"... und räumlich glaubet der Mensch"

Der Glaube und seine Räume

von Andreas Mertin

Vortrag auf einer Tagung zur Kirchenpädagogik in Loccum 18.09.97
veröffentlicht in: Thomas Klie (Hg.), Der Religion Raum geben.
Kirchenpädagogik und religiöses Lernen, Münster 1998, S. 51-76

Einleitende Zusammenfassung

Auf der Suche nach Reflexionen über die Geschichte und Gegenwart räumlicher Verdichtungen von Religion, kann man mindestens drei verschiedene Einflüsterungen vernehmen:

  • Der Religionswissenschaftler Mircea Eliade meint: heilige Orte und religiöse Räume gab es überall auf der Welt, sie haben die Welt, die vorher leer und gleichförmig war, erst erfahrbar gemacht. Diese Erfahrung ist freilich eng an den religiösen Menschen geknüpft, der moderne Mensch, wie er sich seit der Neuzeit, vor allem seit der Aufklärung entwickelt, ist zu einer derartigen Erfahrung nicht mehr fähig. Heilige Orte und religiöse Räume sind für die Moderne eine Erscheinung der Vergangenheit.
  • Der Psychoanalytiker und Soziologe Alfred Lorenzer meint: heilige Orte und religiöse Räume im Sinne eines kulturellen Symbolsystems gab es weltweit bis in die Mitte der 60'er Jahre unseres Jahrhunderts (aber nur noch im Katholizismus). Dann wurde dieses räumlich-präsentative Symbolsystem schlagartig vollständig vernichtet. Hinter diese Vernichtung führt kein (guter) Weg zurück.
  • Der Reflexionshistoriker Michel Foucault meint: heilige Orte und religiöse Räume gibt es weiterhin, weil wir der stummen Sakralisierung der Räume noch nicht entronnen sind, solange unsere Welt in dichothome Räume aufgeteilt ist. Interessant sind dabei die sog. Heterotopien, welche alle anderen Räume repräsentieren und bestreiten. Heterotopien entwickelt jede menschliche Gruppe, aber sie gelten nicht universal.

Auch der Blick auf die Geschichte der jüdisch-christlichen Religion führt zu sehr unterschiedlichen, stark historisch gebundenen und kaum zu einem Modell zu entwickelnden Raumkonzepten:

  • Biblisch finden wir eine Vielzahl räumlicher Verdichtungen von Religion. Stichworte sind hier in der Väterzeit Beerseba, Beth-El, Hebron, für die Wüstenzeit der heilige Berg und die heilige Quelle sowie die Wanderheiligtümer Lade und Zelt. Seit Josia konzentriert sich der Kultus auf den Jerusalemer Tempel, der bis weit in die Zeiten der Urgemeinde auch Bedeutung für das Urchristentum hat. Außer dem Tempel hat sich dabei keine der räumlichen Verdichtungen als zeitübergreifend erwiesen.
  • Ein erstes nicht-sakrales, aber dennoch religiöses Modell einer räumlichen Verdichtung hat sich historisch mit der Synagoge entwickelt. Die Synagoge ist der nicht-sakrale und dennoch religiöse Raum par excellence. Sie ist profan, nicht an religiöse Virtuosen gebunden und stark rational orientiert.
  • Die Reformatoren verweisen darauf, daß der Kirchenraum keine besondere Nähe Gottes vermittelt, er wird funktionalistisch für Gebet, Predigt und Sakramentenspendung bestimmt. Sie haben keine Heiligkeit und sind schon gar nicht Wohnstätten Gottes. Dennoch unterliegen sie bestimmten Anforderungen von Andacht, Konzentration, Strukturierung.
  • Ende des 19. Jahrhunderts entstand mit dem Gemeindehaus ein zweites nicht-sakrales Modell religiöser Gemeinschaft, dessen Tragfähigkeit zur Zeit auf dem Prüfstand steht. Das Gemeindehaus entsteht aus der "Gemeindearbeit", ist alltagsorientiert, konkret und im Raumbedürfnis funktionalistisch. Eine Verbindung von "Gemeindehaus" und "Gotteshaus" ist nicht zwingend.

In der Gegenwart beobachten wir eine Zunahme allgemeiner Religiosität, die sich durchaus mit Orten und Räumen verbindet, bei gleichzeitiger Ablehnung der konventionellen, institutionell vermittelten Räumen:

  • Der religiöse Raum der Gegenwart ist keine ontologische Realität, sondern wird durch religiöse Subjekte konstituiert. Er wird da erfahrbar, wo mit Räumen noch Mythen verbunden werden. Das ist vor allem bei historischen Bauten (romanisch, gotisch, barock, neu-gotisch) der Fall und bei einer besonderen Inszenierung oder einem besonderen Ambiente der Räume.
  • Als weitgehend stabile alternative Heterotopie hat sich in der Gegenwart für einen bestimmten Kreis von Menschen (Selbstverwirklichungsmilieu) das Museum herausgestellt. Es unterliegt auffällig strukturell analogen Ritualen wie der klassische religiöse oder sakrale Raum.
  • Da es den religiösen "Raum an sich" nicht gibt, bleibt nur die Hinwendung zur je subjektiven Raumerfahrung. Wir bewegen uns sozusagen von den großen Raum-Mythen hin zu den individuellen Raum-Mythologien.
  • Wenn eine Architektur, die keinen Mythos verfolgt, inhaltslos ist, dann hat Kirchenpädagogik die Aufgabe, das Spiel der symbolischen Formen, das im Kirchenraum und im Gottesdienst stattfindet, wahrnehmbar zu machen, indem sie dieses zurückbindet an die religiöse Erzählwelt des Christentums.

Der heilige Raum ...

Der Religionshistoriker Mircea Eliade beginnt das erste Kapitel seines Buches "Das Heilige und das Profane"(1) mit den Worten: "Für den religiösen Menschen ist der Raum nicht homogen; er weist Brüche und Risse auf: er enthält Teile, die von den übrigen qualitativ verschieden sind. 'Komm nicht näher heran!' sprach der Herr zu Mose, 'Leg deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden' (Exodus 3,5). Es gibt also einen heiligen, d.h. 'starken', bedeutungsvollen Raum, und es gibt andere Räume, die nicht heilig und folglich ohne Struktur und Festigkeit, in einem Wort amorph sind. Mehr noch: diese Inhomogenität des Raumes erlebt der religiöse Mensch als einen Gegensatz zwischen dem heiligen, d.h. dem allein wirklichen, wirklich existierenden Raum und allem übrigen, was ihn als formlose Weite umgibt. Weisen wir sofort darauf hin, daß die religiöse Erfahrung der Inhomogenität des Raums eine Urerfahrung darstellt, die wir einer 'Weltgründung' gleichsetzen dürfen. Es handelt sich dabei nicht um theoretische Spekulation, sondern um ein primäres religiöses Erlebnis, das aller Reflexion über die Welt vorausgeht."(2)

Um sich in der Welt zu orientieren, bedarf der Mensch eines festen Punktes. Als Beispiele nennt Eliade die Kirche in der Stadt, welche zwei Welten - die religiöse und die profane - trennt, aber auch die Schwelle des heimischen Hauses. Dabei kann man heilige Orte nicht frei wählen, sondern nur suchen und finden.(3) Und jede existentiell-räumliche Verortung des Menschen wie der Bau eines eigenen Hauses partizipiert an dieser Erfahrung und bildet sie nach. Letztlich gehen "alle Symbole und Rituale, die sich an den Tempel, die Stadt und das Haus knüpfen, auf das Urerlebnis des heiligen Raumes zurück"(4).

Das Weltsystem der traditionsgebundenen Gesellschaften läßt sich zusammenfassend so beschreiben:

  • ein heiliger Ort stellt einen Bruch in der Homogenität des Raumes dar;
  • dieser Bruch ist durch eine 'Öffnung' symbolisiert, die den Übergang von einer kosmischen Region zur anderen ermöglicht (vom Himmel zur Erde und umgekehrt von der Erde in die Unterwelt);
  • die Verbindung mit dem Himmel kann durch verschiedene Bilder ausgedrückt werden, die sich alle auf die axis mundi beziehen: Säule, Leiter, Berg, Baum, Liane usw.;
  • rund um diese Weltachse erstreckt sich die 'Welt' ('unsere Welt'), folglich befindet sich die Achse 'in der Mitte', im 'Nabel der Erde', sie ist das Zentrum der Welt.(5)

Daraus ergeben sich weitere Schlußfolgerungen:

  • heilige Städte und Heiligtümer befinden sich im Zentrum der Welt;
  • die Tempel sind Nachbildungen des kosmischen Berges und bilden das Band zwischen Erde und Himmel;
  • die Grundmauern der Tempel tauchen bis tief in die unteren Regionen hinab.(6)

Ein Kirchenraum, ein Tempel, ein heiliger Raum sind also immer eins: imago mundi, ein idealer Weltentwurf. Die Errichtung des Sakralraums und sogar der Wohnung wiederholt die Kosmogonie. "Tempel, Basilika und Kathedrale" sind heilige Ort par excellence, sie bauen ein "transzendetes Modell" nach.(7) Augenfälliges Beispiel ist die Kathedrale als Nach-Bau ebenso des himmlischen Jerusalems wie des Paradieses bzw. der himmlischen Welt. Die irdische Welt kann verletzt, überfallen, zerstört werden, das ideale Modell im Bewußtsein des religiösen Menschen aber nicht.

... ein historisches Auslaufmodell ...

