Der Triumph der Religion in den Künsten?

Was ist christliche Kunst?

von Andreas Mertin

aus: Kunst und Kirche 4/1989, S. 243-245.

Auf einem Kupferstich Theodor Galles aus dem Jahr 1603 stehen im Halbkreis um den kreuztragenden Christus herum zehn Maler mit ihren Staffeleien. Über dem Bild ein Zitat aus dem Hebräerbrief: Hinblicken auf den Anfänger und Vollender des Glaubens. Obgleich alle Christus als Modell vor Augen haben, zeigen die Werke völlig verschiedene Motive. Nur ein Maler malt wirklich die Kreuztragung, andere dagegen frühere oder spätere Szenen aus dem Leben Christi einige der Bilder werden auch mit Allegorien der Laster gefüllt. Nicht Christus, sondern ein Teufel mit Hörnern, ein Geiziger mit einem Geldbeutel und eine höchst weltliche Luxuria erscheinen auf den Leinwänden. Auf sie bezieht sich auch der Kommentar unter dem Bild, der betont, dass jene, die Christus unzureichend nachahmen, den christlichen Namen zu Unrecht tragen.

Theodor Galle, Kupferstich 1603

An diesem Kupferstich lassen sich mehrere der Probleme aufzeigen, die die Kirche mit den Künstlern hat und die nicht wegdiskutiert werden können. Zwar kann man Künstler beauftragen, christliche Motive zu malen und hoffen, dass sie den christlichen Glauben möglichst vollkommen ausdrücken. Aber die Künstler haben eine eigene Vorstellung davon, wie ein Bild auszusehen hat, sie schmücken Szenen aus, wandeln sie ab, schmuggeln Ereignisse auf das Bild, die gar nicht stattgefunden haben, drücken das Thema versteckt im Rahmen einer Allegorie aus oder lehnen gar eine Illustrierung ab und wählen ein anderes Thema. Deutlich wird, dass das Verhältnis von Kunst und Kirche, dass doch, wenn wir in die Vergangenheit blicken, so fruchtbar scheint, niemals ohne Spannungen war. Inzwischen sind 386 Jahre vergangen, aber das Problem ist nicht nur geblieben, sondern hat sich sogar verschärft.

Ausdifferenzierung der kulturellen Moderne

Religion in der Kunst ist heute keine Selbstverständlichkeit mehr. Das ist das Ergebnis eines Prozesses, der spätestens im 17. Jahrhundert begonnen hat und dessen Entwicklung mit dem Wort Moderne als 'Prozess der Aufklärung' bezeichnet werden kann. Seitdem hat sich die Kunst zunehmend von christlichen Vorstellungen entfernt. Auch wenn es, etwa in der Musik, zu überraschenden Begegnungen zwischen Kunst und Religion kam, ist dennoch der Prozess der Ausdifferenzierung der kulturellen Moderne unwiderruflich. Er geht einher mit dem Verlust der Vormachtstellung der Religion. Im 18. und 19. Jahrhundert festigte sich die Überzeugung, dass das Christentum infolge der Konfessionalisierung Privatreligion werde und nun anderes an seine Stelle treten müsse.

Von der Romantik ...

Ein beredtes Beispiel dafür ist der Aufsatz "Die Christenheit oder Europa" des Frühromantikers Friedrich von Hardenberg. Er beklagt darin den Verlust jener Zeiten, wo Europa ein geeintes christliches Land war, wo die Kirchen noch alle mit ermunternden Bildern geschmückt, mit süßen Düften erfüllt, und von heiliger erhebender Musik belebt waren. Infolge der Reformation habe jedoch der Buchstabenglaube überhand genommen und die unendliche Musik des Weltalls zum einförmigen Klappern einer Mühle gemacht. Eine Lösung biete nur eine Religion der Poesie, die künftig auch das einigende Band der Menschheit bilden solle. Aber dieser Glaube an die alles vereinigende Kraft der Kunst hielt nicht lange vor. Hegel sprach einige Jahre später bereits vom 'Ende der Kunst' und setzte die Philosophie an ihre Stelle. Sie sollte mit der Kraft der Vernunft, auf dem Wege des sich durchsetzenden Geistes die Menschheit einigen. Aber auch die Philosophie hat ihr Versprechen, bessere, menschlichere Verhältnisse herbeizuführen, nicht eingelöst. Sie hat den Moment ihrer Verwirklichung versäumt (Th. W. Adorno).

