Keine Kulturtheologie für Techno-Kids?

Beobachtungen zum theologischen und kirchlichen Dialogverständnis

von Andreas Mertin

Statement auf der Kulturtheologie-Tagung 1996 in Hofgeismar 6.-9.06.1996.
veröffentlicht in: B. Heller (Hg.): Kulturtheologie heute? Hofgeismar 1997, S. 109-116.

Crusade - eine kulturtheologische Herausforderung

Ein bedeutsames 'kulturtheologisches' Ereignis dieses Jahres, zumindest was seine öffentliche Resonanz betrifft, war die etwas unglücklich mit "Crusade" betitelte Techno-Party in der Hamburger Hauptkirche St. Katharinen. Im gegebenen Rahmen können Veranstaltung wie Argumentationen für und wider nur ansatzweise nachgezeichnet werden[1]. Mein Interesse gilt dem Umgang von Theologen und Kirchenvertretern mit diesem Ereignis und welche Konsequenzen sich daraus für eine Kulturtheologie ergeben. Meine Frage lautet: Was kann, muss, darf "Dialog" im Rahmen kulturtheologischer Bemühungen bedeuten?[2] Ist ein Dialog für die Kirche nur sinnvoll, wenn sich der Dialogpartner auch der christlichen Sache öffnet? Es geht weniger um die - längst beantwortete - Frage, ob sich theologische Analysen auch Alltagsphänomenen wie Techno oder populären Stoffen der Literatur oder des Films zuwenden sollten. Mich interessiert, inwieweit diese Dinge in der Kirche selbst einen Raum haben können. Ich vermute, dass in der gegenwärtigen Verfassung von Theologie und Kirche - selbst in ihren avantgardistischen Zirkeln, die sich mit den neuesten kulturellen Strömungen auseinander setzen - das instrumentelle Interesse an der Kultur dominiert. Insoweit Kultur aber vom "interesselosen Wohlgefallen", also von der Negation des instrumentellen Zugriffs lebt, entsteht hier ein grundsätzlicher Konflikt.[3] Die Bedingungen, unter denen Kirche und Theologie der Kultur begegnen (wollen), können von der Kultur aus prinzipiellen Gründen nicht erfüllt werden. Insoweit Theologie und Kirche auf diese Voraussetzungen nicht verzichten wollen, sind sie zur Zeit nicht kulturfähig.

Techno - Musik und Ästhetik im Computerzeitalter

Eine Einschränkung vorweg: Meine Kenntnis von Techno stützt sich eingestandenermaßen auf Sekundärquellen. Aber das ist für das anstehende Problem auch nicht entscheidend. Wichtig ist nur, dass Techno von einem bestimmten Segment unserer Gesellschaft als kulturelles Ereignis verstanden wird, und das mit Gründen, die auch für Menschen, die nicht diesem Segment angehören, einsichtig sind.[4] Techno stellt nach allem, was sich beobachten läßt, ein bestimmtes Lebens- und Zeitgefühl dar, eine Form des kulturellen Umgangs mit avancierter Technik im Kontext zeitgenössischer populärer Musik: "Techno ist weniger ein Musikstil (wie etwa Rap oder Country) als ein Prinzip: die konsequente und unverschleierte Umsetzung des Computerzeitalters in Musik und Ästhetik"[5]. Im Techno werden die musikalischen Jugendkulturen der letzten 30 Jahre aufgegriffen und zeitgemäß aufbereitet: gesampelt. Die Wurzeln des Techno liegen 20 Jahre zurück in Europa, legendär 1975 die Gruppe Kraftwerk mit ihrem Stück "Autobahn". Aber erst Mitte der 80er Jahre begannen Djs in den USA ihre Soul-Platten mit Computerrhythmen und Elementen anderer Musikstücke zu mischen. In Deutschland ist Techno etwa seit 1988 präsent, zu den Pionieren gehört der auch in Hamburg vertretene Dj Sven Väth. Techno ist in einem gewissen Sinne die Universalisierung der Musikproduktion: Jeder Mensch ein Künstler. Wie viele andere Elemente der Alltagskultur wirkt Techno nach außen scheinbar einheitlich, aber schon bei näherem Hinhören/sehen differenzieren sich formal, personal und musikalisch unterscheidbare Stile. Differenziert werden sie nach ihren Schlagzahlen, der Komplexität ihres Sounds, dem Grad ihrer Kommerzialisierung und den die jeweiligen Richtungen vertretenden Djs.[6] Vor allem aber hat Techno etwas mit Stilisierung, Präsentation, Selbstwahrnehmung, Ausdruck zu tun. Techno ist "eine wortlose Kommunikation über Grenzen und Nationen hinweg, zumindest innerhalb einer spezifischen Generation".[7] Keinesfalls kann davon gesprochen werden, dass Techno nur das besinnungslose Tanzen einer atomisierten bewusstlosen Masse sei. Die Kommunikationsform ist vielmehr eine faszinierende Mischung von Körpersprache, Emblematik der Kleidung, Ritualisierungen, allerdings bei fast völliger Aufgabe der verbalen Kommunikation. Die den Techno-Tänzern immer wieder unterstellte Ekstatik zählt zu den Konstanten menschlicher Ausdrucksformen. Sie gehört auch zur Geschichte der Religionen[8] und ist nicht zuletzt ein Versuch, die eigenen Grenzen durch Grenzüberschreitungen kennen zu lernen.[9]

