Kunstvoll predigen

Der Umgang mit Kunstwerken in homiletischer Perspektive

von Andreas Mertin

aus: Bilder und ihre Macht. Zum Verhältnis von Kunst und christlicher Religion.
Hrsg. von Horst Schwebel und Andreas Mertin. Stuttgart: Katholisches Bibelwerk, 1989, S. 212-231.

Einleitung

Kunstwerke gehören zu den eher seltenen Ausstattungsstücken der zeitgenössischen Prediger-Werkstatt. Zwar sind die Zeiten vorbei, in denen sich das Handwerkszeug des Predigers auf den Bibeltext und seine Exegese beschränkte, Rhetorik, Kommunikations- und Rezeptionswissenschaften sind verstärkt in die Überlegungen zur Predigt einbezogen worden. Aber Kunstwerke, seit der antiken Rhetorik über das christliche Mittelalter hinaus beliebter Gegenstand öffentlicher Rede, geraten eher zufällig in das Blickfeld des heutigen Predigers. Bilderreich, so betonen viele Predigtlehren, dürfe die Predigt schon sein, gedacht wird dabei allerdings eher an Sprachbilder, Gleichnisse und Metaphern. Gegenüber einem Einsatz von Kunstwerken in der Predigt herrscht eine verbreitete Skepsis: Dem sprachlichen Ausdruck wird eine Vorrangstellung gegenüber dem Bild eingeräumt, weil Sprache differenzierter als Bilder sei. Auch Anschaulichkeit sei eher durch die sprachliche Durchdringung der Sache selbst als durch Einsatz von Bildern zu gewinnen. "Der kreativen Freiheit des Predigers sollen keine künstlichen Grenzen gesetzt werden aber er muss sich fragen, ob er die Treffsicherheit der Bibel erreicht oder mit seinen Bildern die Sache nicht eher verwirrt und entstellt."[1] Darüber hinaus wird gefragt, wie denn die Struktur der Predigt als monologische Rede mit der Präsentation von Bildern verbunden werden könne.

Ob der allseits gängige Verzicht des Einsatzes von Kunstwerken im Predigtgeschehen eine Tugend oder eher eine Not ist, ob er reflektiert ist oder ob er nur einer verbreiteten Unsicherheit der Prediger gegenüber der modernen, aber auch der klassischen Kunst entspringt, ist schwer zu entscheiden. Es ist eines, wenn jemand in Kenntnis des Gegenstandes auf seinen Einsatz verzichtet, etwas anderes ist es, wenn die Zeitgenossenschaft der Kunst vom Prediger gar nicht wahr-genommen wird. Aufschluss über die Motive von Kunstwahrnehmung und Kunstabstinenz verspricht ein kleiner Gang durch die Geschichte der Predigt sowie die Lektüre einiger aktueller Predigtlehren.

Zur Predigtgeschichte

Antike und frühes Christentum

In der heidnische Antike und in der antiken Rhetorik war die Verwendung von Bildern und Kunstwerken in der öffentlichen Rede eine Selbstverständlichkeit. CICERO zeigt sich überzeugt, dass die Bilder mehr über das Gedächtnis vermögen als die Worte. Nach PLUTARCH hatte bereits im 5. Jh. v. Chr. der Grieche SIMONIDES die Malerei unter dem Aspekt der Mimesis als stumme Dichtung beschrieben. Empfohlen wird ihr Einsatz innerhalb der Rede zur Bekräftigung und Widerlegung. So lernten die Redner z.B., vor den römischen Tribunalen "ab und zu zu schweigen und mit eigens dafür gemalten Bildern die Affekte des Richters zu bewegen. Sie hielten dafür, 'dass ein stummes Bildnis mehr als eine Rede zu ihren Gunsten sprechen könne', wie QUINTILLIAN schreibt."[2]

Der christliche Einsatz von Kunstwerken in Gottesdienst und Predigt hat eine ebenso lange wie umstrittene Tradition. In den ersten beiden Jahrhunderten war der positive Umgang mit Kunstwerken kein Thema für die Christen und es war zweifelhaft, ob Künstler überhaupt Christen werden können, ihre Aufnahme unter die Taufbewerber ist schwierig. Auch als nach langer Zeit der Bilderlosigkeit in der Alten Kirche Bilder zugelassen wurden, um den Gläubigen wie auch den Heiden die Inhalte und die Geschichte des christlichen Glaubens nahezubringen, trat sofort Widerspruch gegen diese funktionale Indienstnahme der Kunst auf.

Erste Beispiele für die Bereitschaft, Kunstwerke in Predigt und Verkündigung einzusetzen, finden wir im ausgehenden 4. Jh. vor allem bei solchen christlichen Redner, die an der antiken Rhetorik geschult waren. "In der Nachfolge der heidnischen Autoren, die Kunst und Literatur in einen engen Zusammenhang gebracht hatten und denen die Ekphrasis dazu gedient hatte, ihre Wertschätzung der Kunstwerke zum Ausdruck zu bringen, setzten die in der klassischen Tradition geschulten christlichen Schriftsteller die literarische Würdigung nun der christlichen Kunst fort."[3] Beschränkte sich die Verwendung von Bildern zunächst auf ihre Beschreibung in christlicher Literatur, so ließ ihr Einsatz in der Predigt nicht lange auf sich warten.

So fordert BASILIUS VON CAESEREA in einer Predigt über Barlaam die Maler auf, das Martyrium mit Christus als Kampfrichter darzustellen, ja er will in einer Predigt über die 40 Märtyrer das Martyrium so schildern, 'als ob es gemalt sei'. GREGOR VON NYSSA schildert in der Predigt über den heiligen Theodor eine Martyriumsdarstellung mit Christus als Kampfrichter in menschlicher Gestalt. Und ASTERIUS VON AMASIA, ein bedeutender Kanzelredner, der Christusbilder allerdings ausdrücklich ablehnt, greift in einer Predigt über die heilige Euphemia zustimmend einen Bildzyklus auf.