... zur Post-Moderne

Damit waren die geistigen Faktoren, die bis dahin über Jahrhunderte das öffentliche Leben bestimmt hatten, gleichgültig geworden. Gleichgültig in dem Sinn, dass sie neben vielen anderen Faktoren, wie etwa der sich durchsetzenden Industrialisierung, der Revolutionierung der Naturwissenschaften und der Entwicklung der öffentlichen Kommunikationssysteme Presse, Kino, Rundfunk und Fernsehen gleich gültig geworden waren, d.h. keinen Vorrang mehr beanspruchen konnten. Die Verbindungslinien von Kunst und Kirche sind unterbrochen, es gibt außer der gemeinsamen Herkunft aus dem Kultbild, keine Gemeinsamkeiten mehr. Kunst und Kirche begegnen sich wie auch Naturwissenschaft und Kirche sich begegnen, als selbständige Größen der kulturellen Welt. Wir stehen heute an einem Krisenpunkt dieser Entwicklung. Vieles von dem, was die Moderne gebracht hat, ist fraglich geworden, die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils (Horkheimer/ Adorno), der wissenschaftlich-technische Fortschritt hat zwar viele Annehmlichkeiten gebracht, aber auch an den Rand des Abgrunds geführt. Aus diesem Grund mehrt sich die Rede von der 'Post-Moderne', finden wir eine verstärkte Zuwendung zur Religion, aber auch einen neuen Irrationalismus. Viele stellen sich die Frage, ob nicht die Bedingungen falsch waren, unter denen bisher die Entwicklung der neuzeitlichen Geschichte betrachtet wurde, ob das gegeneinander Ausspielen von Religion, Kunst und Philosophie am Ende nicht falsch war. Diese Fragestellung ist keineswegs neu, wir finden sie ebenfalls an anderen Krisenpunkten der Moderne, etwa zur Zeit der frühen Romantik in ihrer Kritik der rationalistischen Aufklärung oder auch in den ersten drei Jahrzehnten dieses Jahrhunderts als Kritik an der Geisteswelt des 19. Jahrhunderts.

Ein neuer Konfessionalismus?