Die Party - Konzeption und Durchführung

Die Idee zu der Veranstaltung entstand im Kontext des Kirchentages 1995. Seinerzeit hatte es eine Begegnung von gregorianischer Musik und Techno im Club UNIT gegeben. Nun sollte die Räumlichkeit gewechselt werden. Es gehört zu den Spezifika der Techno-Szene, für ihre Veranstaltungen besonders ausgefallene Orte, im Szene-Jargon "locations", zu wählen, seien es U-Bahn-Schächte, Baustellen oder eben alte Kirchengemäuer. Insofern fällt die Wahl der Hamburger St. Katharinen-Kirche aus der Sicht der Techno-Szene unter die Kategorie des zur Inszenierung unentbehrlichen Exotismus. Und tatsächlich sind Räume wie die der St. Katharinen Kirche in Hamburg ja auch für massenmediale Inszenierungen entworfen worden. Zur Konzeption der Techno-Party wurde mitgeteilt: "Das Ziel ist ein großes Dance-Event mit musikalischen Elementen aus den über tausend Jahre alten Gregorianik-Gesängen gegenüber modernen, technologisch produzierten Ambient-Techno-Klängen. Im Spannungsfeld zwischen dem außergewöhnlichen Raum Kirche und High-Tech-Zeitalter sollen Entertainment, Tanz, klassisches und futuristisches Ballett, Gong-Meditation, Präsentationen und Performances verschiedener Art und deren konsequente Umsetzung unter dem Dach der gotischen Kirche zu einem neuzeitlichen Tanzereignis verschmelzen".[10] Die Techno-Party soll also mit Elementen einer Messe verbunden werden, wobei nicht ganz deutlich wird, ob die Veranstalter durch die gregorianische Musik dem Ereignis auch einen gottesdienstlichen Rahmen geben wollten.[11] Das sich im Vorfeld artikulierende Raumverständnis ist freilich eher peinlich. "Der Raum ist der Star der Nacht" heißt es in der Ankündigung, es werde darauf geachtet, dass sein sakraler Charakter keinen Schaden nehmen könne. Und der Hauptpastor von St. Katharinen, Axel Denecke, formuliert: "Die Atmosphäre des 'heiligen Raumes' der Kirche, eine in Stein gehauene 750 Jahre alte Predigt, wird die Veranstaltung und die Menschen, die daran teilnehmen, prägen".[12] Es sei dahingestellt, ob diese Vorstellung nicht eher einer romantischen Phantasie des 19. Jahrhunderts entspringt; jedenfalls reichte den Veranstaltern offensichtlich die architektonische Besonderheit des Raums nicht, sie mussten sie unbedingt noch religiös überhöhen. Das hat natürlich Folgen für die spätere Rezeption, denn hier wird ein Maßstab aufgestellt, an dem die Veranstaltung scheitern musste. Denn obwohl man den Eindruck einer neuartigen Begegnung von Kirche und musikalischer Avantgarde, von Kirchenmusik und Techno vermittelte, wurden in der Veranstaltung Gregorianik und Techno-Party nicht nur formal getrennt, sondern zeitlich so präsentiert, dass deutlich wurde: letztlich geht es einzig und allein um die Techno-Party.[13] Das musste Enttäuschungen bei allen hervorrufen, die sich mehr erhofft hatten

Das Ziel - Ut populus ad ecclesiam trahatur

Das mit großen Hoffnungen gestartete Unternehmen ging mit Pauken und Trompeten unter. Die Ursachen dafür sind unterschiedlich, sie liegen sicher auch in der Voreingenommenheit der Medien und ihrer Berichterstattung, in der Naivität der die Sache vertretenden Kirchenleute, der Ignoranz der skeptisch eingestellten Veranstaltungsgegner. Aber es gibt einen gemeinsamen Kern: das ist die geradezu zwanghaft vorgenommene In-Eins-Setzung von Kirchen-Raum und Institution Kirche. Theologen sind augenscheinlich nicht mehr in der Lage, zwischen beidem zu differenzieren. Es ist offensichtlich überhaupt nicht vorstellbar, dass eine Kirche eine Räumlichkeit darstellt, die nicht nur unter theologischen Gesichtspunkten, sondern auch in ganz säkularer ästhetischer Perspektive wahrgenommen werden kann.[14] Im Vordergrund des Hamburger Ereignisses stand aber immer die Nutzung der Kirche als Gottesdienstraum bzw. als Ausdrucksraum der Institution Kirche. Alle Wertungen wurden im Blick auf diese Funktionen abgegeben: nützt oder schadet es der Kirche? Kommt die Botschaft der Kirche im Rahmen der Veranstaltung zur Geltung? Ist das Ereignis eine Werbung oder schreckt sie eher ab? Kann man sich so als zeitgemäß erweisen oder biedert man sich an?

"Wenn so eine Veranstaltung in der Kirche stattfindet, dann wollen wir damit auch Menschen erreichen, die sonst nichts mit Kirche am Hut haben"[15], sagt Axel Denecke, Hauptpastor von St. Katharinen, das Ganze solle aber keine plumpe Werbemasche sein: "Missionieren wollen wir nicht. Aber es gibt sehr viel vage Sehnsucht nach etwas, das über den grauen Alltag und die rationale Computerwelt hinausgeht ... Auf dem Konzert findet eine Begegnung in der Kirche und mit der Kirche statt, die vielleicht neugierig macht ... Durch Techno wird nicht das Kreuz entweiht. Im Gegenteil, durch das Kreuz bekommt die Sache eine christliche Dimension, eine andere Qualität"[16]. Der Leiter der Chorschola Pastor Bertold Höcker ergänzt: "Überzeugt hat uns, dass alle Beteiligten neue Wege suchten, um das Lebensgefühl von Menschen anzusprechen, denen traditionelle Formen der Kirchlichkeit fremd geworden sind. In ihren Erlebniswelten sind sie aber durchaus auf religiöse Inhalte ansprechbar"[17]. Und rückblickend benennt ein Mitglied des Kirchenchors die maßlos überzogenen Hoffnungen der Gemeinde: "Das Ziel der Veranstaltung wurde nicht erreicht. Die erhoffte Begegnung von Jugendkultur und Religion blieb aus. Ich denke hier wurde durch einige konzeptionelle Fehler eine Chance vergeben, der Technogeneration in Verbindung mit Religion eine neue Richtung und so dem kraftvollen Potential, das in der Bewegung steckt, einen Inhalt zu geben".[18]

