Am Ende steht das Lachen

Variationen

von Andreas Mertin

aus: Schwebel/Schmidt, Metamorphosen - Liebe und Eros in der Bibel, Marburg 1992.

Unwahrscheinliche Liebe

Zu den Metamorphosen biblischer Liebe zählt auch die unwahrscheinliche Liebe, die sich dort ereignet, wo an Liebe schon nicht mehr zu denken war, die selbst unter den unmittelbar Betroffenen nur ein verhaltenes, ungläubiges, vielleicht sogar resigniertes Lachen auslöst. In der Bibel steht das gesamte Leben eines Menschen unter dem Bann dieses Lachens, einer der Erzväter trägt seinen Namen nach der Reaktion, die die Zumutung einer geschlechtlichen Vereinigung bei seinen Eltern auslöste.

Eine unwahrscheinliche Liebe und ein unwahrscheinliches Liebespaar: er 100, sie 90 Jahre alt, zwei Menschen, deren Leiber nach Römer 4,19-21 schon erstorben waren: "Da fiel Abraham auf sein Angesicht und lachte und sprach in seinem Herzen: Soll mir mit hundert Jahren ein Kind geboren werden, und soll Sara, neunzig Jahre alt, gebären?" (Gen 17,17). Sara geht es ähnlich, bei ihr ruft die Ankündigung die Erinnerung vergangener Lust hervor: "Darum lachte sie bei sich selbst und sprach: Nun ich alt bin, soll ich noch der Liebe pflegen, und mein Herr ist auch alt!" (Gen 18,12).

Sara denkt nicht nur an ihr Alter, sondern auch an die Beziehung zu Abraham: "Sara meint, sie sei doch zu alt für die 'ädna', die Liebeslust. Geht es nur um die medizinisch-biologische Seite? Oder gar um die moralische? Das Wort, das hier gewiss so etwas wie Wollust bedeutet, hängt eng zusammen mit èdän, der Bezeichnung für den Paradiesgarten. Zu alt fürs Paradiesische, keine Illusion mehr? Warum sonst spräche (und lachte) Sara von der Lust, wenn es nicht um mehr ginge als die medizinisch-technische Konzeptionsfähigkeit? Warum spräche Sara von Lust, wenn es nur um den zu erwartenden oder nicht mehr zu erwartenden Sohn ginge. Die Behauptung, dass Sexualität in der Bibel ausschließlich der Fortpflanzung diene, zeigt sich hier nebst den allzu lange und mancherorts noch heute davon abgeleiteten Moralvorstellungen als Unsinn. Hier wird ganz deutlich: Sara spricht von Lust und Wonne und nicht von den Naturgesetzen und der Möglichkeit oder Unmöglichkeit ihrer Durchbrechung".[1]

Ein drittes Mal wird das Lachen bei der Geburt thematisiert und dieses Mal ist es ein ambivalentes Lachen, ein Lachen der Freude und der Verlegenheit: "Und Sara sprach: Gott hat mir ein Lachen zugerichtet denn wer es hören wird, der wird über mich lachen" (Gen 21,6). Es ist einerseits die lachende Freude, die Gott der bis dahin kinderlosen Sara bereitet hat, eine Freude, die nicht nur in der Geburt des Sohnes, sondern auch in der wiedergewonnenen Liebe, in der wiederentdeckten Lust zwischen Sara und Abraham besteht freilich ist da auch das Gelächter derer, die über Kinder- und Liebesglück des alten Ehepaars reden werden, die es unmöglich finden, in diesem Alter noch zu lieben und am Ende gar lachend Lust zu empfinden. Und nicht zuletzt deshalb trägt der Sohn von Sara und Abraham den Namen Isaak, was vom hebräischen sahak = lachen abgeleitet ist und so viel meint wie "Gott lacht" oder "er lacht" und gelesen werden kann als Ausdruck der Freude über eine unwahrscheinliche Liebe.