Auch in der theologischen Diskussion um den Stellenwert der Künste, allgemein der Bilder für den christlichen Glauben und die christlichen Kirchen finden sich solche Überlegungen. Sie mischen sich nun in jüngster Zeit mit Tönen, die so gar nicht zur behaupteten Ökumenizität der Kunst passen wollen. Es scheint, als breche in der theologischen Argumentation ein Konfessionalismus auf, wie wir ihn zuletzt in der spätromantischen Konversion zur katholischen Kirche erlebt haben. Da wird der Protestantismus der Bilderfeindlichkeit geziehen, der katholischen Kirche eine Anpassung an die protestantische Kunstsäkularisierung vorgeworfen und eine Rückkehr in die Zeiten der scheinbar ungetrübten Ehe zwischen Kunst und Religion beschworen. Hier der bilderfreundliche Katholizismus, dort der bilderfeindliche Protestantismus? So einfach liegen die Dinge nun doch nicht. Zunächst einmal ist daran festzuhalten, dass theologiegeschichtlich nicht die Bilderskepsis, sondern die Betonung der besonderen Funktion der Bilder für den Glauben einer theologischen (und nicht nur historischen) Legitimation bedarf. Auch wenn mancher es gern anders hätte, die Bibel empfiehlt uns nicht eine ägyptische Bilderfreundlichkeit (Eugen Drewermann[1]), sondern verweist mit unermüdlicher Skepsis auf die Gefahr, dass in Bildern bzw. Kunstwerken Glaubenserfahrungen verdinglicht werden. Festzuhalten ist insbesondere die Konsequenz, mit der die Hebräische Bibel auf die faktische Rezeptionshaltung gegenüber Bildern hinweist. Eine theologische Verteidigung der Bilder in der Kirche bedarf deshalb der höchsten theoretischen Anstrengung, sowohl was den objektiven Gehalt der Werke angeht, wie auch bezüglich der subjektiven Rezeption. Der Verweis auf die bilderfreundlichen Beschlüsse von Nizäa II dürfte kaum ausreichen, um der Legitimationspflicht nachzukommen. Nicht umsonst hat Kant darauf verwiesen, dass "auch die Regierungen gerne erlaubt (haben), die Religion mit letzterem Zubehör (scil. "Bilder und kindischem Apparat") reichlich versorgen zu lassen, und so dem Untertan die Mühe, zugleich aber auch das Vermögen zu benehmen gesucht, seine Seelenkräfte über die Schranken auszudehnen, die man ihnen willkürlich setzen, und wodurch man ihn, als bloß passiv, leichter behandeln kann.[2]

Vorurteil und Empirie

Aber kommen wir zurück auf die aktuelle theologische Diskussion. Auf welche wissenschaftliche Grundlagen könnte sie sich berufen? Es ist ein verbreitetes - und allgemein geteiltes - Stereotyp, dass Katholiken es besser mit den Bildern könnten als Protestanten. Wissenschaftliche Untersuchungen, die sich mit diesem Stereotyp beschäftigen, sind aber weiterhin ein Desiderat. Zu klären wäre in einer empirischen Untersuchung sowohl, ob es einen Zusammenhang zwischen religiösem Dogmatismus und Bilderfeindschaft gibt, als auch, ob sich dabei katholische und protestantische, und hier lutherische und reformierte, Kunstrezeption unterscheiden. Differenziert werden müssten vor allen Dingen die Kunstrichtungen, auf die sich die Urteile beziehen und die Orte, auf die die Kunstbegegnungen bezogen sind. Das heißt, es müsste untersucht werden, ob sich das Rezeptionsverhalten in Museen vor Werken aktueller Kunst konfessionell signifikant spezifizieren lässt. Solange eine derartige wissenschaftliche Untersuchung aussteht, ist die Argumentation mit dem Stereotyp der konfessionell gebundenen Kunstrezeption rein hypothetisch.

Geschichte als Argument?

Aber dessen ungeachtet wäre auch die Stichhaltigkeit der historischen Argumente der Apologeten einer ungetrübten Ehe von Kunst und Christentum zu prüfen. In zwei Aufsätzen hat Eberhard Simons in jüngster Zeit seine Auffassung vom Verhältnis von Kunst und Religion bzw. Christentum dargestellt.[3] Aus Simons Sicht gibt es eine in der europäischen Kunstgeschichte weitgehend konsistente Invariante, und zwar den "genuinen Zusammenhang zwischen Kunst und Religion, zwischen künstlerischer Mitteilung und biblischer Verkündigung, als der eine ganze Verkündigungs- und Lebenszusammenhang."[4] Es sei eine der Leistungen der jungen christlichen Religion gewesen, "einen neuen menschlich ergreifenden Geist der Kunst ... zur Verkörperung gebracht" zu haben.[5] Dies habe über Jahrhunderte als selbst- und gemeinverständlich gelten können. Es gab nur wenige Irritationen, keine kirchenamtlichen Kunstverbote und kaum Konflikte zwischen Kunst und Glaube. Erst der Bilder- und Kirchensturm der Reformation habe die Selbst- und Gemeinverständlichkeit des Zusammenhangs von Kunst und Religion in Frage gestellt. Das empfindet Simons heute noch als "dramatisch", "desaströs" und "tragisch". Auch die katholische Kirche sei inzwischen der protestantischen Säkularisierung zum Opfer gefallen.