Ähnliche Ziele proklamieren auch die Kritiker, nur sehen sie eine Techno-Party als das ungeeignete Mittel an. Ortwin Löwa, Synodaler der Nordelbischen Kirche und Kultur-Chef der NDR-Hamburg-Welle, sah in der Veranstaltung nur ein Vermarktungs-Happening.[19] Weitere innerkirchliche Bedenken listet das Hamburger Abendblatt auf: "Schleswigs Bischof Hans-Christian Knuth ... übte leise Kritik. Es sei wichtig für den innerkirchlichen Bewusstseinszustand, sich klarzumachen, wo die Jugendlichen stehen. Andererseits habe er Verständnis für die 'berechtigten Bedenken von Christen', die in der Techno-Nacht einen Missbrauch des Sakralraums sehen. Pröpstin Malve Lehmann-Stäcker vom Kirchenkreis Blankenese bezweifelte den Nutzen für die Kirche: 'Ich glaube nicht, dass wir damit junge Menschen für unsere Botschaft gewinnen.' Das meint auch Landeskirchenmusikdirektor Dieter Frahm: Die Veranstaltung habe zwar nicht geschadet, aber auch nichts gebracht ... Auch Öffentlichkeitspastor Hinrich C.G. Westphal übte Kritik: 'Natürlich müssen wir uns etwas einfallen lassen, um junge Leute in ihrem Lebensgefühl abzuholen. Aber wenn wir die christliche Botschaft dabei verschweigen oder bis zur Unkenntlichkeit verbiegen, ist das Anbiederung".[20] Selbst unter jungen Theologen scheint es offensichtlich nicht möglich, die Veranstaltung anders denn als Werbemaßnahme zu sehen: "Sind wir so verknöchert und fade, dass wir die Kirche zu einer Techno-Erlebniswelt machen, um Jugendliche zu interessieren?"[21] fragte der Hamburger Theologe Bernd Schwarze. Bei der Suche nach einem neuen Image, so meint ein Synodaler, dürfe "unsere christliche Ausrichtung" nicht in den Hintergrund gedrängt werden.[22] Und der Pastor der Eppendorfer St. Johanniskirche meint: "Es geht nicht nur um Stilfragen, sondern um Fragen des Inhalts. Techno, als Musik auch bei Jugendlichen heftig umstritten, wirkt wie eine Droge. Bei diesem Tanz gibt es keinen Tanzpartner. Die Masse Ego flippt aus. Also kein Wir, kein verantwortungsvoller Wirklichkeitsbezug, eher so etwas wie Erlebnis-Selbstkult. Kann Kirche sich damit verbinden? Das Menschenbild des Evangeliums ist ein anderes."[24] Dieser Ansicht war auch ein Kollege, der dekretierte: "Wenn Techno ungebändigt in die Kirche tanzt, tanzt unser Gott hinaus."[24] So erweist sich der Tanz wieder einmal als alter Angstgegner der Theologen. Man scheint sich sicher: Die Sünde des Tanzens dient der Kirche nicht.[25]

Die Grenzen der Kulturtheologie

Was bedeutet das Scheitern des Hamburger Experiments für die Kulturtheologie? Der Bischof von Berlin-Brandenburg, Wolfgang Huber, ist der Ansicht, die Gemeinden könnten derartige kulturelle Ausdrucksformen auch aus sich selbst heraus entwickeln und die Jugendlichen dann an den Techno-Veranstaltungen der Gemeinde beteiligen. Eine Journalistin interpretiert dieses Ansinnen kirchlicher Kulturhegemonie zu Recht als das verzweifelte Bewusstsein des Bedeutungsverlustes der Institution Kirche, als Angst vor der Erschütterung der mühsam über Formeln und Riten gewahrten religiösen wie kirchlichen Identität, als Furcht vor einer schleichenden Umwertung aller christlichen Werte, als Ablehnung einer nicht verstandenen Technik und schließlich als Unsicherheit darüber, wie Glauben heute auszudrücken sei.[26] Hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch nach Erfolg und Bedeutung einerseits und der Angst vor dem unkalkulierbaren Risiko einer wirklichen Öffnung gegenüber der Welt andererseits, versteigen Theologie und Kirche sich zu dem Wahn, im Bereich autonomer Kultur zum Do-it-yourself greifen zu können. Das Do-it-yourself-Verfahren bietet sich an, weil so die geforderte und vorausgesetzte Intentionalität gewahrt werden kann. Die Devise lautet: Wenn schon Kultur, dann aber mit einer integrierenden Gemeindetheologie. Wenn schon Techno, dann aber gebändigt. Wenn Techno unter dem Kreuz, dann mit christlicher Dimension.