Lächerliche Liebe

1799 kündigt ein Künstler seinem Publikum einen Zyklus von Radierungen mit folgenden Worten an: "Eine Sammlung von Drucken launiger Themen, erfunden und radiert von Don Francisco Goya. Weil der Autor überzeugt ist, dass die Kritik menschlicher Irrtümer und Laster ... auch Gegenstand der Malerei sein kann, hat er als angemessene Themen für seine Arbeit aus der Vielzahl der Extravaganzen und Torheiten, die jeder menschlichen Gesellschaft gemeinsam sind, und unter den vulgären Vorurteilen und Betrügereien, wie sie durch Gewohnheiten, Unwissenheit oder Eigennutz sanktioniert sind, jene ausgewählt, die er für besonders geeignet hielt, ihm Stoff für das Lächerliche zu liefern und gleichzeitig die künstlerische Phantasie anzuregen".[2]

Ein Thema der so vorgestellten Caprichos ist die Liebe, die Annäherung unter den Geschlechtern, das Beziehungsspiel, die Geilheit und Gewalt der Männer, das Ende von Liebe und Erotik. Sexualität ist hier handfest und instrumentell, sie oszilliert zwischen dem Grauen und der Lächerlichkeit, ganz anders als wir es von den zeitgleichen Festen der Liebe in der deutschen romantischen Literatur gewohnt sind (etwa Friedrich Schlegels Lucinde). Fast alle der Goyaschen Annäherungen an das, was ihm an Liebe, Eros und Sexualität "Stoff für das Lächerliche zu liefern und gleichzeitig die künstlerische Phantasie anzuregen" vermag, geschehen unter Bezugnahme auf die an der Bibel orientierte kunstgeschichtliche Tradition.

Martin Warnke hat darauf hingewiesen, dass in "Goyas Gesten" die alteingeübten und erstarrten Gebärden einer kirchlichen und frömmigkeitlichen Kultur durch einen neuen Kontext sinnlich aufgeladen werden: "Auf Capricho 19 verfolgt die Alte links den Erfolg der Lockeinrichtung für Männer aller Stände, so als bete sie zu Engeln ... Auf Capricho 8 entführen die Mönche eine Frau im Bewegungsschema einer Grablegung. Auf dem folgenden Capricho 9 ist 'Tantalus' der impotente Mann, die die Frau beweint wie auf unzähligen Pietàs Maria den Leichnam Christi beweinte ... Und wenn Mönche und Nonnen miteinander gezecht und gehurt haben, dann dürfen sie sich danach in die gleiche erschöpfte Schlaflager bringen wie die Jünger im Garten Gethsemane am Ölberg".[3]

Goya führt für sein zeitkritisches Unternehmen den aus der christlichen Tradition freiwerdenden Bildformen neue Inhalte zu. Zugleich gibt er den Dissenz zwischen Geltungsanspruch und Empirie, zwischen einer scheinbar christlich orientierten Kultur und ihrer Alltagswirklichkeit der Lächerlichkeit preis. In den religiösen Fragments d'un discours amoureux kommen Gewalt, Intrige, Boshaftigkeit nicht vor und doch bestimmen auch sie die Liebe. Es ist nicht zuletzt die christliche Religion, die mit der Ausgrenzung des profanen Erotischen die Bedingungen dafür schafft: "Die einzige und höchste Wollust der Liebe liegt in der Gewissheit, das Böse zu tun. Mann und Frau wissen beide von Geburt an, dass sich alle Wollust im Bösen findet" (Charles Baudelaire).

Goya jedenfalls geht den Metamorphosen des Erotischen dort nach, wo sie jenseits der höfischen und religiösen Codierung von Intimität verlaufen, in der hoffnungslosen Verkettung von Mann und Frau, den Eitelkeiten der Geschlechter, den derben Verstrickungen, den nur scheinbar feinen Netzen, die ausgeworfen werden und in der gegenseitigen Übervorteilung von Mann und Frau.

Ironische Liebe

Goyas 43. Capricho trägt den Titel "Der Traum der Vernunft produziert Ungeheuer". In einem zeitgenössischen Kommentar wird das Bild so gedeutet, "dass sich alles in Visionen auflösen muss, wenn von den Menschen der 'Schrei der Vernunft' nicht gehört wird".