Es lohnt sich, diese Argumentation im einzelnen zu prüfen. Unbezweifelbar ist, dass das Christentum seinen Beitrag zur Geschichte der Kunst geleistet hat, insbesondere durch die Entwicklung einer Ästhetik des Hässlichen. Aber was steht auf der anderen Seite der Medaille? Die wenigen Irritationen von denen Simons im Blick auf Kunst und Religion spricht, umfassen fast die gesamte Theologie der Alten Kirche und weite Strecken der mittelalterlichen Theologie. "Die Theologie des Ikonoklasmus ist so alt wie die christliche Kirche selbst"[6]. Dass die katholische Kirche erst spät die Verinnerlichung des Protestantismus übernommen habe, wird man etwa im Blick auf Bernhard von Clairvaux (1090-1153) kaum plausibel machen können. Francois Boespflug hat anhand einiger Streitfälle darauf hingewiesen, "dass die Kirche nicht erst das 16. Jahrhundert abwartete, um über die strikte Orthodoxie der religiösen Malerei zu wachen". Nach dem Tridentinum spitzte sich die Situation noch zu. "Je mehr sich die Kontrolle intensivierte, desto mehr diversifizierte sie sich auch. Die Unterscheidung zwischen einer Jagd nach dem Nackten, nach lächerlich wirkender Plumpheit, nach Monströsem, Animalischem, Anachronistischem, Grauenhaftem, Beleidigendem und schließlich marktschreierischer Prachtentfaltung erscheint deshalb keineswegs künstlich."[7] 1573 musste sich Paolo Veronese wegen seines Gemäldes "Abendmahl Christi und seiner Jünger im Haus des Simeon" der Inquisition stellen. Im Tridentinum wurde festgelegt, "dass niemand in einer Kirche oder wo auch immer ein ungewöhnliches Bild aufstellen oder in Auftrag geben darf, das nicht vorher vom Bischof abgesegnet wurde". Bialostocki sieht in den Beschlüssen des Tridentinums das Ende "der lebendigen Tradition mittelalterlicher Kunst" gekommen.[8] Es wäre also unangebracht, in der Bilderfrage eine einseitige Schuldzuweisung gegenüber der Reformation und ihrer Theologie vorzunehmen. Dass die Reformation zum "größten Bildersturm in der europäischen Geschichte" wurde, kann zudem nur dann pejorativ verstanden werden, wenn man die zugrundeliegenden sozialgeschichtlichen Motive unterschlägt. Mit gleichem Recht oder Unrecht könnte dem entgegengesetzt werden, dass die Reformation die Befreiung der Künste von theologischen Heteronomisierungsversuchen schlechthin darstellt.

Es sind die vielen kleinen unzutreffenden oder pauschalierenden Sätze, die bei der Lektüre von Simons Texten ein Unbehagen in mir aufkommen lassen. Etwa wenn eine "säkularisierte Rezeption europäischer Kunstgeschichte" als "religiös-unverbindliche Anschauung" diskriminiert wird. Als wenn man nicht auch mit guten theologischen Gründen von Christus als der Befreiung der Künste zur Profanität (Kurt Marti, Hans-Eckehard Bahr) sprechen könnte. Darüber hinaus: Ob sich aus Geschichtstatsachen schon grundlegende Wahrheiten ergeben, ist stark in Zweifel zu ziehen. Niemand wird auf den verwegenen Gedanken kommen, aus der Tatsache langandauernder Feudalherrschaft deren Legitimität ableiten zu wollen. Gleiches scheint mir für die Geschichte von Kunst und Kirche zu gelten. Es ist noch nicht ausgemacht, ob nicht die Geschichte von Kunst und Religion für die letzten 1700 Jahre als Geschichte der Versklavung der Kunst durch die Religion und als Befreiung der Kunst von der Religion neu zu entdecken wäre beschrieben würde so die Entwicklung des Ästhetischen in den Werken selbst. Ist, wie Th. W. Adorno vermutet hat, die Autonomie der Kunst "ein Gewordenes, das ihren Begriff konstituiert", dann ist die Kunst erst als autonome im emphatischen Sinne Kunst. Natürlich kann Kunst von dem, was einmal sie bestimmte, nicht getrennt werden. Etwas von ihrer kultisch und später religiös determinierten Vergangenheit bleibt an ihr haften, aber als ein permanent zu Negierendes.[9]