Wer meint, die skizzierten Äußerungen und Haltungen seien nicht unbedingt typisch, irrt. Wer im Bereich von Kirche und Kultur auf die Argumentationen achtet, wird den Unterton der Apologie nicht überhören können. Ständig muss gerechtfertigt werden, wozu die Beschäftigung mit der Kultur dienen soll. In der Kirche dürfen Dinge und Ereignisse nicht einfach nur sein, alles bedarf theologischer Legitimation. Wenn Theologen, die von Staat und Kirche dafür privilegiert werden, über das Verhältnis von kulturellen Bewegungen und Kirche nachzudenken, sich zu dem Urteil hinreißen lassen "Bei den Techno-Partys ging es nicht um Religiosität. Der Widerstand dagegen war berechtigt"[27], dann muss daraus geschlossen werden, dass ihr ganzes akademisches Nachdenken dazu dienen soll, mitzuhelfen, die autonome Kultur heteronom in die Kirche einzugliedern. Deshalb wird die Kultur nach religiösen Mustern, nach christlich-ikonographischen Restbeständen, nach Auseinandersetzungen mit Existentialen durchforscht und gesiebt. Erlaubt ist (nur), was (religiös) gefällt. Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen. Wenn selbst Theologen, die den Tanz einer Jugendlichen einfühlend beschreiben können, dort eine Grenze sehen, wo die Tänzerin nur noch die Welt um die eigene Person sich drehen läßt, weil man dann das "Vater unser" nicht mehr sprechen könne[28], ist wirklich eine Grenze erreicht. Denn hier artikuliert sich ein religiöses Weltverständnis, das keine spezifisch menschlichen Freiräume mehr kennt. Nichts soll dem theologischen Zugriff entgehen. Und was für den hochkulturellen Bereich im allgemeinen gilt, gilt für die Auseinandersetzung mit dem subkulturellen und alltagskulturellen Spektrum im besonderen. Hier sind die Abwehrmechanismen noch ausgeprägter. Entweder werden die dort vorfindlichen religiösen Lebensdeutungen trivialisiert und banalisiert, oder, soweit es sich um nicht unmittelbar als religiös identifizierbare kulturelle Phänomene handelt, werden sie - aufgrund von Unkenntnis, aber auch aus prinzipiellen Gründen - ausgegrenzt.

Dagegen ist daran zu erinnern, dass seit der Genese der Ästhetik die von ihr behandelten Gegenstände als Bereiche begriffen wurden, die spezifisch menschlich sind und von Gott nicht relativiert werden.[29] Und diese Erkenntnis kann ja auch als Konsens der großen theologischen Richtungen dieses Jahrhunderts verstanden werden. Kunst ist, um nur die Richtung zu zitieren, die als die kulturkritischste gilt, eine "besondere äußere Gestalt menschlichen Handelns ... ein besonderes menschliches Tun ... typisch für menschliches Handeln ... Kunst liegt weder in der Linie des Handelns des Menschen als Geschöpf noch in der Linie des Menschen als begnadigter Sünder", ja in all dem "verkündigt der wahre Künstler immer zugleich sich selbst" und dennoch fordert "das Wort und Gebot Gottes Kunst" und ist "Anteil an der Kunst ... ein allgemeines Moment des uns gebotenen Handelns"[30]. Es gibt keinen zwingenden Grund, die Kultur theologisch zu begrenzen oder bestimmte Bereiche von ihr theologisch auszugrenzen.[31]

Andererseits spricht nichts dagegen, die Kultur theologisch oder religiös zu deuten, sie z.B. als Zeichen der Transzendenz[32] oder als von Gott geschenkten Freiraum des Menschen zu verstehen. Aber der Status des Arguments will beachtet werden. Denn diese Deutung der Kultur sagt nichts über die 'objektive' religiöse Qualität des Betrachteten/Gehörten/Erlebten aus, sondern ist ein Ausdruck des religiösen, d.h. eines subjektiven, wenn auch kulturell geprägten, Umgangs des Betrachtenden mit dem Phänomen. Das schließt selbstverständlich auch ein kritisches religiöses Urteil mit ein. Es mag Menschen geben, die etwa Techno als Konkurrenz-Religion empfinden oder solche, die in Techno-Veranstaltungen überhaupt keine Religion entdecken können. Derartige Urteile geben Auskunft darüber, was die Urteilenden als Religion zu akzeptieren bereit sind, ob sie einen weiten oder einen engen Religionsbegriff haben, aber sie beinhalten noch keine Entscheidung darüber, was kulturell in den Mauern der Kirche möglich ist.[33]

Am präzisesten hat der Öffentlichkeitsbeauftragte der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Reinhard Stawinsky, die zentrale Frage gestellt: "Gegen Vergnügen ist ja nichts zu sagen, aber warum muss es in der Kirche stattfinden?"[34] Dahinter steckt der Gedanke einer unaufhebbaren Differenz von Vergnügen und Kirche, von Selbstgenuss und Gottesgenuss, die schon Augustin angetrieben hat: "indem der Selbstgenuss konkurriert mit jener absoluten Stufe der vita beata in der selbstvergessenen Anschauung Gottes, wird er zum verstellenden Vorgriff und Surrogat der Seinsbestimmung des Menschen".[35] "Für beide Richtungen der ästhetischen Erfahrung (scil. voluptas und curiositas) zieht Augustin eine neue Grenzlinie zwischen dem guten, allein auf Gott gerichteten und dem schlechten, der Welt preisgegebenen Gebrauch der Sinnesfreuden".[36] Eine Unterscheidung, der christliche Theologen offenbar bis in die Gegenwart folgen. Weiter wird eine Kunst der Selbstdarstellung, Selbstverherrlichung und Selbsterlösung des Menschen gegen eine Kunst, die die Menschen auf ihr grundsätzliches 'Angewiesensein' hinweist und die dem Lobe Gottes dient, ausgespielt. Eine solche Differenzierung, darauf hat Hans Robert Jauß hingewiesen, läßt sich aber nicht lange durchhalten: "Die Freuden des Gehörs können beim Kirchengesang dem Gemüt zur höheren Seelenbewegung der Andacht verhelfen, die Freuden des Auges auf die Schönheit der göttlichen Schöpfung verweisen. Aber diese allein rechtmäßige fruitio ist ständig in Gefahr, in naive Sinnenfreude abzugleiten und sich dem ästhetischen Reiz der durch die Mittel der Künste gesteigerten sinnlichen Erfahrung zu überlassen."[37]