Was bisher beschrieben wurde, gehört zu jener Seinsweise, die Eliade die Heilige nennt und die sich in der religiösen Erfahrung erschließt. Zu Eliades Beobachtungen gehört es nun aber auch, daß diese räumlich verdichtete Erfahrung des Heiligen eine Art "historisches Auslaufmodell" ist. Zu beobachten sei, daß alle bisherigen religiösen Raumerfahrungen sich deutlich von der Raumerfahrung des nicht(mehr)religiösen Menschen der Gegenwart unterscheiden. Für den heutigen Menschen gilt gegenüber den heiligen Orten das gleiche, was Hegel schon für die heiligen Bilder geschrieben hat: "Mögen wir die griechischen Götterbilder noch so vortrefflich finden und Gottvater, Christus, Maria noch so würdig und vollendet dargestellt sehen: es hilft nichts, unser Knie beugen wir doch nicht mehr".(8) Diese Beobachtung kann nun jeder machen, der die aktuellen Verhaltensweisen in kirchlichen Räumen zum Gegenstand seiner Betrachtung macht. Nicht nur die (kunsthistorisch interessierten) Besucher kirchlicher Räume haben scheinbar jedes strukturierende Raumgefühl verloren, ihnen fehlt ebenso der Sinn fürs religiöse Raumformen wie oft auch das Wissen um die den besonderen Raum strukturierenden Erzählformen. Selbst bei regelmäßigen Gottesdienstbesuchern herrscht eine elementare Verwirrung über die notwendigen oder auch nicht notwendigen Elemente des Kirchenraums wie z.B.: welche Bedeutung hat ein Altar? Muß immer ein Kreuz in einer Kirche sein? Gibt es eine liturgisch vorgegebene Raum-Struktur?

Auf der anderen Seite muß man aber auch differenzieren: ganz offensichtlich gibt es ein Bedürfnis nach einer besonderen Strukturierung von Räumen, ohne daß dem eine entsprechende Kompetenz im Umgang gegenüberstehen würde. Man könnte vielleicht davon sprechen, daß es zwar noch ein diffuses religiöses Raum-Gefühl gibt, dieses sich aber mangels der Rückbindung an religiöse Deutungskategorien, sprich die christliche Erzähl- und Bautradition nicht mehr kommunikabel machen läßt. Wenn sich allerdings heilige Orte an einer Anerkenntnis eines als ontologisch verstandenen Einbruchs des Heiligen in die Welt festmachen, dann gibt es keine heiligen Orte mehr, weil im Zuge der neuzeitlichen Subjektivierung des Religiösen die Erfahrung eines ontologisch vorgegebenen Heiligen immer mehr zurücktritt. Wenn das Charakteristikum des religiösen Menschen der "ontologische Durst" ist, das Bedürfnis, "sich im Kern des Realen, im Zentrum der Welt zu situieren", sich dort aufzuhalten, "wo die Möglichkeit besteht, mit den Göttern zu kommunizieren; also dort wo man den Göttern am nächsten ist"(9), dann sind die heutigen Menschen davon um Welten entfernt. Tatsächlich gilt das, was Eliade für den "klassischen" religiösen Menschen beschreibt, für die Mehrzahl der Menschen Westeuropas nicht mehr, diese Erfahrungsform des Religiösen steht weitgehend nicht mehr zur Verfügung. Nun zeigt freilich ein Blick auf empirische Erhebungen, daß auch in der Gegenwart Raumformen Rückwirkungen auf religiöse Verhaltensformen haben.(10) Erklärbar wird das durch das, was der französische Sozialwissenschaftler Maurice Halbwachs schon 1925 das kollektive Gedächtnis der Menschen genannt hat, welches auch räumlich orientiert ist.(11) D.h., auch wenn die Menschen immer weniger konkret von der religiösen Tradition wissen, so wissen sie doch allgemein um das "Daß" der religiösen Tradition und daß sie sich räumlich äußert.

... des 20. Jahrhunderts?

Maurice Halbwachs hatte 1925 geschrieben, "der Ort, an dem eine Gruppe lebt, ist nicht gleich einer schwarzen Tafel, auf der man Zahlen und Gestalten aufzeichnet und dann auswischt"(12). Dennoch gibt es im 20. Jahrhundert einen weltumspannenden Versuch, genau dies zu tun. Deshalb möchte ich einen Blick auf dieses einzigartige Bemühen werfen, eine vollgeschriebene schwarze Tafel religiöser Raumerfahrung auszuwischen. Das vielleicht gewagteste Experiment einer globalen Raumveränderung mit zwischen den Experten umstrittenen Folgen für die Religion, stellt die weltweite Umstrukturierung katholischer Kirchen seit dem II. Vaticanum dar. Alfred Lorenzer hat in seinem Buch "Das Konzil der Buchhalter. Die Zerstörung der Sinnlichkeit. Eine Religionskritik"(13) sehr kenntnisreich den "Vandalismus"(14) der römischen Kurie gegenüber dem Raum beschrieben. Das II. Vaticanum hatte die katholische Kirche liturgisch auf die Höhe der Zeit bringen wollen, es wollte alte Zöpfe abschneiden und die Liturgie dem Volke wieder nahebringen. Dazu veränderte sie die räumliche Inszenierung von Kirchen.

In der entsprechenden uns interessierenden Instruktion der Kurie heißt es: "Es ist gut, daß der Hauptaltar von der Wand getrennt angelegt werde, leicht umschreitbar und geeignet für die Zelebration zum Volke hin". D.h. er sollte die Mitte sein, auf die sich die Blicke der Versammlung richten.(15) Was sich als Empfehlung gibt, wurde in kürzester Zeit global als Verwaltungsvorschrift umgesetzt. In die Mitte der katholischen Kirchen wurde ein großer, im wesentlichen leergeräumter Stein-Altar gesetzt. Was das für die Strukturierung von Kirchen bedeutet, zeigt der Vergleich zweier Ausgaben des Duden-Bildwörterbuchs, eine aus der Zeit vor dem Vaticanum und eine aktuelle. Der Verlust an sinnlich-präsentativer Symbolik ist dabei augenscheinlich.(16) Nach Ansicht von Lorenzer hat das für den Katholizismus - anders als in reformierten Kirchen(17) - bedeutsame Folgen für den Glauben, weil dieser unmittelbar an ein sinnlich-präsentatives Symbolsystem gebunden ist.

Im Unterschied zu Eliade geht Lorenzer nicht davon aus, daß religiöse Räume ontologisch vorgegeben sind, sondern er begreift sie als konstruiert innerhalb eines überlieferten kulturellen Symbolsystems, über das jedoch nicht willkürlich verfügt werden kann. Veränderungen von religiösen Räumen sind keinesfalls harmlos, sondern greifen tief in den Symbol-Haushalt der Menschen ein. Was die katholische Kirche seit dem II. Vaticanum betrieben habe, sei daher "eine Barbarei, die eigenmächtig ruiniert, was allen gehört ... denn für die sinnliche Erfahrung (sind) Kirchen kollektive Symbole, kultureller Kollektivbesitz"(18) und nicht einfach eine Verfügungsmasse der Institution Kirche. Daß niemand von diesem Vandalismus Kenntnis genommen habe, liege nicht zuletzt daran, daß sie Ausdruck eines weit über die Kirche hinausreichenden gesellschaftlichen Destruktionsprozesses sei.(19) Lorenzer geht schließlich so weit, daß er den durch das II. Vaticanum angerichteten Schaden für irreparabel hält.(20)

Eliade und Lorenzer gehen also von einer faktischen Schädigung der (religiös-sinnlichen) Erfahrungswelt der Menschen aus. Will man dem nicht folgen und daran festhalten, daß es auch heute noch so etwas wie nicht-alltägliche, bedeutungsgeladene Räume gibt, wird man nach anderen Elementen als dem Heiligen oder der Präsentation überlieferter Symbolik suchen müssen. So könnte man einem anderen Theoretiker folgen, der uns darauf aufmerksam macht, daß schon die dichothome Entgegensetzung von Räumen eine religiös zu nennende Grundstruktur enthält.

Die zu leistende Aufgabe: Heterotopologie

Michel Foucault hat die These geäußert, daß im Gegensatz zur Zeit, die im 19. Jahrhundert nahezu vollständig entsakralisiert worden sei, dies mit dem Raum nicht gelungen sei.(21) Zwar habe es im Gefolge Galileis eine theoretische Entsakralisierung des Raumes gegeben, aber diese habe sich noch nicht praktisch durchgesetzt. Vielmehr werde unser Leben durch eine Reihe von Entgegensetzungen gesteuert, an denen man kaum rühren könne. Exemplarisch nennt Foucault die Entgegensetzungen "zwischen dem privaten Raum und dem öffentlichen Raum, zwischen dem Raum der Familie und dem gesellschaftlichen Raum, zwischen dem kulturellen Raum und dem nützlichen Raum, zwischen dem Raum der Freizeit und dem Raum der Arbeit. Alle diese Gegensätze leben noch von einer stummen Sakralisierung."(22) Deutlich sei, "daß wir nicht in einem homogenen und leeren Raum leben, sondern in einem Raum, der mit Qualitäten aufgeladen ist".(23)

Foucault interessiert sich nun für solche Räume, die gegenüber anderen grundsätzlich anders geartet sind, Räume mit "sonderbaren Eigenschaften", weil sie sich auf alle anderen Plazierungen beziehen. Diese Räume gehören zwei elementaren Typen an: den Utopien als Plazierungen ohne Ort und dem, was Foucault Heterotopien nennt. Heterotopien sind wirkliche Orte und Räume, die eine Art Widerlager oder Gegenplazierung darstellen, Orte und Räume, "in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind".(24) Für Heterotopien gelten mehrere Grundsätze:

  1. Jede Kultur bildet derartige Heterotopien aus;
  2. die Funktion dieser Heterotopien variiert im Verlauf der Geschichte;
  3. können Heterotopien mehrere einander ausschließende Räume in sich vereinen;
  4. sind Heterotopien häufig an Zeitschnitte gebunden, sie speichern Zeit oder sie heben sie auf;
  5. setzen Heterotopien immer ein System von Öffnungen und Schließungen voraus und
  6. üben sie eine Funktion gegenüber dem verbleibenden Raum aus.