Im byzantinischen Bilderstreit hatte Theodor Studites behauptet, "es werde durch die Abschaffung der Bilder und ihrer Verehrung auch Christus verleugnet und sein Heilswerk aufgehoben"[10]. Simons gebärdet sich nun quasi als Theodor Studites redivivus, auch er meint, der Verzicht auf Bilder zerstöre die christliche Botschaft. "Die Vertreibung der christlichen Botschaft nach Innen und die Sublimierung des Glaubens ins rein 'Geistige' (die Simons der Reformation anlastet, A.M.) bedeuteten Auflösung und Vernichtung dieser Botschaft. Dieses Rückzugsideal zu verfolgen ist gleichwohl identisch mit der Tendenz der Vertreibung der Kunst aus der Kirche."[11] Zugespitzter lässt sich dies nicht formulieren. Wie schon im byzantinischen Bilderstreit die Ikonodulen, vertritt Simons eine Position, die die revelatio specialis, die Wortoffenbarung, von einer revelatio generalis, den Bildern, zumindest historisch abhängig macht. Ein Protestant wird ihm hier nicht folgen können.

Braucht das Christentum die Kunst?

Der Kern des Problems besteht in der Frage, ob das Christentums religiöser Kunst bedarf. Hier kann und muss theologisch gestritten werden. Unbestritten ist und bleibt, dass Christen sich allgemein mit den bildenden Künsten beschäftigen sollten. Unterlassen werden sollte aber die Suggestion, Christen, die sich gegen religiöse Kunst in der Kirche aussprechen, sprächen sich zugleich gegen Kunst allgemein oder gar gegen Sinnlichkeit aus. Nach all dem, was wir über die historischen Bilderstreitigkeiten wissen, trifft dies weder für die byzantinischen Ikonoklasten, noch für Savonarola, noch gar für Luther zu. Und Jan Weerda hat 1956 auf dem Evangelischen Kirchenbautag am Beispiel einer reformierten Kirchengemeinde in Emden nachgewiesen, dass die gleichen Leute, die ihre Kirche von religiösen Kunstwerken freihielten, den schönen Künsten dennoch ausgesprochen zugetan waren. Die These vom sinnenfeindlichen Ikonoklasten, mit Vorliebe dem Calvinismus angehängt, ist jedenfalls zu platt, als dass sie noch glaubwürdig sein könnte.

Horst Schwebel hat darauf hingewiesen, dass es Zeit sei, sich von der Vorstellung vom "Gesamtkunstwerk Kirche" zu verabschieden. Es lasse sich in der ausdifferenzierten kulturellen Moderne "nur durch Über- und Unterordnung verwirklichen und ist krasse Heteronomie."[12] Auch noch die wohlgemeinte Versinnlichung der christlichen Religion führt heute zu der Aporie, der Kunst Gewalt antun zu müssen. Die Verbilderung des Glaubens stößt auf objektive Grenzen.