Als "Selbstgenuss im Fremdgenuss"[38] ist Kultur immer ein ebenso Selbst-süchtiges wie das Selbst transzendierendes Unternehmen. Darin unterscheiden die Musik von Johann Sebastian Bach und die Techno-Musik sich nicht. "Auch religiöse Kunst ist nie davor gefeit, ein ästhetisches Verhalten auszulösen, das die vom Dogma verordnete Bedeutung überschreitet ... Vom Standpunkt der religiösen Autorität aus gesehen, muss ästhetische Erfahrung ständig in den Verdacht der Unbotmäßigkeit geraten: wo sie in den Dienst genommen wird, um eine übersinnliche Bedeutung zu vergegenwärtigen, macht sie zugleich die sinnliche Erscheinung vollkommen und bereitet den Genuss erfüllter Gegenwart".[39] Deshalb kann es bei der Beschäftigung mit der Kultur, egal ob es sich um Bach oder Techno, um Hoch- oder Alltagskultur handelt, aus prinzipiellen Gründen nicht darum gehen, diese religiös zu instrumentalisieren, vielmehr geht es für die Kirche darum, mit der (nicht durch die !) Kultur Geistes-Gegenwart zu gewinnen. Notwendig scheint mir, was Dietrich Neuhaus eine "Ethik der Gastlichkeit in pragmatischer Absicht" genannt hat.[40] Kulturtheologie soll Kultur ermöglichen und nicht verhindern. Über das "Wie" kann und muss gestritten werden.

Das führt zurück auf die eingangs gestellte Frage: Was kann, darf, muss Dialog im Rahmen kulturtheologischer Bemühungen bedeuten? Wo sind die »Grenzen« der Kulturtheologie?

  • Eine klare, deutlich fixierbare Grenze liegt nach dem Erörterten dort, wo Kultur instrumentalisiert wird. Für die Kulturtheologie kann die Auseinandersetzung mit der Kultur nicht davon abhängig gemacht werden, dass der Dialogpartner auf die Antworten oder Fragestellungen von Kirche und Theologie eingeht. Vielmehr liegt der Beitrag der Kultur gerade in ihrer Säkularität, in ihrer Selbstbezüglichkeit: die Antwort der Kultur ist sie selbst.
  • Keine Grenzziehung kann und darf es zwischen Hoch- und Alltagskultur geben. Diese ist von der kulturinternen Entwicklung längst selbst überholt worden. Gerade weil beide Bereiche den gleichen innerkirchlichen Vorbehalten unterliegen, dürfen sie kulturtheologisch nicht gegeneinander ausgespielt werden.
  • Kulturtheologie muss innerkirchlich einsichtig machen, dass Kultur eine spezifisch menschliche Tätigkeit ist, ein (theologisch gesprochen: uns gewährter) Freiraum für Kreativität, für das Überbieten der Wirklichkeit. Die Grenzziehung zwischen einer selbstbezogenen und einer gottgefälligen Kultur ist obsolet. Kultur ist - mit einem Wort Odo Marquards - "rechtfertigungsunbedürftig".
  • Veranstaltungen wie die Hamburger Techno-Party sind eine Möglichkeit, sich mit einem aktuellen Kulturgeschehen auseinander zu setzen. Derartige Veranstaltungen müssen zweckfrei bleiben, d.h. mit interessierter Interesselosigkeit durchgeführt werden, nicht, weil die Jugendlichen instinktiv jede Instrumentalisierung wahrnehmen und mit Abwehr reagieren, sondern, weil eine Auseinandersetzung mit Kultur gar nicht erst stattfindet, wenn sie mit dem Ziel der Integration geschieht.