ASTERIUS schildert, wie er nach der anstrengenden Lektüre eine Rede des Demosthenes Entspannung und Ruhe habe suchen wollen. Er sei über den Markt geschlendert und habe dann im Tempelbezirk in einem überdeckten Säulengang einen Bildzyklus über das Martyrium der heiligen Euphemia entdeckt. Er beschreibt den Zyklus und vergleicht ihn mit künstlerischen Leistungen der heidnischen Antike. Vermutet wird, dass es sich bei diesem Text um ein rein literarisches Werk handelt, dessen Ziel es war, die heidnischen Zuhörer für den christlichen Glauben einzunehmen. Asterios' Methode bestand demnach darin, dem Kunstverständnis und dem Bildungsgrad seiner Zuhörer möglichst entgegenzukommen und demgegenüber das eigentlich Christliche zurücktreten zu lassen. Er wirbt für bestimmte christliche Tugenden, die aber auch ein Heide durchaus anerkennen konnte. Eine der ersten Bildpredigten der Kirchengeschichte ist also eine Missionspredigt, bestimmt durch die Regeln der antiken Rhetorik. "Den Gedanken, durch eine Bildbeschreibung gebildete Heiden dem Christentum näher zu bringen, scheint nach unserer Überlieferung nur Asterios gefasst zu haben. Insofern gebührt dieser kleinen Schrift innerhalb der antiken christlichen Literatur ein besonderer Platz."[4]

Entgegen einer verbreiteten Meinung wenden sich die ersten christlichen Bilder nicht an das Volk, sondern an Gebildete. "Die Gebildeten gingen damals mit denselben Erwartungen in die Kirche wie in den Hörsaal des Sophisten: sie wollten sich einen Ohrenschmaus verschaffen, ein Stündchen angenehmer Unterhaltung, und viele Prediger waren ihnen darin allzu willfährig".[5] Der Einfluss der antiken Rhetorik verändert unversehens den Rahmen des Gottesdienstes: aus der Kirche wird ein Theater.[6] Aber obwohl sich die christlichen Redner der Regeln der antiken Rhetorik bedienen, modifizieren sie zugleich durch ihren christlichen Glauben die allgemeine Kunstauffassung. "Das neue christliche Lebensideal verändert zunächst nicht die äußeren Formen, sondern die soziale Funktion der Kunst. Für die klassische Antike hatte das Kunstwerk vor allem einen ästhetischen, für das Christentum einen außerästhetischen Sinn ... Die Kunst wäre nach der Auffassung des frühen Mittelalters vollkommen überflüssig, wenn jedermann lesen und abstrakten Gedankengängen folgen könnte sie ist am Anfang nur ein Zugeständnis, das man der unwissenden, durch den sinnlichen Eindruck leicht beeinflußbaren Menge macht."[7] Diese Einstellung sollte die Einstellung der christlichen Kirche in den nächsten Jahrhunderten prägen.

Mittelalter

Zum literarischen Topos hatte Papst GREGOR DER GROSSE (540-604) diese Erkenntnis gemacht. Auf ihn geht die Bezeichnung laicorum litteratura zurück. Als sich die Kirche verstärkt Rechenschaft über den Umgang mit Kunst geben musste, schrieb er im Oktober des Jahres 600 an den Bischof SERENUS VON MARSEILLE, der gerade Heiligenbilder hatte zerstören lassen: "Was denen, die lesen können, die Bibel, das gewährt den Laien das Bild beim Anschauen, die als Unwissende in ihm sehen, was sie befolgen wollen, in ihm lesen, obwohl sie die Buchstaben nicht kennen weshalb denn vorzüglich für das Volk das Bild als Lektion dient"[8]. Das Interesse, gegenüber Kritikern die inzwischen etablierte Kunst zu verteidigen, ist unverkennbar. Kunst hat nicht die Funktion, die Worte der Prediger zu ersetzen, vielmehr wird ihr eine Funktion als Medium der Verstärkung des Wortes zugewiesen. Während Gebildete allein der Schrift folgen können, bedarf das Volk der Kunst als Medium zur Veranschaulichung der Predigt.

In Byzanz blieb es nicht beim bloßen Verweis auf die didaktischen Möglichkeiten der Kunstwerke. Die Fragen, die im byzantinischen Bilderstreit diskutiert wurden, gingen weit darüber hinaus. So wurde auf der bilderfreundlichen Synode von Nizäa 787 die abendländische Sprachregelung von den litterae laicorum, die Papst Hadrian brieflich vorgebracht hatte, als zu schwach erachtet und deshalb im Vortrag vor der Synode gefälscht.[9] Auf ihr standen andere Fragen im Vordergrund. Kann Kunst Verkündigungsaufgaben übernehmen? Leugnet derjenige, der Ikonen ablehnt, nicht auch die Inkarnation Christi? Die Argumente, die von den Verteidigern der Bilder vorgebracht wurden betrafen didaktische, philosophische und dogmatische Fragen. In didaktischer Hinsicht argumentierten die Bilderfreunde mit deren Nützlichkeit nicht nur für die Armen, sondern für alle. Die Wirkkraft des Bildes übertreffe die des Wortes bei weitem.[10] Das Evangelium müsse daher durch Buchstaben und Gemälde erzählt werden. Philosophisch ging es um die Beziehung zwischen Urbild und Abbild.

JOHANNES VON DAMASKUS und THEODOROS VON STUDION einte die Überzeugung, dass die Welt als eine Abfolge von Bildern gedeutet werden könne. An der Spitze stehe Christus, der das Abbild Gottes sei. Ihm folgten die Vorbilder der wirklichen Dinge, dann die Menschen, ferner die Heilige Schrift und schließlich die Bilder der Maler. Dabei entlasse die höhere Stufe notwendig die niedere. Die Gemälde konnten so mit Notwendigkeit aus dem natürlichen Abbild Gottes in Christus abgeleitet werden. Dogmatisch ging es um die Verbindung von Inkarnation und Christusbild. Die Inkarnation ermöglicht die bildliche Darstellung, denn wer nicht gemalt werden könne, der sei auch kein Mensch. Daraus folgert THEODOROS VON STUDION, wer das Bild Christi verwerfe, verwerfe auch seine Inkarnation. So wird die Bilderfrage eng mit der Inkarnation verbunden und zugleich wird den religiösen Bildern ein Anteil an der Göttlichkeit des Urbildes gesichert. Das Bild wird so ein unverzichtbarer Bestandteil des Christentums.

Auf dem 2. Konzil von Nizäa 787 war beschlossen worden, dass den Bildern die Verehrung zukomme, während die Anbetung allein Gott vorbehalten bleibe. Die Libri Carolini verwiesen im Gegenzug darauf, dass Kunstwerke von sich aus keine religiöse Funktion aufweisen, sondern ihnen allenfalls eine solche zugewiesen werden könne. Zwar gebe es zahlreiche instrumenta religiones christianae, aber die Bilder zählten nicht dazu, ihnen fehle die biblische Legitimation. Die Libri Carolini wenden sich explizit gegen den Vergleich von Bildern und Heiliger Schrift. Bilder könnten nicht einmal ansatzweise die Vielfalt der theologischen Aussagen der Heiligen Schrift darstellen. Das Bild sei nicht eindeutig in Bezug auf seinen Inhalt, dies leiste erst der Bildtitel, die superscriptio. Aus Sicht der Libri Carolini dienen Bilder in einer Predigt allenfalls als Gedächtnisstütze. Das zeigt die Differenz zwischen der fränkischen und der päpstlichen Theologie. Während letztere betont, dass das Wort der anschaulichen und sinnlichen Momente des Kunstwerks bedürfe, hob die fränkische Theologie dagegen eher den erzieherischen Aspekt der Kunstwerke hervor, die auf die dargestellten Personen und Ereignisse verweisen.

