hg.): Anthropologie, S. 25-27.
  9. Weitere Informationen zum Film unter http://us.imdb.com/Title?0133093
  10. Ähnlich wie in Aldous Huxleys Roman: Schöne neue Welt. Frankfurt 1981.
  11. Die klassische Situation der indizierten Computerspiele.
  12. Vgl. dazu auch den Abschnitt "Werkzeug, Arbeit, Technik" in: Türk / Trutwin (Hg.): Anthropologie, S. 103ff.
  13. Darin dem Wilden in Huxleys "Schöne neue Welt" nicht unähnlich.
  14. Weitere Informationen zum Film unter http://us.imdb.com/Title?0062622
  15. Vgl. die Abschnitte "Die Abstammung des Menschen" und "Die Sonderstellung des Menschen" in: Türk / Trutwin (Hg.): Anthropologie, S. 45ff.
  16. In der Bibel ist der Mörder Kain Ahnvater aller zivilisatorischen Errungenschaften: Kain baute die erste Stadt, ist der Ahnvater der Nomaden, der Zither- und Flötenspieler, der Erz- und Eisenschmiede.
  17. Der Film folgt hier sozusagen Arnold Gehlens These vom Menschen als Mängelwesen: "Von seinem Ursprung an begleitet die Technik den Menschen, und sie ist so ursprünglich geistvoll wie er selbst ... Zu den ältesten Zeugen menschlicher Werkarbeit gehören in der Tat die Waffen, die als Organe fehlen". Zit. nach Türk / Trutwin (Hg.): Anthropologie, S. 104.
  18. Der Film deutet ja die Möglichkeit einer evolutionären Entwicklung zum Maschinenmenschen (Hal 9000) an. Aber auch dieser evolutionäre Sprung begänne dann mit einem Mord.
  19. So aber lautet die Filmschlagzeile: "Entscheide Dich, ob Du leben oder sterben willst ... nur darum geht es."
  20. Weitere Informationen zum Film finden sich unter http://us.imdb.com/Title?0111161
  21. http://www.hawemann.com/jan/kino/95/verurteilten.html
  22. Vgl. das Kapitel "Vom Zweck des menschlichen Lebens" in: Türk/Trutwin (Hg.): Anthropologie, S. 121ff.
  23. Der Gedanke der Gerechtigkeit spielt in diesem Film überraschenderweise kaum eine Rolle. Die Hoffnung auf sie ist bereits aufgegeben bzw. flackert nur stellenweise auf. Was bleibt, ist nur die Hoffnung auf den Abbruch der Geschichte des persönlich erlebten Leidens, also auf die Freiheit vom Leiden.
  24. Vgl. zum Folgenden Verf.: "Die Angst in populären Medien". Die Brücke, Heft 2, 1998
  25. Die Werbeschlagzeile des Films lautet: "Her driver's license. Her credit cards. Her bank accounts. Her identity. DELETED." Im deutschen Verleih: "Wenn Du einmal drin bist, gibt es kein Entrinnen ..." Zum Film gibt es weitere Informationen unter http://www.imdb.com/Title?0113957
  26. Dieses Vorteil gehört immer noch zu den Verbreitesten gegenüber dem Internet. Dagegen hat die Psychologin Nicola Döring 1995 in einer empirischen Studie festgestellt: "Vermutungen über Isolation und Einsamkeit bei Netznutzern konnten in dieser Untersuchung zurückgewiesen werden. Die befragten Netznutzer waren im Durchschnitt weder besonders isoliert, noch überdurchschnittlich einsam. Auch mehrjährige Netznutzung hatte nicht zur Degeneration oder Substitution von persönlichen Beziehungen außerhalb des Netzes geführt ... Die Ergebnisse sprechen insgesamt für eine Ergänzungshypothese, nach der elektronische Kommunikation andere Kommunikationsformen ergänzt und sich soziale Netzwerke durch zusätzliche, "reine" Netzkontakte mit geographisch entfernten Kommunikationspartnern erweitern. Besonders einsam waren erwartungsgemäß jene Respondenten, die nur einige Freunde und Bekannte und keine Partnerschaft hatten. Solche Isolationsprobleme stehen allerdings mit Netznutzung in keinerlei Zusammenhang. Die befragten Netznutzer schienen das Netz nicht eskapistisch zur Realitätsflucht, sondern eher konstruktiv zur Alltagsbewältigung einzusetzen." (http://doering.psi.uni-heidelberg.de/)
  27. Ernst Bloch, Fortschritt und Sinn der Geschichte, in: Türk/Trutwin (Hg.): Anthropologie, S. 146f.
  28. "Vincent is one of the last "natural" babies born into a sterile, genetically-enhanced world, where life expectancy and disease likelihood are ascertained at birth. Myopic and due to die at 30, he has no chance of a career in a society that now discriminates against your genes, instead of your gender, race or religion. Going underground, he assumes the identity of Jerome, crippled in an accident, and achieves prominence in the Gattaca Corporation, where he is selected for his lifelong desire: a manned mission to Titan. Constantly passing gene tests by diligently using samples of Jerome's hair, skin, blood and urine, his now-perfect world is thrown into increasing desperation, his dream within reach, when the mission director is killed - and he carelessly loses an eyelash at the scene! Certain that they know the murderer's ID, but unable to track down the former Vincent, the police start to close in, with extra searches, and new gene tests. With the once-in-a-lifetime launch only days away, Vincent must avoid arousing suspicion, while passing the tests, evading the police, and not knowing whom he can trust...? (Cynan Rees) Zusammenfassung nach der Internet Movie Database
  29. Die Zuordnung des Zitats ist wegen der Unschärfe des Bildes schwierig. [Anmerkung 14.01.2004: Malte Damrow verweist mich in einer Email auf die Lösung dieser Zuordnungsfrage: "Das Problem hat sich seit Erscheinen der DVD erledigt: Der Prolog nennt "Willard Gaylin" - ein anderes Problem taucht auf: das Internet (also Google) bietet "Willard", "Williard" und "William" Gaylin an, bezieht das Zitat aber mehrfach und ausschließlich auf William Gaylin, Professor für Psychatrie an der Columbia-University; dessen Äußerungen in der aktuellen Eutanasie-Diskussion lassen ihn durchaus als Urheber des "Gattaca-Satzes" erscheinen!" Das erscheint mir nach der Lektüre der Position Gaylins als außerordentlich wahrscheinlich.
  30. Im eigentlichen Sinne schafft er es aus eigener Kraft nicht: die unverdiente Gnade eines Laborwissenschaftlers ist es, die ihm in letzter Sekunde das Erreichen seines Ziels ermöglicht.