Heterotopien dieser Art sind Bordelle und Kolonien, aber eben auch Friedhöfe und Kirchen. Foucaults Ausführungen haben für unsere Überlegungen zwei Implikationen: 1. stärken sie noch einmal die Vermutung, daß Räume tatsächlich zentral etwas mit Religion zu tun haben und daß sakrale Räume ein wichtiges Potential gerade auch in der Reflexion unseres Ortes in der Welt darstellen können; 2. verweisen sie darauf, daß nicht erst Kirchenräume sakralen Charakter haben, sondern daß jede polare Strukturierung von Räumen, jede räumliche Heterogenität in einem elementaren Sinne etwas mit "Religion" zu tun hat. Die Beschreibung dieser Loccumer Tagung geht nun davon aus - ohne das Wort Heterotopie selbst zu erwähnen -, daß Kirchenräume für Jugendliche des ausgehenden 20. Jahrhunderts derartige Widerlager darstellen könnten, die zudem "neue Zugänge zur Tradition erschließen".

Ob diese Vermutung zutrifft, muß überprüft werden, geleistet werden muß "das Studium, die Analyse, die Beschreibung, die 'Lektüre' dieser verschiedenen Räume ... gewissermaßen eine zugleich mythische und reale Bestreitung des Raumes, in dem wir leben; diese Beschreibung könnte 'Heterotopologie' heißen."(25) Alle drei vorstehend skizzierten Ansätze bilden derartige Heterotopologien: Eliades Modell der an die Erfahrung des Heiligen geknüpften Raumerfahrung, Lorenzers Modell der endgültigen Eliminierung des religiösen Raumes im späten 20. Jahrhundert und Foucaults Modell der fortdauernden stummen Sakralisierung des Raumes. Was wir zu leisten haben, ist ebenfalls eine Heterotopologie: die des religiösen Raumes in seiner Geschichte und Gegenwart.

Biblische Grundlagen

So könnte man zunächst fragen, ob sich nicht im Sinne des protestantischen "sola scriptura" im Rekurs auf die biblischen Schriften so etwas wie ein Modell einer dem Glauben angemessenen Raumform ergibt.(26) So kann tatsächlich die Geschichte der jüdisch-christlichen Religion in einem gewissen Sinne als eine Geschichte empirisch beschreibbarer "religiöser Räume" gelesen werden. Auf diese Weise entsteht am Beispiel der Baukunst eine Physiognomie religiöser Raumkultur.(27) Vom "flexiblen Wohnen der Erzväter", den "Wahrzeichen Ägyptens" und dem "Panorama Libanons", über den "Genius Loci der Antike" und die gotische "Charakterschrift des Mittelalters" sowie den "neuen Illuminationen" der Renaissance bis hin zu den "Stadtgesichtern der (Post)Moderne" läßt sich ein faszinierendes Bild menschlicher Religionsgeschichte entwerfen: mit Säulen, Mauern, Dächern und Leerräumen schreibt die inkarnierte Vernunft ihre geschichtliche Behausung in der Doppelung fester und beweglicher Züge.(28)

Während jedoch die beweglichen Züge als jeweils Neues leicht zu beschreiben sind, sind die festen Züge um so schwerer wahrzunehmen. Man findet kaum eine Kontinuität im religiösen Bauen, die von den Zelten der Erzväter bzw. den Privatquartieren der frühen Kirche und den ersten Basiliken(29) über die großen Kirchenbauten des Mittelalters bis in die postmoderne Gegenwart reichen würde. Die Geschichte des jüdisch-christlichen Tempel- und Kirchenbaus gibt zwar viele Hinweise und Anregungen auf die jeweiligen Zeitumstände und Kontexte, läßt aber wenige Rückschlüsse auf darin zum Tragen kommende biblisch begründete Raumkonzeptionen zu.

Biblisch finden wir in der Tat eine Vielzahl räumlicher Verdichtungen von Religion.(30) Stichworte sind hier in der Väterzeit Beerscheba, Bet-El, Hebron, für die Wüstenzeit der heilige Berg und die heilige Quelle sowie die Wanderheiligtümer Lade und Zelt. Seit Josia konzentriert sich der Kultus auf den Jerusalemer Tempel, der bis weit in die Zeiten der Urgemeinde auch Bedeutung für das Urchristentum hat. Außer dem Tempel hat sich dabei keine der räumlichen Verdichtungen als zeitübergreifend erwiesen. Alle genannten räumlichen Verdichtungen werden im Sinne Eliades "vorgefunden" und nicht konstruiert: "Elemente der Erzählung sind etwa: Zufällig stößt jemand auf die Stätte [...], stellt in einem Wort die Besonderheit des Ortes ausdrücklich fest [...], gibt ihm einen Namen [...] und baut einen Altar o.a. [...]"(31)

Übereinstimmung scheint dennoch darin zu bestehen, daß sich aus den biblischen Schriften irgendwie geartete Raumkonzepte nicht unmittelbar ergeben.(32) Wohl aber läßt sich konkretes Verhalten gegenüber Orten und Räumen beschreiben, das uns Einsichten in eine historisch realisierte und damit eine mögliche als religiös erfahrene Strukturierung des Raums bzw. Ortes vermittelt. Ein Beispiel ist der Psalm 84: der Pilger steht vor dem Tempel (3), lobt Gott für seine Führung (4.7f.12) und besingt das Glück der hier Wohnenden (5f.11): Wohl denen, die in deinem Hause wohnen, ... denn ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser als sonst tausend. Nicht zuletzt dürfte die emphatische Freude und Überhöhung, die im Zions-Lied zum Ausdruck kommt, der ausgeprägten Differenz von Alltag und Fest, von Dorf und Stadt entspringen. "Die Zionslieder besingen das Vertrauen auf Gott, indem sie den Ort preisen, an dem Gott wohnt ...in Ps 125,1f kann die Sicherheit Jerusalems sogar zum Bild für die Geborgenheit der Glaubenden in Gott werden ... Gottes Schutz wird auf einen besonderen Raum eingegrenzt"(33)

Exkurs A: Die Synagoge - ein alternatives religiöses Modell

Die jüdische Religion hat neben dem Tempel ein zweites, völlig anders geartetes Modell des religiösen Raumes entwickelt, ein Modell, das zwar immer auf den Tempel in Jerusalem bezogen blieb, seine Aktualität aber gerade aus der Distanz zu ihm erhielt, gemeint ist die Synagoge. In der Diaspora half die Synagoge in einer fremden Umwelt den eigenen Glauben zu bewahren. Synagogen sind erst seit dem 3. Jahrhundert v.Chr. sicher bezeugt, ihre Ursprünge liegen im Dunkel. Fern vom Heiligtum in Jerusalem ermöglichten sie die Versammlung am Sabbat, und betonten gegenüber dem Opfer Schriftauslegung und Gebet.

"Dem Griechischen entstammend, dort Synonymum für Versammlung, erhielt die Bezeichnung Synagoge im Sprachgebrauch der Juden die engere Bedeutung von Gemeinde. Das hebräische Wort Knesset wiederum beinhaltet beide Bedeutungen, mit ihm wird sowohl die Versammlung als auch die Gemeinde bezeichnet ... In jeder der Bezeichnungen klingt an, was die Synagoge nicht nur vom Tempel in Jerusalem, sondern auch von den Tempeln der Antike wie von den Kirchen des Mittelalters und der Neuzeit unterscheidet: Versammlungsort nicht zum gemeinsamen Gebet zu sein, sondern dem Gebet, dem Anhören der heiligen Schriften und dem Diskurs bis hin zum Beratschlagen die Gemeinschaft betreffender, profaner Angelegenheiten zu dienen".(34)

Deutlich trennt sich also die Synagoge, als Versammlungsort vom Tempel, als dem gottgeweihten Ort.

"In keiner Weise war die Synagoge ein Wohnraum für die Gottheit. Sogar als Stätte des Gottesdienstes unterschied sie sich in jeder Weise von allem, was es bis dahin auf der Welt gegeben hatte. Man hielt dort religiöse Übungen ab, ohne das Privileg von Opfer oder einem Allerheiligsten und ohne daß die Gegenwart eines Priesters notwendig war ... Noch bezeichnender ist es, daß die Synagoge ihrem Wesen nach eine Einrichtung der Laien war. Sie ist das bedeutendste und dauerhafteste System einer Laienführerschaft in der Religionsgeschichte überhaupt. Jeder Jude konnte die Thora verlesen, die Versammlungen leiten und, wenn er die Gabe hatte, zu seinen Genossen reden. Überall konnten zehn Juden eine beschlußfähige Vereinigung (minjan) bilden und eine Synagoge organisieren. War ein Priester zugegen, so wurde ihm Ehrerbietung erzeigt, aber er hatte keine besondere Rolle beim Gottesdienst. Im Gegensatz zum religiösen Leben im Tempel und zu allen heidnischen Religionen des Altertums, war dies eine einzigartige, bemerkenswerte Abweichung."(35)

Dementsprechend schreibt Richard Krautheimer über mittelalterlichen Synagogenbau:

"Der rational unterbaute Gottesdienst ist weniger sakral, hat ganz ausgesprochen profanen Charakter, ohne deshalb weniger religiös zu sein ... (Deshalb) genügt jeder beliebige Raum, alles Gegebene, das nur einigermaßen den wenigen äußeren Forderungen, die .. (er) stellt, sich anpassen läßt. "(36)

Das heißt aber nicht, daß die Synagogenarchitektur notwendig schlicht und unscheinbar gewesen wäre, vielmehr entwickelt sie sich zu einer Baugattung "von eigenständigem und hohem bauästhetischen Rang".(37) Vermutlich werden in den ersten beiden Jahrhunderten Juden und Christen gemeinsam in diesen Räumen Gottesdienst gefeiert haben oder sich wenigsten die Nutzung des Bauwerks geteilt haben.(38) Schon früh haben also Judentum und ansatzweise das Christentum eine Raumform genutzt, die Religion weniger emotiv, als vielmehr diskursiv gelebt hat.