Abschied vom "Triumph der Religion in den Künsten"

Overbecks "Der Triumph der Religion in den Künsten"

Schon Overbecks "Der Triumph der Religion in den Künsten" wollte die zeitgenössischen Betrachter nicht mehr so recht überzeugen. Fr. Th. Vischers auch heute noch lesenswerte Besprechung des Bildes macht auf die ganze Problematik einer willkürlichen und damit aus der Reflexion geschehenden Wiederbelebung der Religion in den Künsten aufmerksam. Auf diese Art und Weise würden Wiederbelebungsversuche an einer historischen Leiche, der religiösen Kunst, unternommen. Sie werde herausgeputzt, mit Flitter behängt oder mit Naivität geschminkt, der man nur zu sehr die Herkunft aus der Gegenwart ansehe. Nur bis zum Mittelalter seien Kunst und Religion eins gewesen. Seitdem sei zwischen religiöser und ästhetischer Stimmung zu trennen. Die Kunst ist autonom geworden.[13]

Wir neueren aber, Katholik wie Protestant, wir Kinder einer Zeit, wo es Fräcke und Krawatten gibt, haben die entgegengesetzte Stimmung (scil. zur religiösen Malerei) in allen Nerven und Adern, und jede Mühe ist vergeblich, uns auf dem Wege der Überzeugung, der Dogmatik in jene zurückzuversetzen. Dahin kommt man nicht mit Dampfkraft, es ist aus und vorbei."[14]

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Anmerkungen

  1. Zur Auseinandersetzung mit entsprechenden Argumenten Eugen Drewermanns vgl. D. Neuhaus, Der Schatten der Bilder. Versuch eines Protestanten, den Bildern ins Wort zu fallen, Einwürfe 4, München 1987, S. 79-114.
  2. I. Kant, Kritik der Urteilskraft, Frankfurt 1974, S. 202.
  3. E. Simons, Kunst statt Religion? Zur Bestimmung des Verhältnisses von Kunst und Religion, Kunst und Kirche 4/88, S. 198ff. ders., Gibt es christliche Kunst? Zur dramatischen Geschichte und Gegenwart christlicher Kunst, Das Münster 1/89, S. 66ff.
  4. Simons, Kunst statt Religion?, a.a.O., S. 200
  5. ebenda, S. 199
  6. E. Benz, Theologie der Ikone und des Ikonoklasmus. Kerygma und Mythos VI. Bd. II: Entmythologisierung und Bild, Hamburg 1964, S. 75-102.
  7. Fr. Boespflug, Die bildenden Künste und das Dogma. Einige Affären um Bilder zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert in: ... kein Bildnis machen, hg. von Dohmen/Sternberger, Würzburg 1987, S. 149-166, hier S. 158.
  8. J. Bialostocki, Skizze einer Geschichte der beabsichtigten und der interpretierenden Ikonographie in: Bildende Kunst als Zeichensystem, hrsg. E. Kaemmerling, 3. Auflage. Köln 1984, S. 15-63, hier S. 34.
  9. vgl. dazu Th. Lehnerer, Kunst als bestimmte Negation von Religion, Kunst und Kirche
  10. vgl. G. Ladner, "Der Bilderstreit und die Kunstlehren der byzantinischen und abendländischen Theologie", ZKG 50 (1931), S. 1-23, hier S. 6
  11. Simons, Gibt es christliche Kunst?, a.a.O., S. 68. (Hervorhebungen nachträglich eingefügt A.M.)
  12. H. Schwebel, Items und Indikation. Zum Umgang der Kirche mit der Gegenwartskunst in: Die Bilder und ihre Macht. Zum Verhältnis von religiöser und ästhetischer Erfahrung, Stuttgart 1989.
  13. Zusammengefasst nach: Kunsttheorie und Kunstgeschichte des 19. Jhdts. in Deutschland I, Stuttgart 1982, S. 148f.
  14. Fr. Th. Vischer, Overbecks Triumph der Religion zit. nach: Kunsttheorie, a.a.O., S. 157.

© Andreas Mertin, Marburg 1989