Im späten Mittelalter herrschte ein ungebrochener Gebrauch der Bilder zu didaktischen Zwecken vor. Die funktionale Verwendung der Bilder, ihr Gebrauch im Sinne der laicorum litteratura, war selbstverständlich geworden. Darüber hinausgehende Ansprüche wurden jedoch abgewiesen byzantinische Bildspekulationen lagen der westlichen Theologie fern. Sie verortete die Funktion der Kunst ganz in der theologischen Pädagogik. Selbst BERNHARD VON CLAIRVAUX, der dem Einsatz von prunkvoller Kunst in den Klöstern - und damit für Mönche - skeptisch gegenüberstand, rechtfertigte ihren Gebrauch in und an den Kathedralen zur Unterweisung des Volkes.[11]

Im 13. Jahrhundert entsteht die Armenbibel, biblia pauperum[12] genannt. Verstanden werden darunter zum Teil bebilderte Schriften, denen der Bezug auf die Bibel gemeinsam ist. Das Wort 'pauperum' mag dazu verführen, hier an illustrierte Bibelausgaben zu denken, aber die bibliae pauperum sind allenfalls mittelbar didaktisches Lehrmittel für die Armen. Vielmehr deutet alles darauf hin, dass die Schriften, die wir unter der Bezeichnung 'Armenbibel' kennen, als Arbeitsunterlagen und Hilfsmittel für Prediger gedacht waren.[13] Hier lernten sie, verständlich und anschaulich zu predigen, Predigttexte auf merkfähige Sentenzen und Bilder zusammenzufassen und vor allem den Zusammenhang von Altem und Neuem Testament zu erkennen. Daher sind jeweils der Darstellung eines neutestamentlichen Ereignisses vier Prophetenbilder und zwei szenische Darstellungen von Begebenheiten des Alten Testaments zugeordnet. Entstanden waren die bibliae pauperum als Reaktion auf die Bewegung der Katharer, die sich als Pauperes Christi bezeichneten. Während die Katharer das Alte Testament einer harschen Kritik unterzogen, verwiesen die bibliae pauperum auf die Kontinuität des Heilshandelns Gottes innerhalb der Bibel. Die Inhalte wurden der kartharischen Lehre genau entgegengesetzt. Die Bildpredigt erwies ihre Verfechter als die veri pauperes Christi, die wahren Armen Christi.

Die Verwendung von Bildern für die Predigt im Sinne der litterae laicorum wird gemeinhin für die Freskenzyklen spätmittelalterlicher Kirchen geltend gemacht. Als Beispiel kann etwa Santa Croce in Florenz dienen. Während heute im wesentlichen nur noch die Fresken der Chorwand erhalten sind, war ursprünglich die gesamte Kirche, insbesondere das Langhaus mit Bildzyklen ausgestattet. In diesem Zusammenhang verbreitet ist die Vorstellung einer besonderen Bedeutung der Bilder in der Pädagogik der Bettelorden. "Die Franziskaner begnügten sich nicht allein mit dem Messopfer, dem Spenden der Sakramente, dem Segen und anderen Ritualen, sie waren bedacht, den Sinn des Evangeliums dem Volke zu verdeutlichen. Dazu wurde die Predigt fester Bestandteil des Gottesdienstes, und dazu dienten die Bildzyklen, die das gesprochene Wort unterstützen, indem sie das Heilsgeschehen und das Leben ihres Ordensstifters nicht nur zeichenhaft präsentierten, sondern anschaulich und ausführlich erzählten."[14] Ob die Fresken diese Funktion wirklich ausübten und vor allem, ob sie dafür geschaffen wurden, dürfte in Frage zu stellen sein. Hier scheint es sich eher um eine apologetische Argumentation als um eine gesicherte und historisch belegbare Aufgabenstellung zu handeln. Die Fresken in den Chorkapellen waren dem Volk kaum zugänglich und für die Predigt wohl auch unnütz, weil nicht einsichtig. Sie befriedigten eher den Prunkwillen ihrer reichen Stifter und deren Wunsch, verewigt zu werden, als dass sie im Rahmen von Predigt und Verkündigung eingesetzt wurden. Auch die noch verbliebenen Fresken im Langhaus deuten kaum auf eine Indienstnahme für die Verkündigung der Heiligen Schrift.

Etwas anders ist die Situation in der Collegiata Santa Maria Assunta in San Gimignano. Hier findet sich im rechten Seitenschiff ein reich ausgestatteter Freskenzyklus von BARNA VON SIENA mit Szenen aus dem Neuen Testament, insbesondere aus dem Leben Jesu, angefangen mit der Verkündigung bis zum Pfingstwunder. Korrespondierend hat BARTOLO DI FREDI im linken Seitenschiff einen Freskenzyklus mit Szenen gemalt, die die alttestamentliche Geschichte ausgehend von der Schöpfung der Welt bis zum Buch Hiob darstellen. Bei dieser Auswahl der Fresken und vor allem aufgrund ihrer Platzierung ist es zumindest denkbar, dass die Bilder in die Predigt einbezogen wurden und auch dafür gedacht waren.

Reformation

In Deutschland erlebt die Kunst zwischen 1480 und 1530 eine ungeahnte Blüte, wozu auch zahlreiche Aufträge für Stiftungsaltäre beitrugen. Die Hoffnung, sich durch Stiftung, Verehrung und Pflege der Bilder, durch Wallfahrten zu besonders berühmten Bildern einen geistlichen Verdienst, Ablass und Sühne zu erwerben zu können, bestimmte die Frömmigkeitspraxis. Die Überzeugung, dass die Bilder Träger heiliger Kräfte seien, wurde allgemein geteilt und von den Besitzern der Bilder gefördert. An diesem Umgang mit Bildern hat sich nicht nur die Kritik der Reformatoren entzündet. Alle "häretischen Bewegungen des Mittelalters waren im Grunde ikonoklastisch eingestellt. Sowohl die Albigenser und die Waldenser wie die Lollarden und die Hussiten verurteilten die Profanisierung des Glaubens durch den Glanz der Kunst."[15]