Kirchengeschichtliche Reflexionen

Auch die reformatorischen Texte, soweit sie sich auf Kirchenbau und Raumfragen einlassen, bekräftigen die theologische Erkenntnis, daß sich der Raum zur Gottesbeziehung neutral verhält: "Er gewährt keine besondere Nähe Gottes außerhalb des Vollzugs der Verkündigung".(39)

In Luthers Torgauer Predigt von 1544 erklärt dieser, für den Kirchenraum solle gelten, das nichts anderes darin geschehe, denn das unser lieber Herr selbs mit uns rede durch sein heiliges Wort, und wir widerumb mit jm reden durch Gebet und Lobgesang (WA 49,588). Kirchengebäude komme keine besondere Heiligkeit zu: "Nicht das man daraus ein sondere Kirchen mache, als were sie besser denn andere heuser, do man Gottes Wort predigt. Fiele aber die not fur, das man nicht wolte oder kündte hierin zusamen komen, so möcht man wohl draussen beim Brunnen oder anders wo predigen" (WA 49,592).(40) Auffällig ist, daß Luther eine rein funktionalistische Auffassung des Raums propagiert, weit entfernt von jeder anthropologischen Besinnung auf das, was Räumen über ihre funktionale Seite hinaus noch zukommt. Konsequenterweise sollen Kirchen, in denen nicht mehr gebetet, gepredigt und Sakramente empfangen werden, abgebrochen werden.(41)

Calvin behandelt das Thema in der Institutio ausführlich im Kapitel zum Gebet. Dort schreibt er zur Bedeutung der Kirchengebäude: "Wie nun Gott den Gläubigen das gemeinsame Gebet in seinem Wort gebietet, so müssen auch öffentliche Kirchengebäude da sein, die zum Vollzug dieser Gebete bestimmt sind ... Nur muß dabei alles Gepränge und alles Haschen nach menschlichem Ruhm wegbleiben, und es muß lautere, wahre Andacht herrschen, die im Verborgenen des Herzens wohnt. Dies ist also sicherlich der rechte Gebrauch der Kirchengebäude. Dann müssen wir uns aber auf der anderen Seite hüten, sie nicht etwa, wie man das vor einigen Jahrhunderten angefangen hat, für Gottes eigentliche Wohnstätten zu halten, in denen er sein Ohr näher zu uns kommen ließe; auch sollen wir ihnen nicht irgendeine verborgene Heiligkeit andichten, die unser Gebet bei Gott geheiligter machte ... Gewiß war einst auf Gottes Geheiß der Tempel zum Beten und zur Darbringung der Opfer geweiht; aber das war zu einer Zeit, als sich die Wahrheit noch unter der Darstellung durch solche Schattenbilder verbarg; jetzt aber ist sie uns lebendig offenbar geworden, und nun gestattet sie uns nicht mehr, an irgendeinem Tempel zu hängen, der mit Händen gemacht ist!"(42)

Demnach scheint Übereinstimmung bei den Reformatoren über die Ablehnung heiliger Orte oder Räume zu bestehen. Ihre Haltung ist im wesentlichen von der Abwehr zeitgenössischer Raumvorstellungen geprägt. Kirchenbau wird fast ausschließlich funktionalistisch für Gebet und Verkündigung bestimmt. Diese Haltung hat die protestantische Theologie bis in die Gegenwart beibehalten. Erst das Scheitern der Idee des Gemeindezentrums in den 60/70er Jahren machte darauf aufmerksam, daß die Mehrzahl der Kirchenbesucher einer Raumauffassung verbunden geblieben ist, die in kirchlichen Räumen mehr als nur Versammlungsräume der Gottesdienst feiernden Gemeinde sieht. Kirchenräume haben eine emotional-mythische Dimension, die in neueren Überlegungen unter dem Stichwort der "anthropologischen Dimension" eine größere Rolle spielt. Insbesondere religionswissenschaftliche Gesichtspunkte werden nun verstärkt berücksichtigt.

Exkurs B: Das Gemeindehaus - der Beitrag des 19. Jahrhunderts(43)

Das ausgehende 19. Jahrhundert hat mit dem Gemeindehaus eine kirchengemeindliche Raumform entwickelt, die durchaus Verwandtschaft mit dem religiösen Raummodell der Synagoge hat. Das Nebeneinander von "Gottes-Haus"(44) und "Gemeinde-Haus" läßt fragen, was hier symbolisch codiert wird, wer in welchem Haus zu Hause ist. "In der Raumkonzeption 'Gemeindehaus' haben die Initiativen der Volkskirche ihren Ausdruck gefunden, sich in ihren Gemeinden auf die Alltagswirklichkeit der Menschen in ihrem Umfeld einzulassen."(45) Gemeindehäuser "sind das Zuhause der Vielzahl alters-, geschlechts- oder themenspezifischer Gruppen, in denen sich kirchengemeindlicher Alltag im Regelfall heute abspielt ... So ist das Gemeindehaus der sichtbare Ausdruck der Öffnung der Kirche hin zu der Vielfalt familialer, sozialer und auch gesellschaftlich-politischer Lebensformen und Problemlagen im Nahbereich der Kirche".(46)

Wie bei der Synagoge der Rabbi so kann auch im Gemeindehaus der Pfarrer nur Gast sein, in vielen Gemeinden verfügt der Pfarrer nicht einmal über einen Schlüssel zum Gemeindehaus. Theologisch ist die Arbeit im Gemeindehaus unterschiedlich bewertet worden. Ob es sich hier nur um eine Vorform im Blick auf die eigentliche Aufgabe der Kirche handelt oder ob diese Art der Gemeindearbeit den Kern kirchlichen Engagements darstellt, darüber konnte keine Einigung erzielt werde. Deutlich ist aber, daß dieses Konzept der Gemeindearbeit seine Raumform im Gemeindehaus gefunden hat. Faszinierend im Blick auf unser Thema - der Glaube und seine Räume - ist, daß wir vermutlich von zwei(47) unterschiedlichen Gemeinden innerhalb der Kirche ausgehen müssen: "Es führt kein direkter Weg vom Gotteshaus ins Gemeindehaus und zurück ... Vielerorts leben in einer Kirchengemeinde heute zwei Gemeinden nebeneinander, die Gottesdienstgemeinde und die Gemeindehausgemeinde. Die erstrebte Identität beider ist Ziel vieler Bemühungen und mancher Appelle, aber die Schnittmenge ist von Ort zu Ort unterschiedlich und tendenziell eher gering."(48)

Raumkonzeptionell spannend ist die Tatsache, daß traditionell die evangelischen Kirchen im Alltag verschlossen, die Gemeindehäuser aber geöffnet sind. "Verschlossene Kirche - offenes Gemeindehaus: In dieser letztlich absurden Konstellation wird die Verknüpfung einer ganzen Reihe von theologischen, semantischen, kirchenpraktischen und kirchentheoretischen Dimensionen mit Fragen der Raumkonzeption und der Kirchenarchitektur erkennbar".(49) Angesichts der anstehenden finanziellen Engpässe der Kirche, die vor allem in den Großstädten Raumeinsparungen von bis zu 40% erforderlich machen, wird es sehr interessant sein, wie sich die Evangelische Kirche bzw. die Gemeinden und Synoden zwischen Gotteshaus und Gemeindehaus entscheiden, ob sie - sie je nach Entscheidung - das Gemeindehaus in das Gotteshaus einbauen oder im Gemeindehaus spezifisch religiöse Räume freihalten. Vermutlich wird die Entscheidung der Kirche, weil sie amtskirchlich, dogmatisch gefällt wird, zugunsten der Raumform "Gotteshaus" fallen.(50) Dann aber wird es die zentrale Frage sein, ob es gelingt, die "Glaubensform Gemeindehaus" in der "Glaubensform Gotteshaus" zu beheimaten: Lernen müßte letztere von der ersteren die alltägliche Offenheit, lernen auch, daß Räume ihre Bewohner und Besucher je spezifisch ansprechen müssen, je nach Aufgabe und Ritus, die ihnen zugedacht sind.

Theoästhetik oder: Der religiöse Raum der Gegenwart

Ich möchte den bisherigen Argumentationsgang noch einmal zusammenfassen, um eine Grundlage für die abschließenden kirchenpädagogischen Überlegungen zu haben. Offensichtlich sind sich fast(51) alle einig, daß so etwas wie heilige Orte oder Räume im Sinne einer ontologischen Vorordnung historisch überholt sind. Problematisch erscheint auch der inszenatorische Gehalt heutiger Kirchen, insofern er nicht mehr verstanden wird und auch als musealisiert erscheint. Allerdings, das wissen wir seit den Experimenten mit den Gemeindezentren, stößt der Kirchenraum als profaner Raum auf den Widerstand der religiösen Subjekte. Deshalb scheint es sinnvoll, nach jenen Codierungen zu fragen, die einen Raum als religiösen Raum wahrnehmen lassen.

Zu erforschen ist also, wann Menschen heute Räume als religiöse bezeichnen, ob und wie sie bestimmte Räume gegenüber anderen auszeichnen. Zu fragen wäre also nach den Kommunikationsformen christlicher/religiöser Zeichen im Rahmen gegenwärtiger kultureller Zeichenprozesse, es wäre zu studieren, wer wann wozu sagt: dies ist ein religiöser Raum - und dies ist keiner.

Diese Erforschung stellt sich angesichts der in der Kirche aufeinander treffenden unterschiedlichen soziologischen Gruppierungen und Interessenlagen als äußerst komplex dar. 1972, also vor 25 Jahren, führte das Institut Allensbach eine repräsentative religionssoziologische Untersuchung zum evangelischen Gottesdienst durch, die unter dem Titel "Gottesdienst in einer rationalen Welt"(52) der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Im Rahmen dieser Untersuchung wurden den Befragten auch acht Fotos von Kirchen vorgelegt, verbunden mit der Frage, in welcher dieser Kirchen sie am liebsten Gottesdienst feiern und in welcher dieser Kirchen sie am liebsten an einem Diskussionsgottesdienst teilnehmen würden. Ich nehme diese Befragung trotz ihres Alters zur Grundlage einiger Überlegungen, weil zum einen ähnlich umfassende Studien seitdem m.W. nicht wieder vorgelegt wurden und weil diese Studie zum anderen einige Vorurteile widerlegt.