Anmerkungen

  1. Informativ und Arbeitsgrundlage für meine Betrachtungen ist die vom Amt für Öffentlichkeitsdienst der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche zusammengestellte Materialsammlung "Crusade. Die Techno-Party". Dieser Reader demonstriert nicht nur das geradezu unerträgliche Niveau des Tagesjournalismus, der Zahlen erfindet, Fakten ändert, seine Leser gezielt auf eine falsche Fährte setzt, um sich dann an ihren Protesten zu weiden; deutlich wird auch, wie einzelne Presseorgane schon vorher ihr Urteil festlegen und dann erfahrungsresistent halten. Ein typisches Beispiel ist - mit einer noch zu erwähnenden Ausnahme - die Berichterstattung der Zeitschrift "Die Welt". In diesem Kontext macht es durchaus Sinn, wenn die Vertreter der Techno-Party von einer gezielten Medienkampagne gegen ihre Veranstaltung sprechen.
  2. Diese Frage stellt sich nicht nur im Blick auf ungewohnte populäre alltagskulturelle Erscheinungen. Es ist ebenso eine Frage an alle theologischen Ästhetiken der Gegenwart. Was ist das Ziel ihrer Bemühungen: Wahrnehmung oder Einbindung? Was verstehen sie unter Dialog? Gustav A. Krieg hat vor einigen Jahren gefragt, "inwieweit der jeweilige Dialogpartner in der Kunst wirklich antwortet, die Theologie nicht nur ihrerseits artikuliert, dass die Kunst für Kirche bzw. Christentum sinnvoll ist, sondern inwieweit diesem Statement zugleich künstlerisches Mitgestalten entspricht. Betrachtet man nämlich die Dialogpartner der jeweiligen Ästhetik des näheren, dann ergibt sich der eigentümliche Befund, dass diese Dialogpartner als Partner eines 'persönlichen' - im Kontext von Kirche und Christentum sich ereignenden - Dialoges zunehmend weniger werden ... Nur so kann die Theologie ins Gespräch mit der Welt eintreten, indem sie das Ganze - durch die Betroffenheit hermeneutisch 'wahrnehmbar' - als ein sich auf seinen Grund hin von der Inkarnation her öffnendes Ganzes versteht und diese Öffnung auch in der Kunst wiederfindet - etwa in dem Existential der Freiheit ... Es scheint eher, dass selbst charakteristische Elemente der Benennung des Religiösen, etwa Totalität und Transzendenzoffenheit, einer Benennung auch der neueren Kunstentwicklung nicht mehr gerecht werden, da diese 'einer nun wirklich säkular gewordenen Umwelt' (Richard Schaeffler) zugehört. Sie hermeneutisch kommensurabel zu machen mit einer auch weitgespannten theologischen Ästhetik, trägt nichts aus, führt nicht zum Dialog. Dergleichen könnte bestenfalls darauf hinauslaufen, gegenwärtige Kunstentwicklungen theologisch zu legitimieren ... Angesichts des neueren Kunstschaffens wird eine theologische Ästhetik zurückgebunden sein müssen an die Gestalten des 'konventionellen Christentums', auch wenn möglicherweise ein Dialog zwischen Kirche und Kunst nicht allerorten mehr möglich ist. Ohne dieses 'konventionelle' Christentum wird sie die Frage nach dem 'wahren' Christentum nicht stellen können. Prononcierter noch: um des säkularisierungs- wie religions- und kirchen-kritischen Potentials willen wird eine theologische Ästhetik nicht umhin können, einer Kirche verantwortlich zu sein, welche für sich die Ghetto-Existenz nicht ausschließen kann". Gustav A. Krieg: "Theologische Ästhetik und nachchristliches Bewusstsein". PTh 81, 1992. S. 181-200. Hier wird exemplarisch formuliert, woran alle Dialoge mit der Kultur scheitern. Konsequent bestimmt Krieg als Leit-Bild, "die Erfahrung der Differenz zwischen Gott und Welt neu nachzumalen, welche im Symbol verdichtet ist". Unter diesem Leitbild gibt es a priori keinen Dialog mehr.
  3. Dieser Vorbehalt trifft auch jene Konzeptionen, die Kunst zur Wahrnehmungssteigerung, Sensibilisierung, zur Lebensdeutung etc. einsetzen wollen. Unbestreitbar ist, dass Kunstwerke all dies bewirken können, aber wer sich ihnen nur mit diesem Interesse nähert, verfehlt ihren Kern.
  4. Und das unabhängig davon, ob die Exponenten dieses Segments sich selbst unter dem Begriff "Kultur" einordnen würden. Versteht man Kultur allgemein als ein überindividuelles in sich differenziertes System, innerhalb dessen sich die Kompetenz im Gebrauch differenzierter Verfahrensweisen erweist, dann gehört auch Techno zur Kultur.
  5. Irene Jung, Techno und die Kirche im Dorf, Hamburger Abendblatt Nr. 47 - Seite 5, 24/25.2.1996
  6. Nach Pia Hohnhaus differenziert sich das aktuelle Spektrum in: Rave-Techno, Kommerz-Techno, House, Trance, Goa/Goatrance, Acid, Minimal/Intelligent, Hardcore / Gabber, Jungle/Breakbeat/Drum & Bass, Ambient/Cill out. Pia Hohnhaus, "Kommunikation mit Schlumpf und Alpenheidi. Ist Techno mehr als nur eine Mode? - Längst hat sich eine Vielzahl unterschiedlicher Stile entwickelt". Die Welt 13.3.1996 (Welt der Kultur). Dieser Artikel ist die Ausnahme in der Berichterstattung der Zeitung 'Die Welt'. Aber auch hier hat die Redaktion offensichtlich eingegriffen um zumindest über den Titel eine negative Assoziation auszulösen.
  7. ebenda.
  8. Vgl. Ernst Benz, Die Vision. Erfahrungsformen und Bilderwelt. Stuttgart 1969