Auch die Reformatoren mussten ihr Verhältnis zur Bilderkultur klären. KARLSTADT eröffnete die Debatte im Zusammenhang des Wittenberger Bildersturms mit seiner Schrift "Von Abtuhung der Bilder". Er will, dass die Bilder abgeschafft werden, weil sie Ärgernis bieten und zum Mißbrauch verführen. Die Bilder, nicht Gott würden in den Kirchen geehrt und angebetet. Ein Bild vor Augen haben, heißt es anzubeten. Aber "got wil eyn gantz vn voll hertz inhabe, und magk in keinem weeg leyden, das ich eyn bildnis vor meinen ougen hab."[16] Auch als Bücher der Laien sind die Bilder nicht zu gebrauchen. Sie sind stumm, lehren nichts und nützen niemand.[17] LUTHER reagiert mit seinen Invokavit-Predigten, in denen er den Gebrauch der Bilder freigab. Seine Haltung zu Bilder in der Predigt kann als funktionale Indienstnahme charakterisiert werden. CALVIN hat sich in seiner Glaubenslehre ausführlich mit dem Problem der Verwendung von Bildern im Gottesdienst auseinandergesetzt und dabei eine skeptische Haltung eingenommen. Ihm lag eine gegenüber LUTHER veränderte Fragestellung vor. Es ging nicht mehr darum, ob Bilder aus den Kirchen entfernt werden dürfen, sondern darum, ob die Kirchen leer bleiben oder mit anderen Bildern gefüllt werden können. Dabei kommt CALVIN auch auf Bilder in Gottesdienst und Verkündigung zu sprechen. Er führt aus, dass 1. die Heilige Schrift keine derartige Bilder kenne oder rechtfertige, 2. auch die frühen Kirchenväter derartiges entschieden abgelehnt hätten und 3. ein Blick in die Praxis der katholischen Kirche zeige, dass die Bilder in den Kirchen zur Erziehung der Analphabeten gänzlich ungeeignet seien. Und er fährt fort: "Wenn die Vorsteher der Kirche den Bildern das Lehramt übertragen haben, so geschah das aus keinem anderen Grund, als weil sie selber - stumm waren! Paulus bezeugt, dass durch die wahre Predigt des Evangeliums Christus abgemalt, ja sozusagen vor unseren Augen gekreuzigt wird! (Gal. 3,1)" Und an anderer Stelle: "Wer recht belehrt werden will, muss anderswo als bei den Bildern lernen, was man von Gott wissen muß."[18] Das Problem des Umgangs mit Kunstwerken im Gottesdienst war in der Reformation nur bewusst geworden, aber es war nicht gelungen, gemeinsam eine verbindliche Lösung zu finden. In der Folge trennen sich die Wege zwischen reformierter und lutherischer Theologie. Die Reformierten verzichten auf Kunst im Gottesdienst, die Lutheraner zeigen eine ambivalente Haltung.

Pietismus und Aufklärung

Für die Predigt des Pietismus ist charakteristisch, "dass sie die großen Fragen der Zeit, wie sie sich aus der Begegnung des Christentums mit der Philosophie, der Naturwissenschaft, der Dichtung und Kunst, aber auch der Politik ergeben, nur undeutlich und ungenügend erkennt". Dagegen versucht die Predigt der Aufklärung der Tatsache Rechnung zu tragen, dass auch die Bezirke der Kultur in den Bereich der Verkündigung hineingehören.[19] SCHLEIERMACHER hat zwar die Praktische Theologie Kunstlehre genannt, aber der unterhaltenden Funktion der Predigt eine Absage erteilt: Ist die Predigt "auch zu betrachten als ein Kunstwerk in diesem Sinn, dass sie auch Wohlgefallen erregen will durch die Darstellung? ... Dies werden wir wohl auf Null reduzieren müssen".[20] Doch bereits 1841 monierte SCHENK, es gäbe "so große Freunde des Bilderwesens, dass sie das Bild über welches sie sprechen wollten, abmalen und an die Kanzel hängen ließen. So tief war also der Geschmack im Predigen gesunken."[21] Aber bei aller liberalen Öffnung zur Kultur, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts abzeichnete, blieb das Spektrum der Kunst, das dabei in den Blick kam, eng begrenzt. ACHELIS will nur evangelisch-kirchliche und unanstößige Bilder zulassen, weil die Gemeinde in den Bildern nicht Kunstgenuss und Erweiterung ihres Kunstverständnisses suche, sondern lediglich eine religiöse Wirkung ihr längst bekannter Werke.[22]

20. Jahrhundert

Der große Umbruch in der Beurteilung der Kultur für Theologie und Verkündigung kommt mit der Dialektischen Theologie. Sie betont die Differenz zwischen Kultur und Glauben und zeichnet sich durch die (theoretische) Nichtbeachtung all dessen aus, was bisher als 'Predigtkunst' erarbeitet worden war. Im Gefolge der Dialektischen Theologie war der Einsatz weltlicher Mittel als Medien der Verkündigung fraglich geworden. In dieser Kontinuität steht auch noch der Beschluss des Moderamens aus dem Jahr 1954, der der Kunst in der Verkündigung eine deutliche Absage erteilt.[23]

Zur aktuellen Predigttheorie

Im Folgenden soll ein Überblick gewonnen werden, wie heutige Predigtlehren mit Bildern umgehen, wo sie an die geschilderten kirchlichen Traditionen anknüpfen bzw. neue Gesichtspunkte in die Diskussion einbringen. Ein grober Überblick zeigt, dass in der Mehrzahl der Predigtlehren der Gegenwart Kunstwerke und Bilder keine Rolle spielen. Taucht das Stichwort 'Bild' einmal auf, so folgen in der Regel Ausführungen zum Sprachbild, zur Metapher, zur narrativen Predigt, oftmals verbunden mit dem Appell zu mehr Anschaulichkeit. Die Möglichkeit einer Bilderpredigt erörtern die wenigsten Predigtlehren, hier herrscht auch eine verbreitete Skepsis. Auf der anderen Seite gibt es zur Zeit eine Fülle von Aufsätzen, die den Gottesdienst bzw. die Predigt selbst als ästhetisches Ereignis interpretieren.[24] So mehren sich, oft abseits der akademischen Predigtlehren, die Versuche, Kunst in Gottesdienst und Predigt einzubeziehen. Und auch außerhalb der Kirchenmauern wird über die Begegnung von Kunst und Predigt nachgedacht, etwa wenn Museen vor Kunstwerken der Moderne Gottesdienste veranstalten.