Nicht überraschend ist die Erkenntnis, daß die beliebtesten Raumformen der klassizistisch-barock wirkende Typ und der gotische Kirchenraum sind. Der gotische Kirchentyp ist der mit der höchsten Konstanz in allen soziologischen Gruppierungen. Fragt man allerdings nach der Möglichkeit, mit dem Pfarrer in der Kirche zu diskutieren, so rückt der gotische Raumtyp an das Ende der Skala und statt dessen wird die Kollegiumskirche favorisiert. Das ist an sich nicht überraschend, wird aber zum Problem, wenn durch die Annäherung von Gemeindehaus und Gotteshaus Kommunikation wieder eine größere Rolle spielt. Konzentriert man sich auf die Feier eines normalen Gottesdienstes, dann fällt auf, daß die einzelnen soziologischen Gruppierungen höchst unterschiedlich reagieren. Im Blick auf das Alter treten bei den Jüngeren die kunsthistorisch ausgezeichneten Raumformen stark zurück, während sie von den Älteren stark bevorzugt werden. Eine ähnliche Schere tut sich überraschenderweise auch beim Geschlecht auf. Erklärbar wird dies vielleicht, wenn wir einen Blick auf den Kirchenbesuch werfen. Vergleicht man Geschlecht und Kirchenbesuch, erkennt man eine große Übereinstimmung. In ihren Urteilen verwandt sind offensichtlich über 60-jährige, Frauen und regelmäßige Kirchgänger einerseits, sowie 20-29-jährige, Männer und Nichtkirchgänger andererseits. Dagegen sind Bildung und der Stadt-Land-Gegensatz von untergeordneter Bedeutung bzw. in der Tendenz nicht einheitlich.(53)

Der Vergleich der Kollegiumskirche - die der Favorit im Blick auf den Diskussionsgottesdienst war - mit der gotischen Kirche - die zu den Spitzenreitern im Blick auf die allgemeine Gottesdienstfeier gehört -, zeigt einige interessante Details. So nähern sich beide für die Gruppe der 16-20jährigen deutlich an. Ähnliches gilt für die Gruppe mit Abitur und - mit Abstrichen - die Gruppe der Nichtkirchengänger. Für alle drei Gruppierungen erweist sich auch der Zentralbau als attraktive Raumform. Soll also die Begegnung mit kunsthistorisch ausgezeichneten Kirchen ein Programm zur Attraktivitätssteigerung der institutionalisierten Kirche sein, arbeitet es mit falschen Paradigmen. Überdurchschnittlich attraktiv sind derartige Gebäude vor allem für Frauen, über 60jährige, untere Bildungsschichten und regelmäßige Kirchgänger.(54)

Eine weitere interessante Differenz ergibt sich in der unterschiedlichen Präfigurierung der gotischen bzw. der klassizistisch-barocken Kirche. Wieder treffen wir auf das schon erwähnte Ensemble der Männer, der Jüngeren, der Gebildeten und der Nichtkirchgänger, die in diesem Falle eher die gotische Inszenierung bevorzugen, während das alternative Ensemble der Frauen, der Älteren, der regelmäßigen Kirchgänger die klassizistisch-barocke Inszenierung präfigurieren. Dabei ist die klassizistisch-barocke Inszenierung mit einer Variationsbreite von ± 10 Prozentpunkten wesentlich umstrittener als die gotische Inszenierung mit einer Variationsbreite von ± 5 Prozentpunkten. Ob hinter diesen Differenzierungen der Unterschied zwischen einer eher emotionalen und einer eher diskursiven Raumbewertung steht, bedürfte besonderer qualitativer Forschung. Und schließlich gibt es für alle Beteiligten offensichtlich zwei religiös unattraktive Bauformen: Das ist der Gemeindesaal in einfachster Ausstattung und überraschenderweise die alte Dorfkirche(55). Sie erreichen in ihren besten Werten nicht die schlechtesten der kunsthistorisch ausgezeichneten Räume. Das ändert sich erst, wenn ein anderer Raumzweck ins Blickfeld tritt.

Eine der Ausgaben des neuen Evangelische Gesangbuch beschreibt die Sprache kirchlicher Räume: "Kirchen sprechen durch ihre Bauweise. Romanische Kirchen mit ihren dicken Wänden und gerundeten Fenstern vermitteln Schutz und Geborgenheit wie eine feste Burg. Gotische Pfeiler und Fenster streben zum Himmel. Sie weisen nach oben und lassen Licht und Weite herein. Moderne Kirchen nehmen oft Formen des Alltags auf, um zu zeigen: Gottesdienst, Glaube und Leben gehören zusammen. Manche bilden eine Oase der Stille in einer lauten Umwelt. Gebets- und Meditationsecken und offene Kirchen laden ein zu Besinnung und Meditation. Unsere Gottesdiensträume sind ein Angebot zur Begegnung mit Gott."(56) Diese Beschreibung geht davon aus, daß Bausprache relativ eindeutig rezipiert wird. Ganz offensichtlich ist das nicht der Fall. Vielmehr gilt: Männer nehmen Räume anders wahr als Frauen, Junge anders als Alte, Distanzierte anders als Verbundene: "Bei der Feststellung der faktisch bestehenden Differenzen unter den Menschen geht es für Kirche und Theologie nicht nur um die unterschiedlichen Verstehensmöglichkeiten bei verschiedenen Altersgruppen und Menschentypen, sondern um verschiedene Inhalte dessen, was kirchlich verkündigt und theologisch reflektiert und konstruiert wird. ... Unterschiede nicht nur zwischen gesunden und kranken Menschen, sondern zwischen Männern und Frauen, Erwachsenen und Alten, kleinen und größeren Kindern und Jugendlichen, aber auch zwischen verschieden konstituierten und verschieden disponierten Menschen".(57) Dies wird man bei der Raumerschließung berücksichtigen müssen.

Exkurs C: Das Museum als alternative Heterotopie(58)

In der Gegenwart haben sich anstelle des religiösen Erfahrungsraumes der großen Kirchen zahlreiche andere Heterotopien ausgebildet. Heterotopien, die vielleicht weniger Ersatzfunktionen, als vielmehr alternative Angebote darstellen. Zu derartigen aktuellen Heterotopien gehört vor allem der Sport, die populäre Musik (Techno!) und für das Bürgertum das Museum. Die These, daß Museen nicht nur einen ästhetischen, sondern auch einen religiösen Erfahrungsraum konstituieren, ist nicht unumstritten. Denn eigentlich war "Entsakralisierung" das Ziel der ersten Museen.(59) Dennoch reagierten die Besucher der ersten Museen völlig konträr. Klassisch ist Goethes Beschreibung seines Besuchs der Dresdner Schloßgalerie:

"Ich trat in dieses Heiligtum und meine Verwunderung überstieg jeden Begriff, den ich mir gemacht hatte. Dieser in sich selbst wiederkehrende Saal, in welchem Pracht und Reinlichkeit bei der größten Stille herrschten, die blendenden Rahmen, alle der Zeit noch näher, in der sie vergoldet wurden, der gebohnerte Fußboden, die mehr von Schauenden betretenen als von Arbeitenden benutzten Räume gaben mir ein Gefühl der Feierlichkeit, einzig in seiner Art, das um so mehr der Empfindung ähnelte, womit man ein Gotteshaus betritt, als der Schmuck so manchen Tempels, der Gegenstand so mancher Anbetung hier abermals, nur zu heiligen Kunstzwecken aufgestellt schien."(60)

Schon damals haben sich die Museen weniger um die Versöhnung von Kunst und Leben als vielmehr um die Abgrenzung vom Alltag bemüht und damit ein altes Erbe der Religionen mit all seinen Folgelasten übernommen:

"Kunst als Vehikel der Erhebung über die Niederungen des Alltags erhält diese Qualität durch ihre Isolation aus dem Alltagsleben, durch die Abtrennung in Museen, die wie Kirchen eine rituelle Distanz zum Alltag etablieren, welche Erbauung und Besinnung, Erhebung und Andacht provoziert."(61)

Die Verwendung religiöser Sprache zur Beschreibung soziokultureller Phänomene hat bis in die Gegenwart angehalten, die zwanglose Rede von Museen als Tempeln und postmodernen Museumsbauten als Kathedralen der Gegenwart zeugt davon. Eine Beschreibung, die die Ähnlichkeit von Galerien und Kirchen deutlich macht, liefert Brian O'Dohertys Essay "The White Cube":

"Die ideale Galerie hält vom Kunstwerk alle Hinweise fern, welche die Tatsache, daß es 'Kunst' ist, stören könnten. Sie schirmt das Werk von allem ab, was seiner Selbstbestimmung hinderlich in den Weg tritt. Dies verleiht dem Raum eine gesteigerte Präsenz, wie sie auch andere Räume besitzen, in denen ein geschlossenes Wertsystem durch Wiederholung am Leben erhalten wird. Etwas von der Heiligkeit der Kirche, etwas von der Gemessenheit des Gerichtssaales, etwas von dem Geheimnis des Forschungslabors verbindet sich mit schickem Design zu einem einzigartigen Kultraum der Ästhetik. So mächtig sind die wahrnehmbaren Kraftfelder innerhalb dieses Raumes, daß - einmal draußen - Kunst in Wirklichkeit zurückfallen kann, und umgekehrt wird ein Objekt zum Kunstwerk in einem Raum, wo sich mächtige Gedanken über Kunst auf es konzentrieren [...] Eine Galerie wird nach Gesetzen errichtet, die so streng sind wie diejenigen, die für eine mittelalterliche Kirche galten. Die äußere Welt darf nicht hereingelassen werden, deswegen werden Fenster normalerweise verdunkelt. Die Wände sind weiß getüncht. Die Decke wird zur Lichtquelle [...] Die Kunst hat hier die Freiheit, wie man so sagt, 'ihr eigenes Leben zu leben'."(62)

Bis in rituell-soziokulturelle Einzelheiten läßt sich von Museen als alternativen Orten der Bedeutungsanreicherung sprechen.(63)