  9. Vgl. dazu Hans Peter Duerr, Traumzeit. Über die Grenze zwischen Wildnis und Zivilisation. 5. Auflage. Frankfurt 1980.
  10. Projektbeschreibung "Crusade" im November 1995.
  11. Dafür gibt es eigentlich keinen Grund. Erst so entsteht ja der in der Bevölkerung verbreitete Eindruck, hier werde die Techno-Musik geheiligt.
  12. DS Nr. 7, 16. Februar 1996.
  13. In der Internet-Berichterstattung heißt es: "800 Jahre alte gotische Architektur und Techno gehen für eine Nacht eine ungewöhnliche Koalition ein. Eine Begegnung zwischen sakralem Ambiente und weltlichem Entertainment der besonderen Art. Die Messe wird zur Party."
  14. Der vielleicht bedeutendste Techno-Club ist "Manhattan", eine ehemalige Kirche in New York. Und das hat sicher nicht nur seinen Grund darin, weil Kirchen eine "geile location" darstellen, wie die Presse nicht müde wird zu zitieren, sondern weil die Raumkonstituenten einer Kirche für musikalische und massenmediale Veranstaltungen ganz besonders geeignet sind.
  15. DS Nr. 7 - 16. Februar 1996
  16. Hamburger Abendblatt, Wochendjournal 3./4.2.1996. Der Hinweis auf die Überwindung der "rationalen Computerwelt" zeigt an, dass Denecke die kulturelle Eigenart und Ästhetik des Techno kaum verstanden hat und sich ganz im Rahmen traditioneller kirchlicher Medien-Kritik bewegt.
  17. Hamburger Abendblatt, Wochendjournal 3./4.2.1996.
  18. Katharinenbrief März/April 1996
  19. DS Nr. 7 - 16. Februar 1996
  20. Hamburger Abendblatt, 20.2.1996
  21. Bernhard Schwarze laut Hamburger Morgenpost 23.2.96
  22. Schleswig-Holsteinische Landeszeitung 24.2.96
  23. DS Nr. 7 - 16. Februar 1996 / Die Welt 19.2.1996. Die Welt fügt hinzu: "So wie Rüß glauben auch viele Kirchenangehörige, dass der Kult um die experimentelle Musik, die ohne Text auskomme, mit der Kirche nichts gemein habe."
  24. Hamburger Morgenpost 23.2.96
  25. Vgl. P. Strauch, Von der Sünde des Tanzens, Archiv für Religionswissenschaft, 1925. Hans Peter Duerr verweist in seinen Buch "Traumzeit" auf die zunehmende Sinnenfeindlichkeit im 16. Jahrhundert: "'So geschiehet nun', schreibt Florian von Fürstenberg in seinem Tanzteuffel (Frankfurt/M. 1567, S. 38f.), 'solch schendtlich, unverschämt schwingen, werffen, verdrehen und verködern von den Tanzteuffeln, so geschwinde, auch in aller Höhe, wie der Bawer den flegel schwinget, dass bisweilen den Jungfrauwen, Dirnen und Mägden die kleider biß über den Gärtel, ja bis über den Kopff floegen'. dass dies nicht nur die Meinung verkorkster Theologen war, bestätigen im 16. Jahrhundert die Tanzordnungen, die allerorten üppig ins Kraut wucherten. In einer Nürnberger Polizeiordnung heißt es 'von schaendlichen tänzen: nachdem viel ungewohnlicher schentlicher unzmlicher und newer tentze teglichen einprechen und getrieben werden ... so ist verboten zu den tänzen aufzuspielen ... auch nymant wer der say fraw oder man dieselben nicht tanzen, an den täntzen einander nit halsen oder umbvahen sollen'." Hans Peter Duerr, Traumzeit, a.a.O., S. 260f. Diese Tradition der Begrenzung des Tanzes durch (polizeiliche) Verordnungen hat sich bis in die Gegenwart erhalten. In Großbritannien wurde 1994 aus der Tatsache, dass die Techno-Anhänger gerne unkonventionelle Veranstaltungsorte wählen, die Konsequenz gezogen, ein 'lex techno' zu schaffen, das "spontane Versammlungen zu statischer Musik" untersagt. Die Veranstaltung der Techno-Party in Berlin scheiterte nicht zuletzt an den Auflagen der Behörden.
  26. "Hier wird deutlich, was hinter der Kritik vieler Kirchenmitglieder an dem Techno-Experiment in St. Katharinen steht: nicht musikalische Geschmacksfragen, sondern Ängste. Angst vor Bedeutungsverlust, nachdem die Kirche mehr als tausend Jahre lang Gesellschaft und Wertvorstellungen geprägt hat. Angst vor Identitätsverlust. Nicht nur der Medienbeauftragte der Synode, Ortwin Löwa, sondern auch Öffentlichkeitspastor Hinrich Westphal sah die 'lutherische Identität' in Gefahr. 'Ist denn das, was wir als Kirche zu bieten haben - zum Beispiel die Liturgie, die zehn Gebote - überhaupt nichts mehr wert?' fragte Löwa verzweifelt. Angst davor, dass Techno Begriffe besetzen und 'entwerten' könne, die bisher in der kirchlichen Tradition Bedeutung hatten, z.B. Spiritualität, Jünger, ekstatische Versenkung, Trance. Angst vor der kalten Rationalität der Technik: Techno sei 'Musik aus der Steckdose', hieß es, technizistische, eben nicht 'handgemachte' Musik. Angst davor, sich in einer Masse Nichtgläubiger mit dem Glaubensbekenntnis überhaupt noch zu Wort zu melden, sich als gläubig zu outen, die 'Heilsbotschaft' gegenüber Menschen mit technisch-aufgeklärtem Weltbild wieder zum Thema zu machen." Irene Jung, Techno und die Kirche im Ort, a.a.O.
  27. So Horst Schwebel im Interview mit dem Sonntagsblatt Nr. 17, 26. April 1996.