Anschaulichkeit

Die Empfehlung, die viele Predigtlehren dem Prediger auf seinen Weg geben, heißt Anschaulichkeit. Die Verwendung eines guten Bildwortes, das anschauliche Gleichnis, nicht übertrieben, aber doch an der rechten Stelle eingesetzt, charakterisiert die gute Predigt. "Dies kann so geschehen, dass ein Bild gezeichnet oder gemalt wird, das das innere Auge des Hörers zum Anschauen einlädt."[25] Manchmal entsteht allerdings der Eindruck, dass heute die Anschaulichkeit mit den gleichen Argumenten gefordert wird, die früher für die Bilder als laicorum litteratura eingesetzt wurden: "Abstraktes, rational-logisches Denken ist für das Gros unserer Predigthörer schwer nachvollziehbar. Sie denken überwiegend visuell, anschaulich, mit gesundem Menschenverstand, in bildhaften Vorstellungen."[26] Konsequenzen im Blick auf einen Einsatz von Kunstwerken, sei es in der Meditation, sei es direkt in der Predigt, werden jedoch nur selten gezogen. TRILLHAAS meint, man müsse eine Grenze zwischen anschaulicher und bildhafter Predigt ziehen. Er meint, anschaulich dürfe die Predigt zwar sein, bildlich nicht.[27]

Meditation

Sofern überhaupt werden Bilder im Rahmen der Meditation thematisiert. BOHREN hat in seiner Predigtlehre einen Abschnitt dem Verhältnis von "Moderne(r) Kunst und Meditation" gewidmet. Er bezeichnet moderne Kunst als "Aufforderung zum Mitschaffen in der Meditation". Zu lernen sei an der modernen Kunst das rechte Verständnis von Verständlichkeit und die rechte Meditation. Originell ist der Vorschlag, den die Autoren der Studie "Die Kompetenz des Predigers" machen. Sie empfehlen, die bildliche Ausdruckskraft biblischer Text in der Meditation selbst malerisch auszuprobieren.[28] Es gibt jedoch Indizien dafür, dass seitens der Pfarrerschaft ein Bedürfnis nach Bilderpredigten existiert. Zwar gibt es keine empirische Untersuchung über den Umgang mit Kunstwerken in der Verkündigung, aber aus anderen Studien lassen sich Schlüsse ziehen. So geht aus einer Befragung, die die PREDIGTSTUDIEN 1975 unter ihren Lesern durchführten, hervor, dass Pfarrer gerne Predigthilfen für andere Formen der Verkündigung angeboten bekämen: Recht häufig werden Angebot und kritische Kommentierung sog. visueller Mittel und Denkhilfen gefordert, d.h. Bilder, Dias und Filme.[29]

Bilderpredigt

Zur Bilderpredigt finden sich nur in wenigen Predigtlehren Äußerungen, geschweige denn Hinweise und Beispiele. Es scheint, als gelte im Werkstattprozess der Prediger immer noch die abstrakte Gegenüberstellung von Wort und Bild. STOLLBERG plädiert deshalb dafür, dass, "wie die modernen Kirchen Diakonie und Predigt nicht mehr trennen wollen, ... sie auch nicht Eucharistie und Predigt, Bild und Wort, Form und Inhalt, Sinnlichkeit und Geist, Lust und Glauben auseinanderdividieren" sollten.[30] Am häufigsten noch findet sich der Hinweis auf Kunstwerke, die sich bereits im Kirchenraum befinden, wie Kreuz, Altarbild oder Glasfenster. Bevorzugt werden biblische Motive vorgeschlagen. Hier gilt noch die kirchliche Tradition, die ausschließlich religiös akzeptable Bilder zulassen wollte. Aber es gibt auch positive Beispiele für die Öffnung zur modernen Kunst. Die ZEITSCHRIFT FÜR GOTTESDIENST UND PREDIGT bringt regelmäßig Bildmeditationen für den Gottesdienst. Bilderschließungen explizit für die Predigt hat KRATZ in Zusammenarbeit mit Kunstsachverständigen, Theologen, Laien und Publizisten herausgegeben. In einem Materialheft zu ausgewählten Perikopen werden Kunstwerk und Bibeltext aufeinander bezogen, der Prediger erhält Informationen zu Künstler, Bild und Text. Dabei wird nicht nur auf traditionelle Kunst zurückgegriffen, auch junge KünstlerInnen kommen zum Zuge. Der Vorteil der Begegnung mit moderner Kunst wird so beschrieben: "Ein gutes Bild zur Predigt ist ein Glücksfall: Es hilft, den Predigttext zu verstehen, ohne ihn auf eine einzige Deutung festzulegen. Es ersetzt nicht, aber es ergänzt unser Denken in Begriffen. Es prägt sich tief ein und bewegt die Phantasie. Wenn das Bild gut ist, illustriert es nicht nur schon Verstandes, sondern eröffnet eine neue Perspektive."[31]

Ästhetik und Theologie

RUDOLF BOHREN hat sich in seiner Predigtlehre intensiv mit moderner Kunst, insbesondere aber mit moderner Literatur auseinandergesetzt. Manches, was BOHREN in seiner Predigtlehre zum Verhältnis von Predigt und Lyrik sagt, könnte auf die moderne Malerei übertragen werden.[32] Auch RAINER VOLP hat sich mehrfach mit dem Einsatz bildender Künste in der Verkündigung beschäftigt. Für ihn ist das (semiotisch verstandene) Bild eine Grundkategorie der Theologie. Er setzt an bei der Kunst als Sprache der Religion, denn "in dem Maße, in dem sich die Welt durch Bilder konstituiert, gehören Bilder konstitutiv zur Sprache und Kommunikation auch der Kirche". So sei die religiöse Erfahrung "im Bild eher als im Begriff zu übermitteln."[33] Der Umgang mit Bilder initiiere das Wortsymbol. Nicht nur die moderne Kunst wird so als Bildtext lesbar, als Text, der immer wieder neue Bedeutung produziert.

Positive Gründe

Positive Gründe, sich mit moderner Kunst auseinanderzusetzen, werden in der Predigt-Literatur verschiedene genannt. Einer ist die Steigerung der Attraktivität des Gottesdienstes. Andere sehen in der Konfrontation mit Kunstwerken eine Bereicherung der Verkündigung. In einem verwandten Kontext stehen die erwähnten Versuche, den ästhetischen Momenten des Gottesdienstes nachzugehen. So wird zum einen der Gottesdienst unter dem Aspekt seiner dramatischen und dramaturgischen Inszenierung betrachtet und zum anderen werden die der Predigt immanenten ästhetischen und unterhaltenden Momente gewürdigt. Das könnte den Weg ebnen zu einem nicht nur instrumentellen Umgang mit moderner Kunst in der Verkündigung.