Vom Raum-Mythos zu den individuellen Mythologien

Letztlich ist Architektur immer mit einem Mythos verbunden.(64) Und erst die Vergegenwärtigung des Mythos' läßt die Inszenierung gelingen. Für den traditionellen Kirchenbau beschreibt der Architekt Rudolf Schwarz den Mythos so: "Man hat in früheren Zeiten den Altar "Christus" genannt, so wie man viele andere Dinge "Christus" oder "Leib Christi" nannte, die Gemeinde oder das Haus, in dem sie versammelt ist, oder ganz allgemein die Erde. Das war so wörtlich gemeint, daß man die einzelnen Teile des Hauses mit den einzelnen Gliedern seines Leibes verglich, das Schiff mit dem Rumpf, die Querflügel mit den ausgespannten Armen und den Chor mit dem Haupt. So hing Christus immerfort am Kreuz, und weil sein Haupt sich in den Tod geneigt hat, wie die Schrift berichtet, darum hat man mitunter den Chor schräg zum Schiff gebaut."(65) Allerdings gilt es dem Mißverständnis zu wehren, mit dem Bezugsmythos sei notwendig die Erzählung von Jesus Christus gemeint. Statt dessen kann als Mythos in diesem Sinne auch vieles andere dienen, je nach der "Religion"(66) der Befragten: Ruhe, Andacht, Flucht aus dem Alltag, Kontinuität, dann auch Schönheit, Feierlichkeit, Liturgiefähigkeit, Lebendigkeit, schließlich Zweckmäßigkeit, Alltagsbewußtheit, Sozialität, Solidarität, Gastlichkeit. Einige der stereotypen und populären Mythen hatte ja schon das Evangelische Gesangbuch benannt: so die Verbindung von Romanik mit Schutz, von Gotik mit dem Himmel, von der Architektur der Gegenwart mit dem Zelt. Komplexer formuliert: die romanische Kirche ist Himmelsburg des Kaisers, die Gotik errichtet die Differenz von Sakralität und Profanität und verdinglicht zugleich das Heilige als Bauwerk, der Barock versucht den Menschen gen Himmel zu zwingen, die jüngere Moderne richtet sich gegen die Statik kirchlicher Repräsentation.(67)

Aktuell ist jedoch zwischen allen Beteiligten, den evangelischen Christen wie den Architekturtheoretikern, strittig, was der gegenwärtige raumbezogene Mythos des Protestantismus ist.(68) Während die einen davon ausgehen, daß dieser Mythos als religiöser Mythos endgültig sein Ende gefunden habe, es also keinen spezifischen evangelisch-religiösen Raumausdruck mehr gibt,(69) gehen andere davon aus, daß "der Charakter der Kirche als Kontrastgesellschaft sich ... auch an der Bausprache der Kirche ablesen lassen müsste."(70) Ganz offensichtlich variieren die Raumvorlieben und -erwartungen der Menschen aber nicht nur nach der Gottesdienstform - darauf verweisen ja schon die Ergebnisse der zitierten empirischen Befragung -, sondern auch nach der je eigenen Theologie der befragten Menschen.(71)

Wenn sich das Problem also nicht mit dem Rekurs auf den "Raum an sich" lösen läßt, bleibt nur die Hinwendung zur je subjektiven Raumerfahrung. Vermittelt werden dann aber nicht die Kirche oder die Gemeinde, sondern höchst subjektive und in ihrem Verbindlichkeitsgrad eingeschränkte Raumerfahrungen. Wir bewegen uns sozusagen von den großen Raum-Mythen zu den individuellen Raum-Mythologien. Trotzdem ist festzuhalten an Walter Hollenwegers prononciert in Richtung des Protestantismus gesprochenen Satz: "sakrale Räume zu haben, ist ein Vorrecht, das wir uns nicht leichtfertig nehmen lassen sollen"(72). In einem weiteren Sinne können sie nämlich als Ausdruck einer zutiefst menschlichen symbolischen Sinngebung verstanden werden.(73) Das Schaffen und Gestalten derartiger besonderer Räume ist eine der herausragenden Errungenschaften der Menschheit.

Religiöse Räume erschließen - kirchenpädagogische Reflexion

Dennoch gibt es nach dem Ausgeführten hinreichend Anlaß zur Skepsis, ob zur Vermittlung von Spiritualität einfache theoästhetische Rezepte helfen. Durch die Erfahrung sakraler Räume allein kommt man nicht zu einem vertieften Verständnis von Religion oder Kirche. Denn die Möglichkeit zur Erfahrung von sakralen Räumen basiert schon auf einem kulturellen Vermittlungsrahmen, der vorhanden und ausgebildet sein muß, bevor man Räume in ihrer Besonderheit überhaupt nur wahrnehmen kann.(74) Es sei mir erlaubt, einen berühmten Aphorismus aus Theodor W. Adornos "Minima Moralia" zur Nicht-Selbst-Verständlichkeit von Kunstwerken(75) für religiöse Räume umzuformulieren:

"Der von den Religionstheoretikern verbreitete Glaube, der religiöse Raum wäre, als Gegenstand unmittelbarer Anschauung, rein aus sich heraus zu verstehen, ist nicht stichhaltig. Er hat seine Grenze keineswegs bloß an den kulturellen Voraussetzungen eines Gebildes, seiner 'Sprache', der nur der Eingeweihte folgen kann. Sondern selbst wo keine Schwierigkeiten solcher Art im Wege sind, verlangt der religiöse Raum mehr, als daß man ihm sich überläßt. Wer den religiösen Raum bedeutsam finden will, der muß wissen, daß es ein religiöser Raum ist: ihm muß die Mutter erklärt haben, daß es nicht um ein großes Wohn- oder Warenhaus, sondern um eine Kirche sich handelt; er muß sich daran erinnern, daß ihm gesagt ward: morgen gehen wir in die Kirche. In der Tradition stehen hieß: den religiösen Raum als einen bestätigten, geltenden erfahren; in ihm teilhaben an den Reaktionen all derer, die ihn zuvor sahen und in ihm feierten. Fällt das einmal fort, so liegt der Raum in seiner Blöße und Fehlbarkeit zutage. Die Handlung wird aus einem Ritual zur Idiotie, die Musik aus einem Kanon sinnvoller Wendungen schal und abgestanden."

M.a.W., das Verstehen von Räumen ist - jenseits einer diffusen Gefühlslage - nur möglich, wenn es in einen bestimmten Erfahrungskontext eingebunden ist. Es dürfte dabei jedoch deutlich sein, daß Erfahrungen, die historisch überholt sind, und Symbolsysteme, die uns in ihrer Komplexität nicht mehr zuhanden sind, nicht willkürlich restituiert werden können. Das zumindest läßt sich bei Mircea Eliade und Alfred Lorenzer lernen. Bestimmte Leistungen der primären Sozialisationsagentur Familie, die bisher zum Verständnis (zur Lektüre) religiöser Räume beigetragen haben, fallen heute weitgehend aus, und können nicht einfach von sekundären Sozialisationsagenturen wie der Schule nachgeholt und ausgeglichen werden. Und dennoch, darauf verweist Michel Foucault, hat noch jede Gruppe der Weltgeschichte für sich spezifische (religiöse, kulturell ausgezeichnete) Räume entworfen und die sie umgebenden Räume unterschiedlich bewertet.(76)

Wenn ich es recht sehe, heißt die anstehende Aufgabe für Lehrerinnen und Lehrer, zusammen mit ihren Schülerinnen und Schülern Heterotopologie in eigener Sache zu betreiben. Deshalb geht es zunächst tatsächlich ganz praktisch darum, die eigenen Erwartungen an religiös ausgezeichnete Räume zu benennen und den eigenen Raumwahrnehmungen in verschiedenen religiös (oder kulturell) ausgezeichneten Orten auf die Spur zu kommen. Es kommt also darauf an, den eigenen religiösen Raum-Mythos zu entdecken und ihn in Beziehung zu den tradierten Raum-Mythen zu setzen.

Erarbeitet werden muß im Rahmen eines pädagogisch-religiösen Prozeßes eine Annäherung an den religiösen Raum, die von der intuitiven zur reflektierten Raumwahrnehmung(77), von der Aisthesis zur Ästhetik führt. Intuitiv erfaßt man vielleicht, daß man es mit einem Raum zu tun hat, der mit einem Mythos verbunden ist, aber zur Reflexion des Raumes, zu seinem emotionalen wie rationalen Verstehen gehört auch die explizite Fähigkeit, diesen Mythos im Raum zu buchstabieren. Dieser Lernprozeß kann auf verschiedenen Wegen geschehen. Ich möchte abschließend nur kurz einige hermeneutische Annäherungen vorschlagen.

Auch wenn man "intuitiv" als unmittelbare, noch nicht durch Reflexion getrübte Anschauung begreift, so fußt sie doch auf kulturellen Grundmustern. Deshalb sollte man in einem ersten Schritt klären, welche Erwartungen an einen Kirchenraum gerichtet werden, welche emotionale Kriterien angewendet werden, welche Assoziationen er auslöst. Man muß den eigenen Vor-Urteilen auf die Spur kommen. Grundsätzlich herrschen widersprüchliche Überzeugungen, wieviel Wärme, Funktionalität, Mystik, Licht usw. ein religiöser Raum vermitteln soll. Vielleicht bietet sich hier auch eine verbale Umschreibung eines derartigen Raumes an. Es gibt darüber hinaus normative Vorstellungen, wie ein besonderer Raum aussehen muß, wie er sich von anderen Räumen abgrenzen soll, welche Wertigkeit ihm im bzw. gegenüber dem Alltag zukommt. Schließlich gibt es auch bereits im Vorhinein Erwartungen bezüglich der Ausstattung eines solchen Raumes mit bestimmten Details, deren Fehlen uns auffallen würde.