Cordula Güdemanns Arbeit "Der Schrei der Vernunft" greift auf diese Formulierung zurück. Auf einer roten Fläche liegen 13 Figuren männlichen Geschlechts verstreut, auf dem Rücken, in Seitenlage, auf dem Bauch. Am linken Bildrand stehen zwei Monitore, auf denen je eine liegende weibliche Figur auf ebenfalls rotem Grund zu sehen ist. In der rechten unteren Ecke ein kleiner Hund. Die Figuren sind voneinander separiert, sie wirken reglos, aber nicht tot Assoziationen an apokalyptisch inszenierte "Die Ins" werden geweckt. Sind die Dargestellten der Entropie ihrer Beziehungsarbeit erlegen, sind sie dem Wärmetod ihrer Liebe zum Opfer gefallen? Oder sind männliche und weibliche Welten unberührbar getrennt, bildet die eine für die andere nur eine "Welt am Draht"? Ist das Bild als eine jener Visionen zu verstehen, die sich Geltung verschaffen, wenn der "Schrei der Vernunft" nicht gehört wird?

Die Selbstverständlichkeit des ersten Blicks weicht schnell Zweifeln. Liebe und Vernunft treten im 17. Jahrhundert auseinander, der amor rationalis wird zum Gegensatz, Liebe wird souverän. Zugleich erweitert sie ihr Terrain: Liebe zu dritt, Rollentausch, freie Verfügung über den eigenen Körper. Und heute? Nachdem alles gesagt ist, bleibt nur das Liebes-Zitat im Verhältnis der Geschlechter übrig: "Keiner der beiden Gesprächspartner braucht sich naiv zu fühlen, beide akzeptieren die Herausforderung der Vergangenheit, des längst schon Gesagten, das man nicht einfach wegwischen kann, beide spielen bewusst und mit Vergnügen das Spiel der Ironie ... aber beiden ist es gelungen, noch einmal von Liebe zu reden. Ironie, metasprachliches Spiel, Maskerade hoch zwei".[4]

"Das Absurde haust im Gewöhnlichen" schrieb eine Kritikerin über die Bilder von Cordula Güdemann. Der Schrei, ein im Affekt hervorgebrachter, unartikulierter Laut, als Ausdrucksmittel der Vernunft ist eine selbstwidersprüchliche Metapher und nur ironisch aufzulösen. Das sapere aude! ist vom affektgeladene Auf-Schrei gebrochen, die dissoziierende Vernunft angesichts des Absurden im Gewöhnlichen ratlos. Am Ende steht auch bei Cordula Güdemanns Werk Der Schrei der Vernunft ein Lachen, ein Lachen aus der Perspektive der Ironie, aus der Einsicht der Absurdität im Geschlechterverhältnis.

"Im Klügerwerden grenzen Lust, Melancholie und Brutalität dicht aneinander. So auch, wenn Autoren von Liebespaaren schreiben, die sich am Morgen nach der Vereinigung voneinander lösen. Mann und Frau in der postkoitalen Ernüchterung, Gedanken nachhängend, Erfahrungen resümierend, Ansprüche klärend. Das Thema ist nicht die Liebe, sondern was sie so schwierig und zerbrechlich macht. Am Morgen werden die alten Widersprüche von Vereinigung und Trennung, Gier und Fremdheit, Leidenschaft und Zeitfluss wieder sichtbar."[5]

Anmerkungen

  1. J. Ebach, "Nein, du hast doch gelacht". Annäherung an eine biblische Wundergeschichte, Einwürfe 4, 1987, S. 75f.
  2. zit. nach: W. Hofmann, Goyas negative Morphologie in: Hofmann/Helman/Warnke, Goya. 'Alle werden fallen', Frankfurt 1987, S. 17.
  3. M. Warnke, Goyas Gesten in: Hofmann/Helman/Warnke, Goya, a.a.O., S. 134f.
  4. U. Eco, Nachschrift zum 'Namen der Rose', München 1986, S. 79.
  5. P. Sloterdijk, Kritik der zynischen Vernunft, Frankfurt 1983, S. 901.

© Andreas Mertin