Probleme

Die Probleme, die beim Umgang mit Kunst auftauchen, werden in der Predigtliteratur nicht verschwiegen. Da ist zum einen das Problem der Funktionalisierung der Künste. BOHREN hat das mit Blick auf die Dichtung so beschrieben: "Weil ich meine Predigt nicht schreibe, um ein Schriftsteller zu werden, weil ich schreibe, um zu sagen, kann ich die Dichtung nur inkonsequent heranziehen, dilettantisch wiederum, d.h. der Freude, dem Ergötzen dienend, ihre Texte als Gebrauchstexte nehmend."[34] Das ist der Konflikt zwischen heteronomer Zielsetzung und autonomer Kunst, da der Predigt ein eindeutiges Predigtziel vorgegeben ist und das Kunstwerk sich hier einfügen muss. Ein anderes Problem besteht im Standpunkt, von dem aus Kunstwerke eingesetzt werden. Immer noch durchgeistert der Hinweis auf die Bilderfreundlichkeit des Volkes die theologische Literatur. Wenn beispielsweise VOLP meint, es müsse "im Interesse des ohnmächtigen Volkes dem Bild im Gegensatz zum Begriff ein hervorragender Platz eingeräumt werden"[35], oder wenn FUNKE schreibt "abstraktes, rational-logisches Denken ist für das Gros unserer Predigthörer schwer nachvollziehbar. Sie denken überwiegend visuell, anschaulich, mit gesundem Menschenverstand, in bildhaften Vorstellungen"[36], dann ist darin unschwer ein Rekurs auf den mittelalterlichen litterae-laicorum-Gedanken zu erkennen.

So bestätigt sich, was UMBERTO ECO als Analogie von Mittelalter und Jetztzeit beschreibt: "In beiden Epochen räsoniert die Bildungselite anhand der geschriebenen Texte mit buchgläubiger Mentalität, aber dann übersetzt sie die essentiellen Daten des Wissens und die Grundstrukturen der herrschenden Ideologie in Bilder."[37]

Wort und Bild

Ein Kernproblem ist und bleibt das Verhältnis von Wort und Bild. BAHR meint, dass bei der Verwendung der Künste im Gottesdienst der Unterschied zwischen der Wortverkündigung und den Bildern verwischt werde. Prononciert stellt er den Vorrang des Wortes in der gottesdienstlichen Verkündigung fest: "Im Prozess der Verkündigung (sensu strictu) haben Wort und Sakrament exklusive Alleingeltung."[38] SCHWEBEL nimmt dagegen eine vermittelnde Position ein. Zwar schließt auch er den Einsatz der gegenstandsfreien Kunst im Rahmen der worthaften Verkündigung aus und spricht dem Wort das Primat zu[39], aber die Kunst sei "in der Lage, das eschatologische Mehr, das sich dem Sagbaren, auch dem christlich Sagbaren entzieht, hörbar und fühlbar zu machen. Das Neue Sein ist als Gegenwärtiges erfahrbar, wenn auch nur bruchstückhaft ... Das gegenstandsfreie Bild braucht nicht durch Titelgebung verchristlicht zu werden, als Träger des eschatologischen Mehr hat es seinen Sinn in sich selbst ... Man wird in Zukunft die Kunst in ihrer Autonomie respektieren und nach ihr selbst als Kunst fragen müssen. Nicht mehr sollte man sie zurück nach 'Ägypten' schicken und sie auf eine Aussageform hin ansprechen, die sie längst abgelegt hat."[40]

Zusammenfassung

Predigtgeschichte

Der Gang durch die Predigtgeschichte hat gezeigt, dass Kunstwerke in der Predigt eine 1600-jährige Tradition haben. In dieser Zeit sind die Vor- und Nachteile und die Gründe für oder gegen die Bilder intensiv mit Argumenten diskutiert worden, die auch den heutigen Prediger interessieren müssen. An wen wendet sich Kunst? Welchen Zwecken soll sie in der Predigt dienen? Wie verhalten sich die Predigthörer, gerade auch im Blick auf das Predigtziel? In welchem Verhältnis stehen Gottesdienst und Predigt zur allgemeinen Kultur? Wendet sich die Kunst-Predigt an die Gebildeten (so ASTERIOS, die Predigt der Aufklärung und des Kulturprotestantismus) oder ist sie vermittelndes Medium für die Armen im Geiste (so GREGOR DER GROSSE und - mit Bezug auf ihn - weitgehend die abendländischen Tradition)? Auch ein Prediger der Gegenwart müsste bedenken, dass der kulturell ambitionierte Umgang mit Kunstwerken stark schichtenspezifisch geprägt ist. Das traditionelle Argument der pädagogischen Wirkung der Bilder muss deshalb unter dem Aspekt neu bedacht werden, ob es nicht auf der ästhetischen Einschüchterung der im Umgang mit Kunst Ungeübten beruht. Dazu gehört auch die Frage an den Prediger, ob er Kunstwerke zur Veranschaulichung des im Text Ausgesagten oder zur Versinnlichung des vermeintlich unsinnlichen Wortes einsetzt. Darüber hinaus gilt es, die unermüdlichen Hinweise der Bildkritiker in der Kirchengeschichte auf das reale Rezeptionsverhalten der Betrachter zu beachten. Sie verweisen darauf, dass noch jedes religiöse Bild, das in den christlichen Ritus integriert wurde, in der Gefahr des Mißbrauchs als Kultbild stand und damit gegen das 2. Gebot verstößt. Vielleicht ist es daher angebracht - ganz im Sinne CALVINs - auf eine religiöse Thematik der Bilder zu verzichten, auch deshalb, weil die Autonomie der Künste eine solche inhaltliche Fremdbestimmung unerträglich macht.

Predigt-Literatur

Der Einblick in die Predigt-Literatur hat gezeigt, dass die Predigttheorie gegenüber der modernen Kunst zwischen Skepsis, naivem Funktionalismus und vorsichtiger Öffnung schwankt. Der Einsatz der bildenden Künste ist auf die Steigerung der Anschaulichkeit der Predigt beschränkt. Dem widerspricht jedoch in den bildenden Künsten der Drang zur Befreiung von allen Zwängen, insbesondere von der verbalen Bevormundung. Ein Prediger, der Kunstwerke in der Predigt einsetzt, wird sich deshalb weniger fragen müssen, warum er Kunst einsetzt, sondern vielmehr, ob er die Kunst nicht für kunstfremde Zwecke mißbraucht.[41] Durch ihre klare Zielsetzung stellt sich die Frage des Mißbrauchs im Blick auf die Predigt verschärft. Der Prediger, der Kunst in der Predigt einsetzen will, muss den schmalen Weg zwischen den Gefahren einer natürlichen Theologie und der ikonoklastischen Instrumentalisierung der Künste gehen, den Weg der Verbindung der Verkündigung des Wortes Gottes mit dem Schauen auf die in den Künsten zum Ausdruck kommende menschliche Erfahrung. Nicht akzeptabel scheint mir die in der Predigt-Literatur verbreitete Warnung vor dem Genuss, vor der zu schönen, zu ästhetischen Predigt zu sein, hier waltet ein der frohen Botschaft unangemessener Ernst. Mit Sicherheit gehört die moderne Kunst in die Meditation des Predigers, wie einige Predigtlehren zu Recht betonen. Hier ist der Stellenwert der Künste stark unterschätzt worden. Es gilt, künftig die 'Zeitgenossenschaft' der Kunst genauer und sensibler wahrzunehmen.