Diese idealen Vorstellungen könnten dann mit Bildern verschiedener Räume konfrontiert werden, denn bei ähnlichen Vorstellungen kommen die Menschen zu recht unterschiedlichen Urteilen, welche Räume die geäußerten Erwartungen tatsächlich befriedigen. Nichts ersetzt freilich die Begegnung mit realen Räumen, wobei man auf die - puristische - Vorstellung, man könne heute noch einen romanischen, gotischen oder barocken Kirchenraum erleben, verzichten muß. Viele Änderungen - denken wir nur an den weltweiten Eingriff des II. Vaticanums, die Veränderung der Bestuhlung oder die Verlagerungen von Seitenaltären, aber auch die Entwicklung der Mentalitätsgeschichte von der Religion zur Ästhetik(78) - verhindern, daß wir alte Räume in der Perspektive ihrer Erbauer erblicken können. Allerdings dürften derartige Einsichten nicht daran hindern, zumindest den Versuch zu unternehmen, den weiterhin vorhandenen Strukturierungen und Schwerpunkten nachzugehen.

Das Schwierigste dürfte allerdings die Rückkopplung an die religiöse, theologische und biblische Erzählwelt sein. Wenn eine Architektur ohne Mythos inhaltslos ist, dann hat Kirchenpädagogik die Aufgabe, das Spiel der symbolischen Formen, das im Kirchenraum und im Gottesdienst stattfindet, wahrnehmbar zu machen, indem sie dieses zurückbindet an die Erzählwelt des Christentums. Damit sind wir aber wieder auf die Textwelten verwiesen, deren Diktat zu entkommen ein wichtiger Impuls der Bezugnahme auf den Raum war. Soll das Raumgefühl aber nicht diffus bleiben, muß es konsolidiert werden durch die Raum-Lektüre und die Lektüre der Überlegungen aus der Tradition.(79) Dieses anstehende Programm fördert die Begegnung von Religion und Ästhetik im Interesse des Verstehens des Glaubens und seiner Räume: denn "... räumlich glaubet der Mensch"