  28. Christoph Bizer, Jugend und Religion, Pastoraltheologie 81, 1992/4, S. 166-180. Allerdings muss hinzugefügt werden, dass Bizer die Tänzerin nicht ausgrenzt: "Von der evangelischen Kirche her gesehen wäre das noch lange kein Grund zur Abgrenzung. Sie hat die Tore weit offen zu halten für alle, die sich im Umgang mit dem Heiligen Erproben wollen".
  29. Vgl. dazu Luc Ferry, Der Mensch als Ästhet. Die Erfindung des Geschmacks im Zeitalter der Demokratie. Stuttgart 1992: "Man wird infolgedessen verstehen, inwieweit das Vorhaben, dem Studium der Sinnlichkeit eine selbständige Wissenschaft zu widmen - d.i. die Ästhetik -, einen entscheidenden Einbruch in bezug auf die klassische Sichtweise nicht nur für die Theologie, sondern für die gesamte vom Platonismus geprägte Philosophie darstellt. Man muss hier Maß anlegen: Der Gegenstand der Ästhetik, die sinnliche Welt, existiert nur für den Menschen, sie ist im strengeren Sinne das dem Menschen Eigentümliche ... die menschliche Sinnlichkeit wird [bei Baumgarten und Lambert] so vorgestellt, als habe sie eine spezifische Struktur, die aus der Sicht Gottes nicht relativiert werden könnte" (S. 26).
  30. Alle Zitate: Karl Barth, Ethik II. Vorlesung Münster Wintersemester 1928/29 (Gesamtausgabe II. Akademische Werke 1928/29), hg. von Dieter Braun, Zürich 1978
  31. Aus diesem Grunde ist auch Matthias Zeindler grundsätzlich zu widersprechen, wenn er z.B. den Ästhetizismus als Sünde qualifiziert. Unter Ästhetizismus versteht Zeindler eine ästhetische Wahrnehmung, "die davon absieht, dass ästhetisches Wohlgefallen nicht von außerästhetischen Faktoren abstrahieren kann". Matthias Zeindler, Gott und das Schöne. Studien zur Theologie der Schönheit, Göttingen 1993, S. 345f. Als solche außerästhetische Faktoren benennt Zeindler z.B.die ethische Qualität des Kunstwerks., Ästhetische Erfahrung, die ethische Erwägungen in den Erfahrungsprozeß miteinbezieht, verdient überhaupt nicht als ästhetische benannt zu werden (vgl. I. Kant, KdU §§ 2-7). Abgesehen davon ist vor allem die inhaltliche Orientierung Zeindlers fragwürdig; was sonst sollte im ästhetischen Prozeß 'böse' genannt werden. Die Verquickung von ästhetischen und ethischem Urteil, die Zeindler vornimmt, ist darüber hinaus nicht folgenlos: genau hier steht die Freiheit des Menschen auf dem Spiel. Vgl. dazu Thomas Lehnerer, Methode der Kunst, Würzburg 1994, S. 54ff.
  32. So übereinstimmend Karl Barth, a.a.O. und Peter L. Berger, Auf den Spuren der Engel. Die moderne Gesellschaft und die Wiederentdeckung der Transzendenz, Freiburg 1991, S. 123. Es geht dabei weniger um Zeichen der Transzendenz in der Kultur (das führt dann oft wieder zum beliebten "Christusbild in der Kunst des 20. Jahrhunderts" und schließt damit andere Werke aus), als um die Kultur als Zeichen der Transzendenz. Das hat Barth in seinen Ausführungen zur Kunst präzis gesehen, wenn er von der "positiven Bedeutung der Kunst als Verkünderin der grundsätzlichen Überbietbarkeit der gegenwärtigen Wirklichkeit" spricht.
  33. Vgl. etwa den Kommentar "Techno-Gläubige frönen der aufreibenden Ekstase ihres Kultes" in der FAZ vom 16.02.1996 ("Es wirkte als hätte ein abgelebter Kult seinen Tempel der neuen, vitalen Bewegung überlassen, auf dass in den leeren Gemäuern wieder Leidenschaft und Ekstase einziehen") mit dem Urteil von Horst Schwebel: "Bei den Techno-Partys ging es nicht um Religiosität" (DS Nr. 17, 26. April 1996).
  34. DS Nr. 8, 23.02.1996, S. 33
  35. Vgl. Hans Blumenberg, Der Prozeß der theoretischen Neugierde, Frankfurt 3/1984, S. 103ff. (Aufnahme der Neugierde in den Lasterkatalog), hier S. 108.
  36. Hans Robert Jauß, Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik, Frankfurt 2/1984, S. 73f.
  37. Ebenda, S. 74.
  38. Ebenda, S. 84f.
  39. Ebenda, S. 31f.
  40. Dietrich Neuhaus, Zur Bedeutung des Zusammenhangs von Theologie/Kirche und Kunst/Ästhetik (Thesenpapier): "Qualifizierte Gegenwart ist ein Konstrukt von Erfahrung. Sie ist das Endresultat eines komplizierten Prozesses von Wahrnehmungen: des Selbst, der Gesellschaft, von Allgemeinem und Besonderem. Wahrnehmungskritik, d.h. Kritik an den individuellen Dispositionen und kollektiven Institutionen, die ständig Scheingegenwart herstellen und mit Bedeutung aufladen, ist darum der Königsweg zur Konstruktion qualifizierter Gegenwart. Kunstwerke sind das Endresultat von Versuchen, qualifizierte Gegenwart herzustellen. Wer sie verstehen (und bewerten) will, muss die Wahrnehmungen, Verarbeitungen von Sinnes- und Verstandeseindrücken (analytischer Prozeß) und die erneute Gestalt-, Raum- und Formwerdung (synthetischer Prozeß) nachzuvollziehen versuchen. Möglicherweise stellt sich in diesem Prozeß des Nachvollzugs eine ästhetische Erfahrung ein. Diese ist in sich selbst gegründet und erst einmal a-religiös, auch wenn sie mit noch so vielen Gefühlen und Überwältigungserfahrungen einhergeht." Da deutlich akzentuiert ist, dass die 'pragmatische Absicht' nicht die Re-Integration der Diskurse von Religion und Kunst sowie von ästhetischer und religiöser Erfahrung meint, kann ich dieser Programmatik nur voll zustimmen.
© Andreas Mertin