Resümee

Auch wenn vor dem Einsatz von Kunstwerken in der Predigt Fragezeichen stehen (so etwa die berechtigte Frage nach der ästhetischen Kompetenz des Predigers: eine Zeitung kann jeder Prediger lesen, kann er jedoch auch mit einem Kunstwerk umgehen? Setzt die Entwicklung der modernen Kunst nicht eine genaue Kenntnis der Stilentwicklungen und der Kunstszene voraus?), gibt es genügend Gründe, sich der modernen Kunst in der Predigt zu nähern. Was jedoch fehlt, ist eine ästhetische Predigtlehre, eine, die "kunstvoll predigen" lehrt und zugleich der Grenzen eingedenk ist, die das biblische Bilderverbot dem Einsatz von Kunstwerken in Gottesdienst und Predigt setzt. Zu diesen Grenzen gehört die Erkenntnis, dass die Kunstwerke selbst nicht predigen. Sie können nichts Essentielles von Gott und Christus aussagen[42]. Im Gegensatz zur narrativen Theologie, die die Erzählung, das Sprachbild und die Anschaulichkeit als konstitutiv und notwendig für die Theologie und für die Praxis des christlichen Glaubens ausweist, gibt es solche Zusammenhänge für die bildende Kunst nicht. Das Bild im Sinne des Kunstwerks ist keine Grundkategorie der Theologie.

Das wird besonders deutlich, wenn Prediger autonome Kunstwerke zur Illustration theologischer Gedanken verwenden. Lieber sollte man auf den Einsatz von Kunstwerken in Gottesdienst und Predigt verzichten, als dass man aus ihnen nur erhebt, was man auch ohne sie sagen wollte und gesagt hätte. Wer von einem modernen Frauenbild mit Kind auf christliche Liebe zu sprechen kommt, mißbraucht das Bild und erweist sich selbst als Ikonoklast, es sei denn, er meint, das Kunstwerk werde von sich aus schon sagen, was der Prediger auszusprechen vergaß. Das Bild ist kein Bedeutungsträger im Sinne eines vorgegebenen Textes, der nur darauf wartet auf der Suche nach Transzendenz entdeckt und dann entziffert, gelesen und gedeutet zu werden.

Viele der Einsichten, die die philosophische Ästhetik zum Künstler, zum Kunstwerk und zum Rezipienten erarbeitet hat, lassen sich auch für die Verkündigung fruchtbar machen. Was das Bild leisten kann, wäre z.B. Aufklärung über den Zustand der Welt. Nicht in der Art und Weise, wie eine Zeitung etwas von der Welt berichtet oder wie das Medium Fernsehen Bilder aus der ganzen Welt präsentiert, eher so, dass in ihr etwas von der Befindlichkeit des Menschen zum Ausdruck kommt: seine Bedürfnisse, seine Ängste. Auch hier darf nicht an realistische Abbildungen gedacht werden. Auch das 'informelle' Bild verrät viel von der Zerrissenheit der Lebenswelt, viele Bilder der Gegenwart lassen einen unmittelbares Bedürfnis nach Sinnstiftung erkennen, Anselm Kiefers Werke prüfen das Nachleben des Mythos in einer nachmythischen Zeit. Das Leben, Denken und Fühlen an den Randzonen der Gesellschaft, an der Peripherie der Kultur kommt in der modernen Kunst erkennbar und nicht selten stellvertretend für die Gesellschaft zum Ausdruck.

Eine andere Leistung der modernen Kunst ist die Erfahrung des Sehens als Befreiung vom Sprechen, aber auch zum Sprechen.[43] Der Logozentrismus europäischer Theologie bedarf ständiger Infragestellung und kritischer Durchbrechung. In direktem Zusammenhang damit steht die Sensibilisierung der Wahrnehmung. 'Wahrnehmen und Annehmen' lässt sich auch an und mit der modernen Kunst lernen, vor allem auch der Verzicht auf die eine Deutung und Beurteilung, die Öffnung für eine Pluralität der Wahrnehmungsformen.[44] Auch dass Predigttexte wie Kunstwerke nicht immer nur affirmativ verstanden werden wollen, dass sie darüber hinaus ständig neue (Be)Deutungen hervorbringen, lässt sich mit der modernen Kunst lernen. Werke der modernen Kunst sind Teil der Lebenswelt, sie geben Auskunft über die Welt, oftmals vielleicht sensibler als andere Medien oder auch kulturelle Produktionen der Menschen. Insofern passt, wenn die Bibel in der einen Hand des Predigers ist, statt der Zeitung auch mal ein Kunstwerk in die andere.