© Andreas Mertin

Anmerkungen

  1. Mircea Eliade, Das Heilige und das Profane. Vom Wesen des Religiösen, Frankfurt 1984. Das Buch soll "als allgemeine Einführung in die Religionsgeschichte dienen, da es die Erscheinungsformen des Heiligen und die Situation des Menschen in einer von religiösen Werten erfüllten Welt beschreibt" (S. 19). Eine deutliche Differenzierung zieht sich daher durch das gesamte Buch: die zwischen Menschen, die in einem geheiligten Kosmos leben und jenen, die in einem entsakralisierten Kosmos leben. Der moderne Mensch der Gegenwart lebt im wesentlichen im letzteren Bereich, er ist kein homo religiosus mehr. Zwei Arten des In-der-Welt-Seins lassen sich beschreiben, das Heilige und das Profane, "zwei existentielle Situationen, die der Mensch im Laufe seiner Geschichte ausgebildet hat." (ebenda, S. 17.)
  2. ebenda, S. 23. Zum Folgenden vgl. S. 25ff.
  3. In seinem Vorwort von 1964 geht Eliade auf die Frage ein, ob nicht auch die entsakralisierte Welt der Moderne Religiosität aus sich entlassen könne: "in welchem Maße kann das 'Profane' selbst 'heilig' werden; in welchem Maße kann eine von Grund aus säkularisierte Existenz ohne Gott und Götter den Ausgangspunkt für eine neue Art von 'Religion bilden?" Dazu verweist er summarisch auf die Theologie nach dem Tode Gottes, auf die Differenzierung zwischen Religion und Religiosität und schließlich auf die Unterscheidung zwischen Christentum und Religion.
  4. ebenda, S. 54.
  5. ebenda, S. 36.
  6. ebenda, S. 38.
  7. ebenda, S. 55.
  8. G.W.Fr. Hegel: Ästhetik (2 Bde.), hg. von Fr. Bassenge, Berlin 1985, Bd. 1, S. 110.
  9. M. Eliade, Das Heilige und das Profane, a.a.O., S. 59
  10. Im statistischen Bericht der EKHN über das kirchliche Leben in den Gemeinden 1995 zeigt sich, daß in Gemeinden mit bekannten, überregional bedeutsamen Kirchengebäuden der Gottesdienstbesuch signifikant von allen anderen Gemeinden, seien Stadt-, Land- oder Großstadtgemeinden, abweicht und in den letzten Jahren sogar deutlich angestiegen ist.
  11. Maurice Halbwachs, Das kollektive Gedächtnis, Frankfurt 1985., insbes. S. 127ff.: "Das kollektive Gedächtnis und der Raum".
  12. ebenda, S. 130. Halbwachs verweist auf Auguste Comtes Bemerkung, "daß das geistige Gleichgewicht sich zum großen Teil und in erster Linie aus der Tatsache ergibt, daß die materiellen Gegenstände, mit denen wir täglich in Berührung kommen, sich nicht oder wenig wandeln und uns ein Bild der Permanenz und der Beständigkeit darbieten" (S. 126).
  13. Alfred Lorenzer: Das Konzil der Buchhalter. Die Zerstörung der Sinnlichkeit. Eine Religionskritik. Frankfurt/M. 1984.
  14. s. Kapitel VI: Der Vandalismus des Zweiten Vatikanischen Konzils, ebenda, S. 179ff.
  15. zit. nach Lorenzers, a.a.O., S. 197.
  16. Die wahrnehmbaren Veränderungen im protestantischen Kirchenraum sind dagegen minimal: zwei kleine Balustraden rechts und links der Altarstufen entfallen ebenso wie die Stühle der Kirchenältesten und der zentrale Taufstein. Im katholischen Kirchenraum sind die Veränderungen so elementar, daß sie kaum noch beschreibbar sind. Sie betreffen die Totalität sinnlicher Wahrnehmung.
  17. Nicht uninteressant ist Lorenzers Differenzierung zwischen der Handlungsweise des zweiten Vaticanums und der reformierten Kirche. Er schreibt: "Das Schaubild [scil. das wahrnehmbare Handeln des Priesters am Altar] rückt das Geschehen den Arrangements von Fernsehköchen näher als den liturgischen Formen der reformierten Kirchen. Wurde dort das sakramentale Handeln an den Rand geschoben - reduziert auf Schlichtheit und Kürze -, so bleibt in der Liturgiereform eben dieses Handeln zentral" (S. 192). Was das umgekehrt bedeutet, wenn - wie in der aktuellen Entwicklung - in den reformierten Kirchen die Liturgie selbst wieder in das Zentrum des Interesses rückt, wäre noch eingehend zu erörtern.
  18. Ebenda, S. 207.
  19. Ebenda, S. 290.
  20. Ebenda, S. 12: "Zweifellos führt im guten kein Weg hinter das II. Vatikanische Konzil zurück."
  21. Michel Foucault: "Andere Räume." In: Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. K. Bark (Hg.) Leipzig 2/1991. S. 34-46.
  22. ebenda, S. 37.
  23. ebenda.
  24. ebenda, S. 39.
  25. ebenda, S. 40.
  26. Diese Versuche, Bauformen aus Glaubensformen zu entwickeln gibt es bis in die Gegenwart. Auch die Theologie des Gemeindezentrums der 60er Jahre speist sich wesentlich aus biblisch-theologischen Argumenten, die die Behausung der Gemeinde nach deren Selbstverständnis als wanderndes Gottesvolk strukturiert wissen wollten. Vgl. dazu: Verf., Freiräume(n). Zur Diskussion um den heiligen Raum. Wie religionsfähig sind Kirchen? Vortrag Ev. Akademie Arnoldshain 1996.
  27. Vgl. Klaas Huizing, Das erlesene Gesicht. Vorschule einer physiognomischen Theologie, Gütersloh 1992, S. 172ff.
  28. ebenda, S. 172. Die vorherigen Zitate sind Zwischenüberschriften des Kapitels über Archi-Textur.
  29. Wobei die Form der römischen Basilika vor den christlichen Gemeinden schon von den jüdischen Gemeinden für ihre Synagogen übernommen wurde. dtv-Atlas zur Baukunst, Band 1, München 1974, S. 259
  30. Vgl. die Abschnitte über die Heiligtümer in: W.H. Schmidt, Alttestamentlicher Glaube in seiner Geschichte Neukirchen-Vluyn 5/1986.
  31. ebenda S. 31.
  32. Horst Schwebel, Von der Kirche in der Stadt, Marburg 1996, S. 14f.
  33. W.H. Schmidt, Alttestamentlicher Glaube in seiner Geschichte ,a.a.O., S. 224.
  34. Dieter Bartetzko, Eine verschollene Architektur. Über Synagogen in Deutschland, Frankfurt 1988, S. 18f.
  35. Art. Synagoge, Die Bibel und ihre Welt, hg. von Cornfeld/Botterweck, München 1972, Band 5, S. 1340f.
  36. Richard Krautheimer, Mittelalterliche Synagogen, Berlin 1927, S. 46; zit. n. Dieter Bartetzko, a.a.O., S. 17.
  37. Bartetzko, a.a.O., S. 21.
  38. So Bartetzko, a.a.O., S. 29.
  39. Horst Schwebel, Von der Kirche in der Stadt, a.a.O., S. 15.
  40. Martin Luther, zit. nach Horst Schwebel, Von der Kirche in der Stadt, a.a.O., S. 15.
  41. Luther in der Kirchenpostille 1522 (WA 10/I, 1, 522). Man wird hierin - entgegen populären Mißverständnissen - eher einen Schutz vor religiöser Fehldeutung erblicken können. Luther will das Gebäude vor fundamentalistischer Verdinglichung bewahren - deshalb soll es abgerissen werden.
  42. Johannes Calvin, Unterricht in der christlichen Religion Neukirchen-Vluyn 5/1988, III,20,30
  43. Ich folge hier im wesentlichen den instruktiven Ausführungen von Gerhard Wendland, Gotteshaus und Gemeindehaus. Zur Nutzung und Semantik kirchengemeindlicher Räume, Ms, Frankfurt 1996.
  44. Wendland verweist zurecht darauf, daß "Gotteshaus" im strengen Sinne kein legitimer Begriff im Rahmen protestantischer Lehre ist. Er rechtfertigt sich allein durch den populären Gebrauch, der von ihm gemacht wird.
  45. Ebenda, S. 4
  46. Ebenda, S. 5.
  47. Eigentlich müßte man von der Gottesdienstgemeinde noch die "Amtshandlungsgemeinde" abtrennen, die die Kirche aus aktuellem Anlaß besucht.
  48. Ebenda, S. 7
  49. Ebenda S. 10.
  50. Ich persönlich würde aus grundsätzlichen theologischen Erwägungen eher für die Raumform "Gemeindehaus" plädieren, freilich mit stärkerer Akzentuierung religiöser Räume.
  51. Man kann natürlich - in einer Art "Kopf durch die Wand"-Haltung - heilige Orte behaupten; das ändert aber nichts daran, daß sie - im Sinne einer gesellschaftlichen Erscheinung - heute nicht mehr erfahren werden.
  52. G. Schmidtchen, Gottesdienst in einer rationalen Welt. Religionssoziologische Untersuchungen im Bereich der VELKD, Stuttgart 1973.
  53. Interessant ist allerdings, daß die Akademiker Zentralbau und Kollegiumskirche deutlich bevorzugen (Erinnerung an die Universität?) und die Klein- und Mittelstädter die klassizistisch-barocke Kirche.
  54. Unbestreitbar bleibt natürlich die Spitzenstellung der beiden kunsthistorisch ausgezeichneten Inszenierungen.
  55. Vielleicht hätten die Ergebnisse für die Dorfkirche deutlich besser ausgesehen, wenn man gefragt hätte, wo die Befragten gerne heiraten würden.
  56. Evangelisches Gesangbuch, Ausgabe für die Evangelische Kirche im Rheinland, die Evangelische Kirche von Westfalen, die Lippische Landeskirche in Gemeinschaft mit der Evangelisch-reformierten Kirche 1996, S. 1232.
  57. Dietrich Ritschl, Zur Logik der Theologie, Kurze Darstellung der Zusammenhänge theologischer Grundgedanken, München 2/1988, S. 90.
  58. Vgl. auch Michel Foucault, Andere Räume, a.a.O., S. 42: "Das Museum und die Bibliothek sind Heterotopien, die der abendländischen Kultur des 19. Jahrhunderts eigen sind". Während aber das Museum im 19. Jahrhunderts religionsanalog strukturiert ist, bildet es im 20. Jahrhundert eine Alternative zur klassischen Religion.
  59. Als die Reformierten 1629 in Zürich eine nicht mehr genutzte Kirche zum Museum machten, diente dies gerade dazu, der Kunst den besonderen Nimbus des Religiösen zu nehmen und auf den ästhetischen Wert der Werke aufmerksam zu machen. Und als die Französische Revolution 1793 der Öffentlichkeit die Kunst des Adels und der Kirche zugänglich machte, geschah dies aus ähnlichen Motiven.
  60. J.W.v. Goethe, zit. nach W. Grasskamp: Museumsgründer und Museumsstürmer. Zur Sozialgeschichte des Kunstmuseums. München 1981, S. 39.
  61. Ebd. Schon M. Horkheimer und Th. W. Adorno haben diese Verbindung als strukturelle Ähnlichkeit von Sakralraum und Kunstraum beschrieben: "Das Kunstwerk hat es noch mit der Zauberei gemeinsam, einen eigenen, in sich abgeschlossenen Bereich zu setzen, der dem Zusammenhang des profanen Daseins entrückt ist. In ihm herrschen besondere Gesetze. Wie der Zauberer als erstes bei der Zeremonie den Ort, in dem die heiligen Kräfte spielen sollen, gegen alle Umwelt eingrenzte, so zeichnet mit jedem Kunstwerk dessen Umkreis geschlossen vom Wirklichen sich ab". Horkheimer/Adorno: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt/M. 1986, S. 25.
  62. B. O'Doherty: Die weiße Zelle und ihre Vorgänger. In: Der Betrachter ist im Bild, hrsg. v. W. Kemp. Köln 1985, S. 279ff.
  63. Verf.,: "Ars ante portas? Skeptische Erwägungen zur Kunstvermittlung in der Kirche." Kunst und Kirche 1991. S. 190-194. Susanne Natrup: Ästhetische Andacht, Das postmoderne Kunstmuseum als Ort individualisierter und impliziter Religion; in: Herrmann/Mertin/Valtink (Hg.), Die Gegenwart der Kunst, München 1997.
  64. Vgl. Walter Hollenweger, Schöpferische Liturgie; in: Umgang mit Raum, a.a.O., S. 89ff.
  65. Rudolf Schwarz, Vom Bau der Kirche, zit. n. Alfred Lorenzer: Das Konzil der Buchhalter, a.a.O., S. 198
  66. Vgl. Hans-Eckehard Bahr: "Ohne Gewalt, ohne Tränen? Religion 1, Religion 2. Integrierende und emanzipierende Funktion religiöser Sinnvergewisserung in der Gesellschaft". In: Religionsgespräche. Hg. v. H.-E. Bahr. Darmstadt/Neuwied 1975. S.31-64.
  67. So beschreibt Horst Schwebel die verschiedenen Mythologien des historischen Kirchenbaus im Art. Kirchenbau der TRT, Göttingen 4/1983.
  68. Vgl. dazu die Ausführungen zum Kirchenbau in Matthias Zeindler: Gott und das Schöne. Studien zur Theologie der Schönheit, Göttingen 1993, S. 404-412. Siehe auch die dort genannte Literatur. Vgl. auch Hans-Busso von Busse, Raum und Ritus - Das Kunstwerk Liturgie erwartet Baukunst; in: Rainer Bürgel (Hg.), Raum und Ritual, Göttingen 1995, S. 93-114.
  69. So Walter M. Förderer, C.M. Werner u.a. Vgl. M. Zeindler, ebenda, S. 408f (Anm. 97)
  70. Matthias Zeindler, ebenda.
  71. Henning Luther: Religion und Alltag. Bausteine zu einer Praktischen Theologie des Subjekts. Stuttgart 1992. Dietrich Ritschl, Zur Logik der Theologie, a.a.O.
  72. Walter Hollenweger, Raum und liturgische Handlungen aus evangelischer Sicht; in: Bürgel (Hg.), Raum und Ritual, a.a.O., S. 47-55, hier S. 54.
  73. Vgl. etwa Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen.
  74. Vor allem deshalb nicht, weil wie die kultursoziologische Studie von Gerhard Schulze, Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt 3/1993, zeigt, das existentielle Wissen hohen Kollektivitätsgrads - wozu allgemein die christliche Religion zählt - zunehmend zurückgedrängt wird. Vgl. S. 269f.
  75. Theodor W. Adorno, Minima Moralia: Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Frankfurt 1981, Aph. 143
  76. Bernhard Schneider, Der Architekturraum; in: Umgang mit Raum, Gütersloh 1977, S. 35: "Vor ein paar Jahren berichtete die Presse über einen Vorfall am Rande von Verhandlungen zwischen dem britischen und dem sowjetischen Außenminister in London. Es ging um die Formulierung des Kommuniqués, und der Brite schlug vor, die zuständigen Arbeitsgruppen beider Seiten dazu im Nebenraum zusammenkommen zu lassen, damit sie dort das Nötige schnell und ungestört erledigen könnten. Er stieß auf schärfsten Protest seines russischen Kollegen: Kein Beamter des sowjetischen Außenministers ließe sich die Diskriminierung gefallen, in London vor die Tür gesetzt zu werden. Außerdem seien die betreffenden Delegationsmitglieder auch am Zustandekommen des Ergebnisses beteiligt gewesen, deshalb sei es nur angemessen, ihnen im Verhandlungsraum selbst in einer Ecke, einen Tisch herzurichten, um die Schlußformulierungen zu erarbeiten. Darauf schärfster Protest des Briten: Kein Beamter des Foreign Office Ihrer Majestät ließe sich die Diskriminierung gefallen, zur Arbeit in die Ecke geschickt zu werden. Völliges Unverständnis der Russen: Die Zimmerecke, das wisse schließlich jeder, sei ja gerade nur für ausgezeichnete Personen vorbehalten, den Familienoberhäuptern, besonders ehrwürdigen Gästen, und sei gerade für profane Tätigkeiten und das Spielen der Kinder Tabu". Schneider fährt fort: Der Vorfall "zeigt in anekdotischer Verkürzung, daß architektonisch definierter Raum ein kulturell definierter Raum von unterschiedlich bewerteten Orten ist. Als Erfahrungsraum des Menschen ist er nach Bedeutungsstrukturen geordnet, die zwar von Kultur zu Kultur verschieden, historisch wandelbar und insofern nur relativ gültig sind, deren Geltung innerhalb ihres Geltungsbereichs aber vor jeder Nutzung liegt."
  77. intuitiv: durch unmittelbare Anschauung (nicht durch Denken) erkennbar; auf Eingebung beruhend. reflektieren: zurückstrahlen, spiegeln; nachdenken, grübeln, erwägen; etwas in Betracht ziehen, erstreben, im Auge haben
  78. Vgl. etwa Verf. Im (Kirchen-) Raum Erfahrungen machen. Von der religiösen zur ästhetischen Erfahrung, forum religion 2/97, S. 3-7.
  79. Vgl. etwa Götz Pochat, Geschichte der Ästhetik und Kunsttheorie. Von der Antike bis zum 19. Jahrhundert. Köln 1986. Rosario Assunto: Die Theorie des Schönen im Mittelalter. Köln 1982. Andreas Speer: "Kunst als Liturgie. Zur Entstehung und Bedeutung der Kathedrale." In: Dohmen, Chr./Sternberg, Th. (Hg.). ...kein Bildnis machen. Kunst und Theologie im Gespräch. Würzburg: Echter, 1987. S.97-117. Otto von Simson: Die gotische Kathedrale. Beiträge zu ihrer Entstehung und Bedeutung. Darmstadt 2/1982. Umberto Eco: Kunst und Schönheit im Mittelalter. München 1993.

© Andreas Mertin