Anmerkungen

  1. Vgl. H. M. Müller, Art. Homiletik in TRE, Bd. 15. S. 526 ff., hier S. 560.
  2. S. Settis, Ikonographie der italienischen Kunst 1100-1500 in: Italienische Kunst. Eine neue Sicht auf ihre Geschichte. 2 Bde. Berlin 1987. Bd. 2, S. 9-105, hier S. 16.
  3. G. Downey, Art. Ekprhasis, RAC 4 (1959), Sp. 921/44.
  4. Alle Zitate von W. Speyer, Die Euphemia-Rede des Asterios von Amaseia in: JAC 14 (1971), S. 39-47.
  5. E. Norden, Antike Kunstprosa. Vom VI. Jahrhundert v. Chr. bis in die Zeit der Renaissance (1898, 3/1915) 2 Bde. Darmstadt 1958. Band 1, S. 551.
  6. A. Niebergall, Die Geschichte der christlichen Predigt in Leiturgia. Handbuch des evangelischen Gottesdienstes. Bd. II. Hg. K. F. Müller, W. Blankenburg, Kassel 1955. S. 221.
  7. A. Hauser, Sozialgeschichte der Kunst und Literatur, München 1983. S. 133f.
  8. Gregor der Große, Monumenta Germaniae Historica. Scriptores rerum Germanicarum. Hannover 1826 - Leipzig 1905. Epist. II, 270.
  9. G. Beck, Geschichte der orthodoxen Kirche im byzantinischen Reich (Die Kirche in ihrer Geschichte), Göttingen 1980, S. 80: "'Armenbibel' war den Byzantinern zu wenig dafür hatte man nicht gekämpft. So las man jetzt, daß durch die Bilder die Betrachter zum Glauben an das Heilswerk im Fleische unseres Herrn emporgeführt würden."
  10. So erzählt Theodoros von Studion, daß eine Frau, die während ihrer Schwangerschaft das Bild eines Äthiopiers vor Augen gehabt habe, ein schwarzes Kind geboren habe. Auf dieselbe Weise präge sich ein Bild, wenn es beständig angeschaut werde, in die Seele des Betrachters ein. Vgl. Schwarzlose, Der Bilderstreit, ein Kampf der griechischen Kirche um ihre Eigenart und Freiheit. Gotha 1890, S. 163.
  11. G. Duby, Der heilige Bernhard und die Kunst der Zisterzienser. 1981. S. 166 und 175.
  12. Zum Begriff "biblia pauperum" vgl. A. Weckwerth, Art. "Armenbibel" in: TRE IV, S. 8f. sowie ders., Der Name "Biblia pauperum" in: ZKG 83 (1972), S. 1-33.
  13. Weckwerth, Art. Armenbibel, a.a.O. S. 8f. Auch P. Poscharsky ordnet die biblia pauperum den homiletischen Hilfsmitteln zu, TRE XV, Art. Holzschnitte und Kupferstiche.
  14. K. Zimmermanns, Florenz. 4. Auflage, Köln 1987. S. 313.
  15. A. Hauser, Sozialgeschichte, a.a.O., S. 405f.
  16. A. Karlstadt, Von Abtuhung der Bilder, hg. von Lietzmann, Kleine Schriften 74, 1911.
  17. M. Stirm, Die Bilderfrage in der Reformation, Gütersloh 1977. S. 39.
  18. Calvin, Institutio christianae religionis. Bd. 1, Kap. XI, hg. von O. Weber, 4. Aufl. Neukirchen-Vluyn 1986.
  19. Niebergall, Geschichte, a.a.O., S. 304 u. 314.
  20. zit. nach A. Grözinger, Predigt als Unterhaltung, Pastoraltheologie, 10/1987, S. 425-440. hier S. 430. "Schleiermacher argwöhnt nämlich, daß die dem Moment des delectare innewohnende 'sinnliche Tendenz' eher eine dekonzentrierende und der in der Predigt zu verhandelnden Sache abträgliche Wirkung zeitige."
  21. Vgl. C.G.H. Schenk, Geschichte der deutschen protestantischen Kanzelberedsamkeit von Luther bis auf die neuesten Zeiten, Berlin 1841, S. 67.
  22. Achelis, Lehrbuch der Praktischen Theologie. 3 Bde. Leipzig 3/1911. Bd. I, S. 312 u. 316.
  23. Vgl. A. Haas, Das 2. Gebot und die Christusbilder in: Junge Kirche 15 (1954), S. 74-86.
  24. Darauf verweisen Titel wie "Predigt als offenes Kunstwerk" (G. M. Martin), "Gottesdienst als 'offenes Kunstwerk'" (K.-H. Bieritz), "Predigt als Unterhaltung" (A. Grözinger), "Die Gemeinde Jesu Christi als kultureller Verein" (H.-J. Benedict), "Die Kirche als Kunstwerk" (D. Korsch).
  25. J. Rothermundt, Der Heilige Geist und die Rhetorik. Theologische Grundlagen einer empirischen Homiletik, 1984, S. 125.
  26. A. Funke, Die Predigtmeditation, GPM 20, 1965/66, S. 332-337, hier S. 337.
  27. W. Trillhaas, Evangelische Predigtlehre, 4. Aufl. Darmstadt 1955.
  28. Die Kompetenz des Predigers, hg. von R. Zerfaß und F. Kamphaus, 1980, S. 152ff.
  29. Vgl. H.-G. Wiedemann, Die Praxis der Predigt-Vorbereitung, Predigtstudien Beiheft 3, 1975. S. 90ff.
  30. Stollberg, Predigt praktisch. Homiletik - kurz gefaßt, Göttingen 1979, S. 11.
  31. Kratz, Predigtbilder, Frankfurt 1988, Vorwort.
  32. Bohren, Predigtlehre. 5. Auflage. München 1986, S. 60.
  33. Volp, Art. Bilder VI, TRE.
  34. Bohren, Predigtlehre, a.a.O., S. 60.
  35. Volp, Art. Bilder VII, TRE.
  36. A. Funke, a.a.O., S. 337.
  37. U. Eco, Über Gott und die Welt, München 1985, S. 29.
  38. H.-E. Bahr, Poiesis, Theologische Untersuchung der Kunst, Stuttgart 1961, S. 321. Vgl. aber E. Herms, Die Sprache der Bilder und die Kirche des Wortes in: Die Kunst und die Kirchen. Der Streit um die Bilder heute, hg. von Beck, Schmirber, Volp, München 1984, S. 242-258.
  39. "Den Versuch, diese Bilder in den Zusammenhang konkreter Verkündigung, also etwa der biblischen Geschichte zu bringen, haben wir vorher schon abgewiesen. Die abstrakte Malerei kann niemals eine biblische Geschichte illustrieren, weil sie nichts gegenständlich Faßbares, in Worten Aussagbares enthält. Für die viva vox evangelii würde dies bedeuten, daß sie nicht auf gegenstandsfreie Bilder zurückgreifen könnte, um einen biblischen Sachverhalt zu erläutern." H. Schwebel, Autonome Kunst im Raum der Kirche, Hamburg 1968, S. 68.
  40. ebenda, S. 87.
  41. Vgl. Verf., Der allgemeine und der besondere Ikonoklasmus. Bilderstreit als Paradigma christlicher Kunsterfahrung in: Kirche und moderne Kunst. Eine aktuelle Dokumentation, hg. von A. Mertin und H. Schwebel, Frankfurt, 1988, S. 146-168.
  42. Vgl. H.-E. Bahr, Poiesis, a.a.O., S. 312ff.
  43. O. Bätschmann, Einführung in die kunstgeschichtliche Hermeneutik, Darmstadt 1984.
  44. Vgl. dazu Bodo Nebling, Schöne Einsicht: Seelsorge als ästhetische Theologie, in diesem Buch.

© Andreas Mertin